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"Afrika hat die Schulden längst bezahlt"

Auch Aktivisten aus Kenia werden in Heiligendamm gegen den G-8-Gipfel protestieren. Ein Gespräch mit Wangui Mbatia *



Frage: Sie werden sich als Aktivistin des People’s Parliament aus Nairobi an den Protesten gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm beteiligen. Können Sie kurz etwas zum People’s Parliament sagen?

Wangui Mbatia: Ja, wir sind ein Parlament von unten, eine soziale Bewegung, die sich seit 1992 täglich in einem Park von Nairobi trifft. Wir diskutieren dort soziale und ökonomische Forderungen sowie Fragen des Bildungs- und Gesundheitswesens. Es gibt weitere Parlamente von unten in ganz Kenia, mit insgesamt etwa 7000 bis 10000 Beteiligten. Die Bewegung hat schon mehrere Kampagnen angestoßen, beispielsweise gegen die Erhöhung der Maismehlpreise oder gegen einen Vertrag aus der Kolonialzeit, der den Wasserzugang zum Viktoriasee einschränkt.

Sie selbst arbeiten als Anwältin. Womit befassen sie sich?

Ich arbeite hauptsächlich zu Bürgerrechten. Seit 2001 versucht die Regierung jährlich, die Antiterrorgesetzgebung zu verschärfen. Bürgerrechte werden eingeschränkt, ohne daß sich die Sicherheit dadurch erhöhen würde. Unsere wenigen demokratischen Erfolge, die hart und nicht selten mit Todesopfern erkämpft wurden, sollen wieder zurückgedrängt werden, beispielsweise die Versammlungsfreiheit und die Meinungsfreiheit. Außerdem bin ich in der Mieterinnen- und Mieterbewegung aktiv, habe Kontakte zu Bauerngruppen und vertrete die Rechte von Arbeiterinnen und Arbeitern.
Die Bäuerinnen und Bauern organisieren sich, um Zusammenhänge in der Landwirtschaft zu verstehen und zum Beispiel darüber zu diskutieren, was die Europäischen Partnerschaftsabkommen (EPAs) für sie bedeuten.

Warum fahren Sie zu den Protesten nach Heiligendamm?

Beim G-8-Gipfel wird Afrika ein Schwerpunktthema sein. Die nördlichen Industriestaaten sind meist die Nutznießer der Ungleichheiten im Handel. Uns ist es wichtig, daß andere Stimmen zu den Fragen, die beim G-8-Gipfel diskutiert werden, hörbar werden. Unser Leben wird so weit privatisiert, daß wir nicht mehr genug Geld haben, um zu leben. Unsere sozialen Ressourcen wie Wasser, öffentlicher Verkehr oder Gesundheitsdienste werden privatisiert und dadurch sehr teuer –dies führt letztlich zu Elend und Tod. Die G8 versprach beim Gipfel 2005 Schuldenerleichterung für afrikanische Länder und mehr Entwicklungszusammenarbeit. Sie tun so, als wären Schuldenerleichterungen eine Form von Entwicklungshilfe. Die Schulden sind aber illegitim und unmoralisch. Afrikanische Länder haben schon das Mehrfache an Schulden bezahlt. Wir wollen zeigen, was die Zahlen und Statistiken für die Menschen konkret bedeuten, wir wollen den Auswirkungen der G-8-Politik ein Gesicht geben.

Können Sie das etwas konkreter machen?

Ich selbst komme aus bescheidenen Verhältnissen in Kenia. Meine Eltern mußten kämpfen, um mir eine Universitätsausbildung zu ermöglichen. Heute wäre dies zu teuer, selbst die Primarschulausbildung ist nur noch mit staatlicher Unterstützung möglich und die Sekundarschule nur für Kinder mit wohlhabenden Eltern finanzierbar. Generationen von Kindern werden damit in die Armut gedrängt. Die Hauptursachen dieser Probleme sind die Strukturanpassungsprogramme des Internationalen Währungsfonds und die Politik der Weltbank. Die G-8-Regierungen kontrollieren diese Institutionen weitgehend. Deren Politik führt dazu, daß wir Not leiden. Die Regierungen versprechen also, das Leiden zu lindern, das sie selbst verursachen.

Was erhoffen Sie sich von den Protesten in Heiligendamm?

Die Gegenaktivitäten sind eine Chance, die wachsenden sozialen Bewegungen in der Welt zu stärken. Wir vom People’s Parliament können Gleichgesinnte aus vielen Ländern treffen, das ist sehr wertvoll für uns. Auf der lokalen Ebene gibt es sehr viele wichtige ermutigende Beispiele wie es Menschen gelingt, trotz der kapitalistischen Strukturen Probleme zu überwinden. Der Gipfelprotest ist eine ausgezeichnete Gelegenheit zur Vernetzung. Wenn wir uns zusammenschließen, können wir mehr erreichen als auf der lokalen Ebene. Ich werde zum Beispiel Erwerbslose aus Buenos Aires treffen und Aktivistinnen und Aktivisten der Bewegung von unten aus anderen Ländern, und nicht bloß die Jetset-Clique der Nichtregierungsorganisationen.

(Interview: Ann Friday)

* Wangui Mbatia ist Akti­vistin des People’s Parliament von Nairobi, Kenia

Aus: junge Welt, 25. Mai 2007



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