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Schaulaufen am Kanal

G-8-Staatschefs zwischen Hybris und Ohnmacht. Finanzkrise, Atomkatastrophe und Einfluß der Schwellenländer zeigen "alten" Mächten Grenzen auf

Von Dieter Schubert *

Seit Donnerstag ist wieder G-8-Zeit. Die politischen Spitzenvertreter der selbstmandatierten Gruppe der wichtigsten Industrieländer und Rußlands haben sich im französischen Badeort Deauville am Ärmelkanal zusammengefunden, um die anstehenden Probleme der Welt zu lösen. Davon gibt es genug, für die Bewältigung vieler dürfte das informelle Gremium ungeeignet sein. Zu groß sind die Interessenunterschiede zwischen den »Mitgliedern«, noch größer die zwischen G8 und dem vermeintlichen Rest der Welt. Außer für den Gastgeber, der sich mit viel Brimborium wieder einmal als eine Art Weltenlenker zu inszenieren versucht, dürften die Ergebnisse der Beratungen eher temporärer Natur sein.

Die Gruppe der acht sind eine Art institutionalisierter globaler Kapitalismus. Die USA, Japan, Deutschland, Großbritannien, Frankreich und mit Abstrichen Kanada, Italien und Rußland stehen dabei für die Macht der »alten Welt«. Und damit alles schön unübersichtlich bleibt, dürfen bei derartigen Gruppentreffen auch die EU-Spitzen dabeisein und am Katzentisch (Beobachter) Platz nehmen. Es geht in Deauville offiziell um den »arabischen Frühling«, die Unterstützung (bzw. Ausschaltung) dortiger Akteure, also Machtpolitik. Auf der Agenda stehen aber auch solch irritierende Probleme wie die Sicherheit von Atomkraftwerken. Irritierend deshalb, weil die G8 immer auch eine Atomlobbytruppe war. Nicht zuletzt dürfte die andauernde Finanzkrise und das Gerangel um den Spitzenposten des Internationalen Währungsfonds (IWF) Thema sein.

Frau Merkel ist auch da. Doch die deutsche Bundeskanzlerin werde nur eine Randerscheinung sein. Das hatte die nationale Front der Konzernmedien im Vorfeld des Treffens nahezu übereinstimmend verkündet. Die Regierungschefin habe versagt, deutsche Interessen nicht ausreichend wahrgenommen, die atlantische Solidarität aufgekündigt und sei der »arabischen Demokratiebewegung« in den Rücken gefallen, hieß es. Selten waren die begleitenden Propagandageräusche in der BRD vor einem »Gipfeltreffen« nörgeliger, war die Ratlosigkeit größer, wie die Weltprobleme im Interesse der westlichen Staaten gelöst werden können. Und kaum jemals dürften die kritisierten Verfehlungen der Kanzlerin dem Volke so Wurscht gewesen sein.

Die Bevölkerung sorgt sich statt dessen um den Euro, also ihre Ersparnisse, Renten und die Zukunft ihrer Kinder– so wie die US-Bürger beginnen, um den Dollar zu fürchten. Und auch zu den Interessen des deutschen Kapitals zählt die von Angestellten der Bertelsmann, Burda oder Ringier angemahnte Solidarität mit den neokolonialistisch agierenden Kleinmächten Frankreich und Großbritannien nicht. Die BRD als Exportvizeweltmeister und Industriestandort muß nicht Ölmultis wie BP oder Total bedienen und deren Nachschub – wie in Libyen – sichern. Die scheinbare Annäherung an China und Rußland in dieser Hinsicht ist letztlich auch keine ethisch-moralische oder akademische Frage, sondern hat etwas mit besagten ökonomischen Machtambitionen zu tun, die alle G-8-Staaten in unterschiedlicher Weise umtreiben.

Konkret schaut das in Deauville so aus: Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy sonnt sich im Glanz seiner Rolle als Weltpolitiker – ein Schauspiel, das sein ramponiertes Image vergessen machen soll. Außerdem werden die Gastgeber nach Kräften versuchen, die Nachfolgeregelung für die IWF-Spitze in ihrem Interesse zu beeinflussen. Finanzministerin Christine La­garde, eine US-kompatible Vertreterin der französischen Großbourgeoisie, scheint jedenfalls gute Chancen zu haben, das Erbe des gestrauchelten Dominique Strauss-Kahn anzutreten. Der kann nun auch seine Rolle als Alptraumkonkurrent für Sarkozy bei der Wahl im kommenden Jahr nicht mehr spielen. Das sorgt für eine gewisse Lockerheit im Elysee-Palast.

Dessen jetziger Herr schwärmte bereits im Vorfeld von einem »Gründungsmoment« im Hinblick auf neue Partnerschaften der G8 mit Nordafrika. Also schickt Sarkozy täglich »Rafale«-Jets zum Bombardieren gen Tripolis und nutzt die bislang guten Beziehungen seines Landes zum IWF (von den letzten vier Chefs waren zwei Franzosen), um ein »bedeutendes und wirkungsvolles Maßnahmenpaket« auf den Weg zu bringen. Daran sollen auch die IWF-Schwester Weltbank und deren EU-Pendant, die Europäische Bank für Wiederaufbau, beteiligt werden. Man werde sich zunächst auf Tunesien und Ägypten beschränken, hieß es.

Auch Angela Merkel wird helfen: Deutschland wolle auf dem Treffen seinen Beitrag zum politischen Wandel und zur wirtschaftlichen Stabilisierung der Länder leisten, erklärte die Bundeskanzlerin vor ihrem Abflug. Wichtig sei jedoch, daß dann von den Empfängern die Prinzipien Mehrparteiendemokratie, Pluralismus und Marktwirtschaft umgesetzt würden.

Ähnlich weltverbessernd kommen die Europäer daher mit ihrem Verlangen, daß die G8 Forderungen nach Streßtests für alle Atomkraftwerke in der Welt unterstützen sollten. Dabei hatte die Atomlobby in der EU nach Kräften die Bedingungen für solche Begutachtungen im eigenen Einflußbereich verwässert.

In einem hatte die deutsche Presse wohl recht: Merkels durchaus interessante Idee einer »Energiewende« dürfte im Atomland Frankreich mit seinen 58 aktiven Reaktoren kaum Beifall finden. Und auch USA, Japan und Co. werden eher distanziert auf den Vorstoß reagieren, obwohl sich die Kanzlerin zuversichtlich gab: »Wir gehen voran, damit andere unserem Beispiel folgen«, sagte sie vor dem Abflug.

* Aus: junge Welt, 27. Mai 2011


G8 wandelt ihr Profil

Von Martin Ling **

Der Bedeutungsverlust der mächtigen G8-Staaten ist offenkundig. Wurden seit 2001 die Schwellenländer China, Indien, Mexiko, Brasilien und Südafrika (G5) gnädigerweise zum »Dialog« eingeladen, so hat sich Sarkozy diese Geste für den Gipfel in Deauville gespart. Schließlich steht im November der weit gewichtigere G20-Gipfel in Cannes an und dort sind die G5 nebst einigen anderen Schwellenländern selbstverständlich dabei. Die G8 haben erkannt, dass sie den globalen Problemen der Vierfachkrise (Klima, Energie, Nahrung, Wirtschaft) mit ihrem exklusiven Club nicht ansatzweise beikommen können.

Zwar ist alles andere als ausgemacht, dass dies angesichts divergierender Interessen innerhalb der G20 gelingt, aber die G8 als durchsetzungsfähige, informelle Weltregierung ist passé. Dass die Verhandlungen der Doha-Runde seit dem im Patt beendeten Hongkonger Gipfel der Welthandelsorganisation 2005 darniederliegen, ist dafür ein nachdrücklicher Beleg. Ebenso wie die gemeinsame Forderung der BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika), das ungeschriebene Gesetz einer europäischen Führung des Internationalen Währungsfonds abzuschaffen. Eine umso brisantere Forderung, weil der G8-Staat Russland hier mit den Schwellenländern konform geht. Statt auf globale Politik wird sich die G8 in und nach Deauville mehr auf sicherheits- und geopolitische Themen fokussieren. Friedlicher wird das die Welt nicht machen.

** Aus: Neues Deutschland, 27. Mai 2011 (Kommentar)


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