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Aber alle oder keiner

Wundertüte "Global Governance": ein aktueller Sammelband zu einem politischen Konzept, das offen ist für Ökologie und Neoliberalismus

Von Anja Trebbin *

Die Schwierigkeiten, Risiken und Entwicklungen der globalisierten Welt sind im Rahmen einer national ausgerichteten Politik nicht mehr zu meistern. Die wirtschaftlichen Mechanismen der Globalisierung haben längst alle Grenzen überwunden. In den weltwirtschaftlichen Machtverhältnissen liegen die Ursachen zahlreicher ökologischer Fehlentwicklungen und Gefahren von weltweiter Dimension. Dieser Tatsache stellen sich die Autoren des Sammelbandes »Nachhaltige Entwicklung und Global Governance. Verantwortung. Macht. Politik«.

Herausgeberin Petra Gruber hat seit 2001 als Geschäftsführerin des Instituts Umwelt-Friede-Entwicklung (­IUFE) in Wien damit zu tun, »den globalen Wandel politisch zu gestalten«. Der Begriff, auf den sie sich dabei bezieht, kam über die von Willy Brandt mitinitiierte Commission on Global Governance in die internationale Diskussion. Er hat Termini wie »Weltinnenpolitik« oder »Weltordnungspolitik« weitgehend abgelöst. Das politische Konzept, für das er steht, ist eng mit dem Prinzip Nachhaltigkeit verbunden: ökologische Verträglichkeit und Teilhabegerechtigkeit sollen der wirtschaftlichen Effizienz ranggleich nebengeordnet werden. Die Bewahrung natürlicher Lebensgrundlagen ist zentral.

Wie können die Chancen der Globalisierung für Mensch und Natur nutzbar gemacht und die Risiken minimiert werden? Ein klassisches staatszentriertes Politikmodell kann diesen Herausforderungen nicht mehr entsprechen, schreibt Gruber, und plädiert für ein subsidiäres Politikmodell: »keine weltstaatliche Autorität oder Weltregierung, sondern ein transnationales Netzwerk aus staatlichen Akteur/innen – die Nationalstaaten bleiben dabei Hauptakteure – , als auch Vertreter/innen der Konzerne und Finanzmärkte, Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Religionen, wissenschaftlicher Einrichtungen und Medien«.

Franz Nuscheler, seit 2003/04 Gastprofessor an der JKU Linz, erklärt: »Das neue und unterscheidende Konzept der Commission on Global Governance liegt nicht nur in einem Mehr an staatlich organisiertem Multilateralismus, sondern im Zusammenwirken von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren von der lokalen bis zur globalen Ebene«. Grundvoraussetzung für Global Governance (GG) ist – und hierfür stehen repräsentativ die Vereinten Nationen (VN) – die Einsicht der Staaten in ihre begrenzte Steuerungsfähigkeit globaler Entwicklungen und Gefahren. Diese Einsicht muß zur freiwilligen Einschränkung der Souveränitätsrechte, zur Übertragung von Befugnissen an übergeordnete Institutionen führen. Hierzu Gruber gegenüber dieser Zeitung: »Zu vermitteln, daß dem Machtverlust ein Zugewinn an gemeinsamer Problemlösungsfähigkeit folgt, ist freilich eine besonders große Herausforderung.«

Das GG-Projekt ist auf mehreren Ebenen kritisiert worden, worauf im besprochenen Band vor allem der Beitrag von Florian J. Huber eingeht. Zum ersten sind die Institutionen, die an Macht gewinnen sollen, demokratisch kaum legitimiert. Sie haben kein Wählermandat. Viele verschiedene Gruppen fügen sich nur so lange in das GG-Netzwerk ein, wie es ihren Partikularinteressen zugute kommt. Zum zweiten scheint dem Modell nach Huber die idealistische Vorstellung zugrunde zu liegen, daß sämtliche Akteuren genügend Ressourcen zur Verfügung hätten, ihre Interessen durchsetzen zu können. Drittens soll die GG-Architektur auf den Fundamenten der bereits bestehenden Institutionen der Weltwirtschaft und –politik errichtet werden – was die Verteilung der Machtverhältnisse anbelangt, sollte man sich da keine Illusionen machen.

Folgendes, von Huber angeführtes Zitat trifft die Unzulänglichkeiten des Konzepts im Kern: Insbesondere »die politisch strategischen Global Governance Varianten« lassen sich »als spezifische Form des Anschlusses an den Neoliberalismus nutzen. Die zerstörerischen Wirkungen der Globalisierung sollen eingedämmt werden, ohne das kapitalistische (Markt-)Prinzip und die hegemonialen Akteure in Frage zu stellen (Ulrich Brand u.a., Münster 2000).« Petra Gruber erklärt dazu gegenüber jW: »Ich schließe nicht aus, daß diese Intention bei manchen BefürworterInnen von Global Governance vorhanden ist. (...). Eine pauschale Unterstellung, das Konzept bzw. seine ProponentInnen würden den Status Quo lediglich ökologisch und sozial verteidigen, weise ich zurück.« Es gehe ihr nicht um eindeutige Antworten auf gesellschaftliche Fragestellungen, betont sie: »Ich verstehe Global Governance als ›lernendes Konzept‹ und nicht als DEN Heilsweg.«

Subsidiarität, multilaterale Kooperation und die Einbeziehung nicht-staatlicher Akteure – ist das mehr als realpolitische Umstrukturierung, die den Status Quo unangetastet läßt? Grubers Buch läßt einen darüber nachdenken.

Petra C. Gruber (Hrsg.): Nachhaltige Entwicklung und Global Governance. Verantwortung. Macht. Politik. Verlag Barbara Budrich 2008, 182 Seiten, 19,90 Euro

* Aus: junge Welt, 20. März 2008

Aus der Verlagswerbung

Klimawandel, Terroranschläge, Flüchtlingsdramen - keine nationale Regierung kann derartige Probleme alleine bewältigen. Global brauchen wir eine neue Kooperationskultur - Global Governance - um solche Weltprobleme und Zukunftsfragen erfolgreich zu meistern. Im Buch wird das Konzept der Global Governance diskutiert, global Verantwortliche werden ausgemacht und deren Rolle und Möglichkeiten ausgelotet.

Die Weltprobleme und Zukunftsfragen fordern von der internationalen Gemeinschaft vor allem eine neue Kooperationskultur staatlicher und nicht-staatlicher Akteure. Dem entgegen stehen die herrschenden Machtverhältnisse, institutionelle Defizite sowie der fehlende politische Wille, das Leitbild Nachhaltiger Entwicklung und eine Kultur des Friedens tatsächlich zu beleben.

Im Buch wird die Wiedergewinnung politischer Gestaltungskraft erörtert. Dabei werden die Vereinten Nationen als zentrale Arena von Global Governance ebenso behandelt wie die Nicht-Regierungsorganisationen, die seit den 1990ern zunehmend die internationale Politik beeinflussen, wie auch die Transnationalen Unternehmen und deren gesellschaftliche Rückbettung durch verpflichtende Standards und geeignete Institutionen.

Aus dem Inhalt:
  • Wendelin Ettmayer, Eine geteilte Welt. Machtpolitik und Wohlfahrtsdenken in den internationalen Beziehungen des 21. Jahrhunderts
  • Franz Nuscheler, Global Governance. Begründungszusammenhänge, Widersprüche und Perspektiven
  • Florian J. Huber, Globale Governance - Lösungsweg oder Utopie? Strategien, Kritik und Ausblick
  • Sven B. Gareis, Die Vereinten Nationen als Global Governance Akteur
  • Bernhard Ungericht, Transnationale Unternehmen als zentrale Akteure der Weltwirtschaft und ihre Regulation
  • Tanja Brühl, Mächtige Akteure? NGOs in der internationalen (Biodiversitäts-)Politik
  • Franz Maier, Rhetorik und Realität. Artenschutz und Biodiversität im "reichen" Österreich
  • Dirk Messner, Entwicklungspolitik als globale Strukturpolitik
  • Petra C. Gruber, Hilfe. Macht. Konflikte
Petra C. Gruber ist Geschäftsführerin des Instituts für Umwelt-Friede-Entwicklung / IUFE, Wien.




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