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Der "Riesenerfolg" der Kanzlerin in Wirlichkeit ein Rohrkrepierer

Fast einhellige Kritik an den Gipfelbeschlüssen zum "Klimawandel" - Greenpeace, BUND und weitere Kommentare

Der Klimaschutz stand nicht - wie vielfach angenommen - an oberster Stelle der Gipfel-Agenda. Die Gipfelerklärung, die wir hier im Wortlaut dokumentiert haben (pdf-Datei), beginnt mit den "harten" wirtschaftspolitischen Themen der Globalisierung: Investitionsfreiheit, freier Welthandel, Innovationen usw. Das Klima taucht in dem 45 Seiten umfassenden Dokument erst auf S. 18 auf. Noch wichtiger aber ist, dass die in dem "Klima"-Teil getroffenen Aussagen und Vereinbarungen weit hinter dem zurück fallen, was ursprünglich von der Bundesregierung in Aussicht gestellt worden war. Entsprechend bitter fallen die Kommentare aus, die wir - stellvertretend für viele andere - im Folgenden dokumentieren.



Post-G8, Post-Kyoto - Klimaschutz braucht einen Neustart

Von Angelika Zahrnt *

Bush, Blair, Putin, womöglich auch Merkel und andere werden ihre Staaten nicht mehr führen, wenn 2012 das Kyoto-Klimaschutz-Abkommen ausläuft. Als Bundesumweltministerin hatte die Kanzlerin das völkerrechtlich bindende Abkommen mit ausgehandelt, 2005 trat es in Kraft – ohne die USA und andere große CO2-Emittenten. Auch deshalb ist es leider nicht sehr wirksam. Ein anderes Abkommen gibt es aber nicht und eine Lücke für die Zeit nach 2012 kann sich die Welt angesichts des Klimawandels nicht leisten. Spätestens 2009 muss ein Anschlussabkommen unter Dach und Fach sein, darüber wird im Dezember bei der Weltklimakonferenz in Bali verhandelt.

Bis 2050 global nur noch halb soviel Treibhausgase wie 1990 und höchstens zwei Grad wärmer – das waren die Zielmarken, die Klimaforscher des International Panel on Climate Change (IPCC) der G8-Gruppe vor Heiligendamm vorgaben. »Ich werde nichts unterschreiben, was dem Stand der Wissenschaft widerspricht«, sagte Frau Merkel vor dem Gipfel. Das Ergebnis ist jedoch mager. Zwar bezieht sich die Abschlusserklärung ausdrücklich auf die IPCC-Erkenntnisse und anerkennt die Fortsetzung des Kyoto-Prozesses. Eine Festlegung auf ein Zwei-Grad-Ziel aber gibt es nicht. Die vage Aussicht auf eine Halbierung der globalen Treibhausgase ohne Bezugsjahr 1990 und ohne Vorgaben für die Industriestaaten ist ebenfalls zu wenig.

Leider waren die Erwartungen auf Festlegung konkreter Ziele schon vor Beginn des G8-Gipfels gedämpft worden, Bushs »Klimavorstoß« tat ein Übriges. Er hatte angekündigt, die 15 größten CO2-Emittenten versammeln zu wollen, damit sich diese bis 2008 über eine Minderung der Treibhausgase verständigen. Dafür gibt es aber ein Gremium – den von den USA bisher abgelehnten Kyoto-Prozess der UN. Dessen Fortsetzung ist der geeignete Rahmen, alle Industriestaaten, Schwellen- und Entwicklungsländer einzubeziehen. Voraussetzung dafür ist, dass die unselige Tradition aufhört, dass jeder auf andere zeigt, um eigenes Nichtstun zu rechtfertigen. Wir beobachten dies auch bei uns – bei Industrievertretern, die dies in Formeln kleiden wie: »Das Weltklima wird nicht durch Deutschland allein zu retten sein.« Damit verteidigen sie neue Kohlekraftwerke oder warnen vor Auflagen für die Autoindustrie.

Der G8-Gipfel ist zu Ende, der Klimagipfel von Bali liegt vor uns. EU und übrige Teilnehmer des Kyoto-Prozesses tun gut daran, das Tempo nicht von den USA oder anderen Zögerern bestimmen zu lassen. Die Europäer sollten ihr Ziel, bis 2020 ein Drittel weniger Treibhausgase auszustoßen, beherzt umsetzen. Und das ohne jedes Junktim. Deutschland muss sich mit minus 40 Prozent beteiligen. Leider spricht auch die EU noch nicht immer mit einer Stimme. Es hat sich eben noch nicht überall herumgesprochen, dass der Umweltsektor zu den Boombranchen zählt.

Die Demonstrationen, auch die deutsche Regierung, der Alternativgipfel der Nichtregierungsorganisationen, die Medien, die Zivilgesellschaft insgesamt – viele haben dafür gesorgt, dass das Thema Klimaschutz ganz oben auf der Agenda des G8-Gipfels stand. Die Wissenschaftler sagen, zum Umsteuern bleibt nur wenig Zeit. Das fossile Zeitalter muss schnell beendet werden. Die Industriestaaten handeln jedoch viel zu langsam. In Bali muss die Tür für ein Post-Kyoto-Abkommen zur Halbierung der Treibhausgase aufgestoßen werden, der G8-Gipfel hat dies noch nicht geschafft.

* Die Autorin ist Vorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz.

Quelle: Website von BUND; http://www.bund.net/;
Die Erklärung erschien auch im "Neuen Deutschland", 9. Juni 2007



"Wir sind uns daher einig, dass freie und offene Märkte eine zentrale Rolle für die Weltwirtschaft spielen"
Die Gipfelerklärung von Heiligendamm: "WACHSTUM UND VERANTWORTUNG IN DER WELTWIRTSCHAFT" (pdf-Datei)


G8-Gipfel gescheitert: Merkel kann noch Klimaschützerin werden

Für Greenpeace ist der G8-Gipfel weitgehend gescheitert. Der G8-Gipfel bringt keine Aussage zur Begrenzung des Temperaturanstiegs. Es gibt keine Verständigung auf Emissions-Reduktionen der Industriestaaten. Es gibt keinen Beschluss die Urwald-Abholzung zu stoppen. Der G8-Gipfel sollte eine Verständigung auf klare Ziele bei der Reduktion von CO2-Emissionen erreichen und ist daran gescheitert. Um als Klimaschützerin zu gelten, muss Merkel jetzt vorangehen. Für Deutschland heißt das: 40 Prozent CO2 bis 2020 einsparen. Dazu gehört auch, dass die Bundesregierung dieses Ziel nicht wie bislang von Verpflichtungen anderer Staaten abhängig macht.

Vorreiterin ist man nur, wenn man nicht immer auf die Anderen wartet. Das gilt auch für Angela Merkel und ihren Wunsch. Auf die übrigen G8-Länder in Sachen Klimaschutz zu warten, heißt das Problem zu verkennen. Die G8 hat ihre Chance verpasst, zu zeigen, dass sie Verantwortung für den von ihr verschuldeten Klimawandel trägt, sagt Tobias Münchmeyer, Klima-Experte von Greenpeace.

Zu begrüßen ist einzig, dass US-Präsident George W. Bushs Initiative von vergangener Woche, die eine Beschädigung des UN-Prozesses zum Ziel hatte, abgewehrt worden ist. Im Schlüsselsatz des sogenannten Klima-Durchbruchs heißt es: (...) wir werden ernsthaft die Entscheidungen der Europäischen Union, Kanadas und Japans, die globalen Emissionen bis 2050 zu halbieren, in Betracht ziehen. Das ist so, wie wenn's brennt und die Brandstifter sagen, dass sie ernsthaft erwägen werden, das Feuer zu löschen, sagt Münchmeyer.

Einen Tag nachdem 25 Greenpeace-Aktivisten mit Schlauchbooten vor Kühlungsborn von der Polizei gestoppt wurden, protestierten die Umweltschützer heute erneut gegen die G8-Beschlüsse. Am Morgen stiegen zwei Aktivisten mit einem Heißluftballon von Rostock Richtung Heiligendamm auf. Auf einem Banner war G8 - Act now mit failed (versagt) überschrieben. Der Ballon wurde rund eine halbe Stunde nach dem Start von drei Polizeihubschraubern zur Landung gezwungen.

Pressemitteilung von Greenpeace Deutschland, 8. Juni 2007

Lauwarmes Gipfel-Klima

VON VERA GASEROW
(Auszug)

Er hatte es gesagt. George Bush hatte das ach so verfemte Wort "Post-Kyoto" schon bei seiner Gipfel-Ankunft in den Mund genommen. "United Nations", ja auch zu diesem multilateralen Bekenntnis beim Klimaschutz hatte sich die Zunge des US- Präsidenten gelockert. Nach soviel Lockerungsübungen registrieren die Bewegungsmelder nun: die dickste Kuh ist vom Eis. Die mächtigen Acht der Welt haben sich in Sachen Klima verständigt.
Auf eine Absichtserklärung wohl gemerkt, auf mehr nicht. Sie haben ein Bekenntnis abgelegt zur deutlichen Verringerung der Treibhausgase und zu einem Kyoto-Folgeabkommen unter UN-Dach. Auch eine Hausnummer haben zumindest sechs in der Achter-Runde genannt: 50 Prozent weniger Treibhausgase bis 2050. Eine Zahl mehr gedehnt genuschelt als verbindlich versprochen.(...)

Aus einem Kommentar in der Frankfurter Rundschau, 8. Juni 2007



Der "Riesenerfolg" von Merkel

Wie schon vermutet, ist die Erklärung zur Klimapolitik ein unverbindliches Dokument zur Gesichtswahrung geworden

Von Florian Rötzer **

(Auszüge)

Gemunkelt wurde vor dem G8-Gipfel, dass Bundeskanzlerin Merkel hart bleiben würde, wenn es um die Maßnahmen zur Reduktion der Klimaerwärmung ging. Im Vorlauf waren bereits die vielen Streichungen bekannt geworden, die die US-Regierung beim Abschlussdokument durchsetzen wollten, um sich zu nichts zu verpflichten. Merkel verkündete dann am Donnerstag freudestrahlend und selbstgewiss, es sei eine "politische Erklärung" zustande gekommen, der niemand entkommen könne: Dies ist die wichtigste Entscheidung für die nächsten zwei Jahre." Auf der Webseite der Bundesregierung wird von einem Durchbruch gesprochen.

(...) Was nun beim G8-Gipfel als gemeinsames Dokument veröffentlicht wurde, unterscheidet sich nicht nur von dem Entwurf der deutschen Regierung, sondern lässt auch allen Regierungen die Möglichkeiten, irgendwelchen Verpflichtungen zu entkommen.

Was Merkel gleichwohl von einem "Riesenerfolg" sprechen ließ, den sie auch angesichts der Diskussion um die Sicherheitsvorkehrungen und der Kritik am Gipfel benötigt, ist vor allem ein Satz in der [extern] Erklärung, die freilich viel bedeutsamere Punkte in der Durchsetzung der Investitionsfreiheit und beim Schutz des geistigen Eigentums zugunsten der reichen Industrieländer setzt. Nach "harten Verhandlungen" habe auch der US-Präsident zugestimmt, dass die G8-Staaten eine Reduzierung der Treibhausgase um mindestens die Hälfte "ernsthaft in Betracht ziehen". Darin ist freilich in keiner Weise eine Verpflichtung zu sehen, sondern nur ein diplomatischer Kompromiss, der beiden Seiten hilft das Gesicht zu wahren. Verliererin ist aber eigentlich die strahlende Siegerin. In dem Text steht auch nicht, wie zunächst vorgesehen, dass sich die Staaten verpflichten, die Treibhausgase auf die Hälfte der Menge zu reduzieren, die 1990 ausgestoßen wurde.

(...) Im Entwurf war noch die Rede davon, dass die Klimaerwärmung sich beschleunigt, der Natur ernsthaften Schaden zufügen und die globale Wirtschaft erheblich schwächen wird, was Folgen für die internationale Sicherheit hat. Jetzt ist nur noch die Rede von der Möglichkeit von ernsthaften Folgeschäden, eine Verbindung mit der internationalen Sicherheit hat man auch lieber herausgelassen. Gestrichen wurde der Satz, dass die Bekämpfung der Klimaerwärmung ein "Imperativ" sei. (...)

Man verpflichtet sich nur vage darauf, Maßnahmen einzuführen, "die optimal einen wirksamen Klimaschutz mit Energiesicherheit" verbinden. Immerhin ist man dabei geblieben, im Vorlauf der UN-Klimakonferenz den Ansatz einer internationalen Maßnahme weiter führen zu wollen, entschärft aber gleich wieder, dass es sich um ein langfristiges Thema handelt, das "globale Partizipation und eine Vielheit von Ansätzen" verlange, um unterschiedliche Situationen zu berücksichtigen". So kann sich jeder herauspicken, was er will ... (...)

** Quelle: Telepolis; www.heise.de/tp


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