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G8 in Japan: "Die Weltwirtschaft steht auf der Kippe"

Rainer Falk über die Vierfachkrise des globalen Kapitalismus

Rainer Falk ist Herausgeber des Informationsbriefs Weltwirtschaft & Entwicklung (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org). Der Soziologe verfolgt seit vielen Jahren die Entwicklung bei Internationalem Währungsfonds (IWF), der Weltbank und den G7/G8-Gipfeln. Martin Ling befragte für das "Neue Deutschland" Falk über den G8-Gipfel in Hokkaido im Zeichen der globalen Krisen. Falk kommentiert den Gipfel in seinem Blog www.baustellen-der-globalisierung.blogspot.com.



ND: 2007 in Heiligendamm standen vor allem Afrika und Klimawandel hoch oben auf der Agenda. Für Afrika wurde das Versprechen wiederholt, die Entwicklungshilfe bis 2010 auf 50 Milliarden US-Dollar zu verdoppeln. In Sachen Klimawandel wurde Merkel dafür gelobt, dass sie den G8-Staaten das Versprechen abgenommen hat, bis 2050 eine Halbierung des C02-Ausstoßes zu erreichen. Sind die G8 ein Jahr danach auf Kurs?

Falk: In keinster Weise. Was die Klimapolitik betrifft, gibt es kein gemeinsames und für alle G8-Mitglieder verbindliches Reduktionsziel bei CO2. Und was die Entwicklungshilfeleistungen betrifft, sind eigentlich alle G8-Länder im Rückstand. Die Entwicklungshilfeetats steigen zwar teilweise sogar überdurchschnittlich wie in Deutschland, aber es ist längst nicht genug, um die Versprechen, die bereits 2005 im schottischen Gleneagles gemacht und in Heiligendamm bekräftigt wurden, einzulösen.

In Deutschland steigt der Entwicklungshilfeetat in absoluten Zahlen. Werden auch die relativen Ziele in Bezug auf den Anteil am Bruttonationaleinkommen erreicht, die die Bundesregierung zugesagt hat?

Nein, leider nicht. Insgesamt sollen die Mittel für die Armutsbekämpfung 2009 um 800 Millionen Euro erhöht werden. Laut Finanzministerium erhält Wieczorek-Zeul davon rund 513 Millionen Euro. Weitere Gelder zur Erhöhung der Entwicklungshilfe bekommen das Auswärtige Amt (150 Millionen Euro), das Umweltministerium (120 Millionen Euro) sowie weitere Ressorts mit rund 17 Millionen Euro. Das reicht aber gerade mal, um 0,37 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) zu halten. Die Erhöhung des BNE-Anteils auf 0,51 Prozent bis zum Jahr 2010 kann damit nicht erreicht werden.

Der G8-Gipfel 2008 wird von Krisen überschattet. Ölpreis auf Rekordniveau, Nahrungsmittelpreise ebenso. Haben die G8 Lösungsvorschläge im Köcher?

Nicht wirklich. Es wird damit gerechnet, dass die G8 die eine oder andere Botschaft von Hokkaido in die Welt aussenden werden, aber es ist nicht damit zu rechnen, dass sie beispielweise in Bezug auf die Spekulation mit Nahrungsmitteln konkrete Beschlüsse, die zu einer stärkeren Regulierung und Zurückdrängung der Spekulation führen, fassen werden.

Wenn man sich die letzten Daten der US-Konjunktur vor Augen hält, scheint die vom Immobiliensektor ausgegangene Bankenkrise nun auf die Gesamtwirtschaft überzugreifen. Werden sich die G8 diesem Thema stellen?

Müssten sie. Wir haben praktisch eine Vierfachkrise des globalen Kapitalismus: Klima- und Energiekrise, eine Finanzkrise und eine Nahrungsmittelkrise. Wenn man das zusammennimmt, fast schon eine apokalyptische Vision. Aus meiner Sicht ist relativ klar, dass sich der Wind in der Weltwirtschaft gedreht hat. Nach Jahren der Euphorie, des Booms und der Selbstzufriedenheit sind wir jetzt an einem Punkt, den die Bank für internationalen Zahlungsausgleich in ihrem neuen Jahresbericht als Kipppunkt bezeichnet. Die Weltwirtschaft steht also auf der Kippe und die G8 müssten eigentlich mehr an gemeinsamer wirtschaftspolitischer Koordination auf den Weg bringen. Wahrscheinlich wird aber wieder nach dem Prinzip verfahren, jedes G8-Land macht nach eigenem Gutdünken seine Wirtschaftspolitik und ein koordiniertes Vorgehen zum Beispiel in Fragen der Zinssätze findet nicht statt.

Müsste die sich abzeichnende Krise nicht zu einer Rückbesinnung auf eine Regulierung des Weltwährungssystems à la Bretton Woods führen?

Ja. Es gibt schon länger Plädo-yers für ein erneuertes Bretton Woods, ohne das alte komplett zu kopieren. Aber das ist in der gegenwärtigen Konstellation nicht durchsetzbar, wenngleich der objektive Problemdruck dahin zunimmt.

Auch die Gewichte in der Weltwirtschaft haben sich in den letzten Jahren deutlich verschoben. China ist schon die viertgrößte Wirtschaft der Welt und Indien und Brasilien holen mächtig auf. Inwiefern besteht bei den G8 wachsende Bereitschaft, die Schwellenländer einzubeziehen?

Die Absicht ist, die Schwellenländer in eine von den G8 bestimmte Agenda einzubeziehen. Das ist der entscheidende Punkt. Die sogenannten Out-Reach-Five-Gespräche mit den G5 (Südafrika, Indien, Brasilien, Mexiko, China) werden wie in Heiligendamm auch in Japan wieder stattfinden. Doch die Tagesordnung bestimmen im Wesentlichen die G8. Das ist von den G5 durchaus kritisch registriert worden. Allzu große Hoffnungen setzen die G5 in diesen Dialog nicht. Interessant ist aber, dass die G5-Staaten diesen Dialog genutzt haben, um sich selber zu koordinieren. Zum Beispiel in Bezug auf ihr Auftreten in anderen Foren wie der Welthandelsorganisation. Aber ein echter Dialog zwischen der G8 und der G5 ist nicht in Sicht. Der jetzige Dialog scheint mir eine Notlösung zu sein, um sich vor einer richtungsweisenden und überfälligen Entscheidung zu drücken: die Öffnung dieses exklusiven Klubs der G8 in ein wesentlich repräsentativeres weltwirtschaftliches Steuerungsgremium. Dafür müssten nicht nur die G5, sondern mindestens das Schwellenländerbündnis G20 gleichberechtigt einbezogen werden. In Sicht ist das nicht.

Fazit: Die Weltwirtschaft steht auf der Kippe und bei den G8 bleibt alles beim Alten?

Das kann man so sagen. Die G8-Staaten sind jedenfalls nicht so aufgestellt, dass sie der dramatischen weltwirtschaftlichen Situation gerecht werden können.

Chronik - Club der Mächtigen

Am Beginn der G8-Geschichte steht eine Sechserrunde: Der deutsche Kanzler Helmut Schmidt und der französische Präsident Valery Giscard d'Estaing luden 1975 zum informellen Kamingespräch nach Rambouillet. Auf der exquisiten Gästeliste standen die Staats- und Regierungschefs aus den USA, Großbritannien, Italien und Japan. Im Mittelpunkt der Gespräche stand das Weltwährungssystem zwei Jahre nach dem Zusammenbruch der festen Wechselkurse gegenüber dem schwächelnden Dollar, die 1944 in Bretton Woods festgezurrt worden waren, sowie die erste Ölkrise und der Umgang mit den aufbegehrenden Entwicklungsländern, die eine neue Weltwirtschaftsordnung forderten.

1976 darf auf Initiative der USA Kanada dem exklusiven Club beitreten und die G7 als die damals wirtschaftlich führenden Nationen der westlichen Welt sind komplett.

1999 wurde das damals angeschlagene Russland aufgenommen, so dass inzwischen von G8 die Rede ist. Einmal jährlich treffen sich die Staats- und Regierungschefs zum sogenannten Weltwirtschaftsgipfel, an dem auch die Europäische Kommission teilnimmt – dieses Jahr im nordjapanischen Toyako auf der Insel Hokkaido. Zusätzlich finden vor der Frühjahrs- und Herbsttagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank (WB) G8-Treffen statt.

Beim IWF und der Weltbank haben die G8 ganz offiziell das Sagen, da das Stimmrecht anhand der Kapitaleinlagen bemessen ist und nicht wie in der Welthandelsorganisation formal das Prinzip »Ein Land – eine Stimme gilt.« Inoffiziell maßen sich die G8 an, den Lauf der Welt zu bestimmen, obwohl sie nur einen Bruchteil der Weltbevölkerung repräsentieren. ML



* Aus: Neues Deutschland, 7. Juli 2008

Proteste gegen G-8-Gipfel

Demonstrationen von Globalisierungsgegnern haben am Wochenende die Ankunft der Staats- und Regierungschefs zum G-8-Gipfel in Japan begleitet. Die Proteste verliefen weitgehend friedlich. Der Tagungsort am Toya-See auf der Insel Hokkaido ist großräumig abgeriegelt. Die Regierung bot insgesamt 20000 Polizisten auf, um für deren Sicherheit zu sorgen. Die G-8-Kritiker versammelten sich daher im 100 Kilometer nördlich gelegenen Sapporo. "Nieder mit dem Imperialismus" hieß es auf einem großen Transparent, das die Demonstranten am Sonntag (6. Juli) durch die Millionenstadt trugen. (Agenturmeldungen)




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