Wider die globalen Ungleichgewichte
Französische Regierung strebt im Rahmen der G20 eine Reform des Währungsgefüges an
Von Hermannus Pfeiffer *
Einen weiteren Anlauf, die Weltwirtschaft stärker zu regulieren, hat die französische Regierung für das heute (19. Feb.) in Paris beginnende Treffen der Finanzminister und Notenbankchefs der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) angekündigt. Bis zum Sonnabend sollen Wege für eine Neuordnung des Weltwährungssystems ausgelotet werden.
Frankreichs Finanzministerin Christine Lagarde ist als Gastgeberin zuversichtlich, dass auf dem G20-Finanzministertreffen in Paris tatsächlich Ergebnisse erzielt werden. »Wir hoffen, dass wir gemeinsam die Indikatoren bestimmen werden, anhand deren wir globale Ungleichgewichte messen wollen«, sagte Lagarde. Als Beispiel für solch einen Indikator nannte sie die Leistungsbilanz, die Summe aus Handels- und Kapitalströmen. »China spart und exportiert. Europa konsumiert. Und die USA konsumieren und leihen sich Geld. Ist dieses Modell nachhaltig?«, fragt Frau Lagarde. Ihre Antwort: »Wahrscheinlich nicht.«
Die Ministerin hatte im vergangenen Jahr für Aufregung gesorgt, als sie Deutschlands exportgetriebenes Wirtschaftsmodell kritisierte. Große Ungleichgewichte zwischen gewichtigen kapitalistischen Ländern, die auch von linken Ökonomen kritisiert werden, bedrohen die Weltwirtschaft auch nach der Finanzkrise. Auch die G20-Präsidentschaft Koreas hatte dies 2010 zum Thema gemacht. Auf dem Gipfel in Seoul im November versuchte die binnenmarktorientierte US-Regierung vergeblich, einen Exportüberschuss von maximal vier Prozent des Bruttoinlandsproduktes als Grenzwert durchzusetzen (Deutschland 2010: rund sechs Prozent). Dieser Vorschlag fand in der G20 aber keine Mehrheit. Stattdessen sollen nun erst einmal »Indikatoren« entwickelt werden, die rechtzeitig vor der nächsten Krise warnen. Neben Handels- bzw. Leistungsbilanz kommen die Verschuldung des Staates und der privaten Akteure sowie die Sparquote in Frage. Erst später sollen dann verbindliche Grenzwerte festgelegt werden. Dass es dazu wirklich einmal kommen wird, bezweifeln jedoch Beobachter.
Frankreich hat für ein Jahr die Präsidentschaft der G20 inne. Dafür hat sich Staatschef Nicolas Sarkozy viel vorgenommen. So will er Rohstoffpreise senken und auch Schwankungen der großen Währungen eindämmen. Seinen Berater, den früheren Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF), Michel Camdessus, ließ er in dieser Woche eine Radikalreform fordern. »Auf den Devisenmärkten kommt es immer wieder zu exzessiven Schwankungen«, schimpfte dieser in Interviews. Zu viel Kapital vagabundiere auf den Finanzmärkten, und oft habe der Kurs der Währungen mit den ökonomischen Rahmendaten nichts zu tun. Daher sei es sinnvoll, einen festen Anker einzuführen: »Unsere Währungsordnung hat seit dem Zusammenbruch des Währungssystems von Bretton Woods in den siebziger Jahren keinen zentralen Referenzpunkt mehr.« Camdessus schlägt zusammen mit anderen Fachleuten wie dem früheren US-Notenbankchef Paul Volcker, Chinas Zentralbankerin Hu Xiaolian und dem früheren IWF-Chef und Bundespräsidenten Horst Köhler vor, die sich aus einem Korb mehrerer Währungen speisenden Sonderziehungsrechte des IWF zu einer globalen Reservewährung auszubauen.
»Frankreichs Staatspräsident will sich der kritischen französischen Öffentlichkeit als Altermondialist (Globalisierungskritiker, d.Red.) präsentieren, der dann billig und folgenlos an ›bösen‹ anderen Staaten scheitert«, kritisiert der grüne Europabgeordnete und Attac-Mitbegründer Sven Giegold. Und so zeichnet sich unterm Strich auch für das G20-Finanzministertreffen ab, dass – wie schon bei den Themen Steueroasen, Finanztransaktionssteuer und Bankenboni – rigiden Reformankündigungen, die sich vor allem an das heimische Publikum richten, matte Kompromisse folgen.
* Aus: Neues Deutschland, 19. Februar 2011
G-20-Zirkus in Paris
Große Probleme, eine mäßige Inszenierung und viel Hilflosigkeit: Frankreich setzt auf Regulierung und will unter anderem dem Dollar an den Kragen
Von Rainer Rupp **
In Frankreich trafen sich am Freitag die Finanzminister und Zentralbankpräsidenten der selbsternannten 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G 20). Die sollen nicht nur das diesjährige Gipfeltreffen der Gruppe im November in Cannes vorbereiten, sondern auch Signale setzen, wie weiter mit der Krise umgegangen wird.
Die »Grande Nation« hat turnusmäßig den Vorsitz dieser Gruppe – Grund genug für deren emsigen Präsidenten, ein großes Brimborium zu veranstalten. Lauthals hatte Nicolas Sarkozy angekündigt, er werde ein System von verschärften Regeln und Kontrollen vorstellen, mit denen die G 20 gegen preistreibenden Spekulationen auf den Rohstoffmärkten vorgehen werden. Blöd nur, daß die Welt anders strukturiert ist – denn die Finanzwirtschaft kontrolliert die Regierungen der kapitalistischen Länder. Deshalb ist die Initiative des französischen Präsidenten kaum mehr als Effekthascherei – die vor allem dem eigenen Staatsvolk zeigen soll, wie toll ihr politisch angeschlagener Spitzenmann doch ist.
Allerdings sieht sich das Weltkapital tatsächlich mit einer Reihe von Problemen konfrontiert, für die Lösungswege gebraucht werden. Im Mittelpunkt der zweitägigen Konferenz in Paris soll deshalb vielmehr die Überwindung der gravierenden Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft stehen. Dafür müßten aber zuerst die Ungleichgewichte quantitativ erfaßt werden, weshalb sich alle Teilnehmer zunächst auf eine Reihe von statistischen Indikatoren als gemeinsame Grundlage einigen müssen. Erst auf dieser Basis könnten dann wirksame Maßnahmen ergriffen werden, hatte Frankreichs Wirtschafts- und Finanzministerin Christine Lagarde zu Wochenbeginn erklärt.
Doch die Interessen der G-20-Mitglieder an einer Beseitigung der wirtschaftlichen Ungleichgewichte divergieren stark. So profitieren z.B. die Exportüberschußländer in erheblichem Maß von selbigen Disproportionen. Trotz massiven Drucks des Hauptdefizitstaates USA dürfte eine Einigung deshalb schwerfallen. Zumal sich die Diskussion unter Wirtschaftsspezialisten über die Auswahl der »richtigen« Indikatoren trefflich dazu eignet, den Mangel an politischem Handlungswillen hinter der Fassade der Uneinigkeiten der »Techniker« zu verstecken.
Für Aufsehen hatte Madame Lagarde am Montag (14. Feb.) gesorgt, als sie erklärte, daß Frankreich sich bei dem G-20-Treffen für die Abschaffung des US-Dollars als Leit- und Weltreservewährung einsetzen werde. Laut der Ministerin werde Paris helfen, das unilaterale, auf dem Dollar basierende globale Finanzsystem in ein multilaterales zu überführen. Zugleich müßten die internationalen Geldströme besser reguliert und die Rolle der Sonderziehungsrechte des Internationalen Währungsfonds – ein aus einem Korb verschiedener Währungen bestehendes, international anerkanntes Kunstgeld – durch die Aufnahme der chinesischen Währung gestärkt werden.
Laut dem Chefanalysten der Bremer Landesbank, Folker Hellmeyer, hat Frau Lagarde damit »die Zeichen der Zeit erkannt und benannt«. Schließlich ginge der Anteil der Vereinigten Staaten an der Weltwirtschaft latent zurück, und damit nehme »faktisch die Fähigkeit der USA ab, mit ihrer Währung das Weltfinanzsystem zu unterstützen oder zu dominieren«. Dennoch schließt Hellmeyer »kurzfristige und abrupte Anpassungen«, d.h. eine plötzliche Degradierung des Dollars aus. Daran hat niemand ein Interesse. Vielmehr geht der Chefanalyst von »evolutionären Veränderungen« aus, welche die »Strukturen schonen und Kollateralschäden verhindern«.
Jüngste Meldungen aus China dürften die US-Sorgen anheizen. Obwohl Peking auch im Jahr 2010 seine Währungsreserven weiter ausgebaut hat (auf umgerechnet 1,9 Billionen Euro), ist es ihm laut Money News vom Mittwoch dieser Woche gelungen, die eigenen Dollarbestände im gleichen Zeitraum leicht abzubauen – von 895 Milliarden auf 892 Milliarden Dollar im Dezember 2010. Damit hält China nur noch 34 Prozent seiner Reserven in Form von US-Schatzbriefen (T-Bonds).
Alarmierend für Washington dürfte auch sein, daß der Bestand der von Ausländern gehaltenen T-Bonds im letzten Jahr nur um 0,6 Prozent (26 Milliarden Dollar) auf 4370 Milliarden Dollar gewachsen ist. Das, obwohl die US-Regierung zur Finanzierung ihres Defizits im letzten Jahr Schatzbriefe im Volumen von 1300 Milliarden Dollar verkaufen mußte.
Laut US-Regierungsstatistiken haben lediglich Japan und Großbritannien 2010 ihre Bestände an US-Schatzbriefen merklich erhöht. Diese Meldung befremdet, denn insbesondere Großbritannien ist nicht nur selbst stark überschuldet, sondern es hatte auch im letzten Jahr beim Außenhandel von Gütern und Dienstleistungen ein deftiges Defizit zu verzeichnen. Woher soll das Geld zum Kauf von schwach verzinsten T-Bonds gekommen sein? Wahrscheinlich hat die US-Zentralbank den Briten mal wieder im Rahmen von sogenannten Swaps die notwendigen Dollar zum Ankauf der US-Schatzbriefe zur Verfügung gestellt. Das ist wie Dollar drucken, nur um drei Ecken. Mit derartig versteckten Manipulationen soll verhindert werden, daß die breite Öffentlichkeit merkt, wie rasant die Geldmenge ausgeweitet und das Inflationspotential des US-Dollars immer bedrohlicher wird.
Trotzdem macht sich die Inflation weltweit immer stärker bemerkbar. In Großbritannien droht inzwischen sogar die Stagflation – also wirtschaftlicher Stillstand bei steigenden Preisen. Im letzten Quartal ist das Bruttoinlandsprodukt des Vereinigten Königreiches um einen halben Prozentpunkt geschrumpft. Zugleich haben im Januar die Verbraucherpreise auf Jahresbasis um 4,0 Prozent zugelegt. Sie liegen damit erheblich über dem Zentralbankziel von zwei Prozent. Die Folgen für die Sparer sind, daß auf der Insel deren Guthaben mit 0,5 Prozent verzinst und 3,5 Prozent von der Inflation »verbrannt« werden.
** Aus: junge Welt, 19. Februar 2011
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