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"Gipfel der Scheinheiligkeit"

Kritische Stimmen zur Afrika-Erklärung des G8-Gipfels: WEED und Deutsche Welthungerhilfe

Auf dieser Seite wollen wir weitere kritische Stellungnahmen zu den Ergebnissen des G8-Gipfels in Heiligendamm dokumentieren. Diesmal geht es um den Afrika-Teil der Gipfelerklärung



Scheinheiliges aus Heiligendamm

G8-Erklärung zur Weltwirtschaft und Afrika: Eine harte Agenda gegen Entwicklung und Klimaschutz

Die entwicklungspolitische Nichtregierungsorganisation WEED bewertet Heiligendamm als Gipfel der Scheinheiligkeit. Die verabschiedete wirtschaftspolitische Agenda der G8 steht im offenen Widerspruch zur angeblichen ‚Hilfe für Afrika’ oder dem ‚Klimaschutz’. Gerade auch Umwelt- und Entwicklungs-NGOs sowie wohlmeinende Musiker dürfen der PR-Strategie von Frau Merkel nicht auf den Leim gehen. Die von ihr durchgesetzte Gipfelerklärung "Wachstum und Verantwortung in der Weltwirtschaft" schreibt die brutale Globalisierung nach den Regeln der Reichen fort: "Deutschland und den G8 geht es gar nicht um Klimaschutz und Gerechtigkeit - ihre eigentliche Agenda steht im Wirtschaftsprogramm des Gipfels. Sie lautet: Investitionsfreiheit für Unternehmen, Privatisierung von Wissen, Verhinderung von Technologietransfer und billigen Medikamenten durch den Schutz sogenannter ‚Geistiger Eigentumsrechte’, ferner ungehinderter Freihandel mit Rohstoffen und Abwehr jedweder verbindlicher Regulierung gegenüber Transnationalen Konzernen", so Peter Fuchs, handels- und investitionspolitischer Referent bei WEED.

"Das derzeitige finanzmarktorientierte Wirtschaftssystem ist verantwortungslos gegenüber den Beschäftigten, sozial Schwachen und der Umwelt weltweit. Die G8 sind scheinheilig, indem sie einerseits Krokodilstränen über die Armen dieser Welt vergießen, andererseits aber jegliche - und sei sie noch so unverbindlich - Regulierung der Hedge-Fonds ablehnen", so Peter Wahl, Finanzmarktexperte bei WEED. "Das Ende des Casino-Kapitalismus ist Bedingung für eine sozial gerechte, ökologisch nachhaltige und demokratische Finanzarchitektur. Merkel und Steinbrück wollen aber - zusammen mit Bush und Co. - das Gegenteil!"

"Der G8-Gipfel war eine klimapolitische Nullnummer, die keine verbindlichen Fortschritte zur Rettung des Weltklimas brachte," bilanziert Umwelt- und Klimareferentin Daniela Setton. "Anstatt mit rhetorischen Kompromissformeln von der eigenen Handlungsunwilligkeit abzulenken, sollte endlich der Ausstieg aus fossiler Ressourcennutzung und die Energiewende hin zu erneuerbaren Energien eingeleitet werden."

"Afrika saß auch in Heiligendamm am Katzentisch der Mächtigen. Die G8-Staaten verschleiern hinter dem Euphemismus der ‚Reformpartnerschaft’, dass stärkerer Patentschutz und Zugang zu strategischen Ressourcen des Kontinents im Mittelpunkt ihres Interesses stehen", kritisiert der entwicklungspolitische Referent Klaus Schilder. "Die Entwicklungsversprechen der G8 bleiben ein unverbindliches Lippenbekenntnis. Die Bundesregierung hat mit der angekündigten Erhöhung der Entwicklungszusammenarbeit (ODA) um 3 Mrd. Euro bis 2010 sowie 200 Mill. Euro mehr für die Bekämpfung von AIDS ihre internationalen Verpflichtungen zur Überwindung der Armut nicht erfüllt - dazu benötigen wir dringend die Einführung internationaler Steuern, insbesondere auf Devisentransaktionen und Kerosin."

08.06.2007; Presseerklärung von WEED

Quelle: www.weed-online.org

Gipfelthema Afrika *

Der Nachbarkontinent steht seit mehr als fünf Jahren im Fokus der G8-Beratungen. Deutschland wird diesen Schwerpunkt 2007 mit neuen Akzenten fortschreiben.

Genua 2001
  • Beim Gipfel in Genua benennen die G8 aus jedem Mitgliedsland einen hochrangigen Repräsentanten. Mit deren Hilfe soll ein konkreter Aktionsplan zur Verabschiedung auf dem Gipfel 2002 entwickelt werden.
Kananaskis 2002
  • Die G8 treffen sich mit den Präsidenten von Algerien, Nigeria und Südafrika sowie dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, um die Lage Afrikas zur erörtern. Die G8 verabschieden den ausgearbeiteten Aktionsplan für Afrika als Antwort auf afrikanische Anliegen nach einer New Partnership for Africa’s Development (Nepad).
  • Jedes G8-Land kommt überein, Partnerschaften mit einem Nepad-Land einzugehen. Teil der Partnerschaft sind unter anderem Projekte im Gesundheits- und Wirtschaftswesen, Schuldenerlass oder Wasser-Management.
Evian 2003
  • Der erste Bericht über die Umsetzung des Afrika-Aktionsplan wird vorgelegt. Die G8 bekräftigen ihre Unterstützung für Nepad, die besonders in Aufbauhilfe der Mitgliedstaaten zum Ausdruck kommt. Fortschritte sollen 2005 erneut besprochen werden.
Gleneagles 2005
  • Der zweite Bericht über den Aktionsplan wird von den G8 verabschiedet. Darin werden Erfolge wie das Wirtschaftswachstum von 5,3 Prozent und eine Inflationsrate von unter 10 Prozent (1985: 41 Prozent) hervorgehoben. Weiterhin wird die Einführung von Institutionen wie dem African Union Peace and Security Council und dem African Peer Review Mechanism gewürdigt.
  • Zu Gast waren unter anderem die Staatschefs von Senegal, Tansania, Südafrika und Nigeria sowie Vertreter von Weltbank, IWF und Uno.
St. Petersburg 2006
  • Das Update zu Afrika weist abermals Erfolge etwa im Bereich der Sicherheit aus: Die G8 unterstützen die African Support Force und unterstützen die African Union bei ihrem Engagement in Dafur.
Deutscher Beitrag:
  • Deutschland verpflichtete sich auf dem Gipfel in Evian (2003), seine Aufbauhilfe von 0,27 Prozent des BIP (2002) auf 0,33% (2006) anzuheben.
  • 33 Prozent der deutschen Entwicklungshilfe sollen nach Afrika gehen.
* Quelle: Website des Bundesregierung



Weitere Stellungnahmen/Kommentare

Frankfurter Rundschau (Vera Gaserow):

(...) Doch bisher hinken die reichen Acht ihrem eigenen Versprechen um zweistellige Milliardenbeträge hinterher. Und auch in Heiligendamm legte sich die Runde der mächtigen Staats- und Regierungschefs nicht auf einen konkreten Zeitplan fest: Wann ihre Länder ihre Afrika-Hilfsverpflichtung mit welcher Summe einlösen, ist offen. Nichtregierungsorganisationen und Opposition kritisierten die Beschlüsse daher als "völlig unzureichend", "vage" und "bloße Aufwärmung alter Versprechen".
Auch die Zusage der 60 Milliarden Dollar für den Kampf gegen Aids, Malaria und Tuberkulose hört sich generöser an, als sie ist. Denn die Gipfelerklärung lässt offen, in welchem Zeitraum die Mittel fließen sollen. "In den kommenden Jahren", heißt es vage. Die USA etwa strecken ihre angekündigte 30-Milliarden-Hilfe bis 2013. Deutschland verspricht vier Milliarden Euro - verteilt über acht Jahre.
Außerdem geht es nur zum Teil um zusätzliches, "frisches" Geld für Afrika. Denn auch jetzt schon zahlen die großen Industriestaaten für die Bekämpfung von Aids und Malaria. Schon vor Heiligendamm hatten sie rund acht Milliarden Dollar bis 2010 zugesagt. Der nun angekündigte Geldsegen soll außerdem nicht allein Afrika zugute kommen, wo der ganz überwiegende Teil der Leidtragenden dieser Seuchen lebt. (...)
FR, 9. Juni 2007

Welthungerhilfe: Abschlusserklärung des G8-Gipfels ist eine Mogelpackung

(8.6.2007.) Die Deutsche Welthungerhilfe hält die Gipfelerklärung "Wachstum und Verantwortung in Afrika" für eine Mogelpackung. "Die Erklärung beinhaltet vor allem Absichtserklärungen, keine konkreten Zusagen. Damit fällt sie in der Verbindlichkeit der Aussagen hinter die Erklärung von Gleneagles vor zwei Jahren zurück", sagt Ulrich Post, Entwicklungsexperte der Welthungerhilfe.

Hilfe wird nicht konkretisiert

So wird zwar in der Erklärung das Versprechen von Gleneagles wiederholt, die Hilfe für Afrika bis 2010 um 25 Milliarden Dollar zu erhöhen, aber nicht weiter konkretisiert. "Inzwischen sind zwei Jahre vergangen, da hätte man zumindest einen Zeitplan erwarten können", sagt Post. "Die Regierungschefs stehlen sich aus der Verantwortung."

Zeilen heraus gestrichen

Außerdem heißt es lapidar, die OECD, die Gemeinschaft aller Industrieländer, "veranschlagt" die Erhöhung der gesamten Entwicklungshilfe bis 2010 auf 50 Milliarden Dollar. In einem früheren Entwurf stand, die OECD solle kontrollieren, ob die Staaten diese Zusagen auch einhalten. Dieser Passus wurde heraus gestrichen. Auch die groß angekündigte Erhöhung der Aidshilfe um 60 Milliarden Dollar ist an keinerlei Zeitpläne geknüpft. "In den kommenden Jahren" heißt es.

Abgehakt mit einfachen Sätzen

Die Landwirtschaft in Afrika wird mit einen Nebensatz abgespeist. "Angesichts von 206 Millionen chronisch unterernährten Menschen in Afrika, von denen 80 Prozent auf dem Land leben, ist das skandalös", so Post. Auch die Zivilgesellschaft kommt nur unter der Bezeichnung "menschliche Ressourcen" im Zusammenhang mit dem Gesundheitssystem vor.

Erklärung ohne Vision

"Die ganze Erklärung ist bürokratisch und von keiner Vision geprägt", sagt Post. "Sie setzt blauäugig vor allem auf eine wirtschaftliche Entwicklung, die Zukunftsmusik ist." Post weist darauf hin, dass das derzeitige Wirtschaftswachstum in Afrika, auf das immer wieder verwiesen wird, vor allem mit den gestiegenen Rohstoffpreisen zu tun hat, von denen aber nur eine sehr kleine Schicht profitiert. "Wachstum und Investitionen können nicht das wichtigste Mittel im Kampf gegen Hunger und Armut sein. Davon wird auf absehbare Zeit kein Afrikaner satt."

Quelle: Website der Deutschen Welthungerhilfe; www.welthungerhilfe.de


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