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Rom, das Spardiktat sitzt

Merkel und Sarkozy stellen Italien unter Aufsicht. Die geforderten Kürzungen dürften die Rezession in dem Land vertiefen

Von Tomasz Konicz *

Für Europas Politelite scheint das Leben ein einziger Krisengipfel zu werden. Das europäische Führungsduo Merkel-Sarkozy brachte im Rahmen des G-20-Gipfels in Cannes unter Einsatz von Drohungen und Erpressungen renitente Schuldenstaaten wieder auf Linie. Griechenlands Ministerpräsident Giorgos Papandreou wurden die demokratischen Flausen mit der Drohung ausgetrieben, sein Land notfalls aus der Euro-Zone zu werfen, obwohl es dafür keine Rechtsgrundlage gibt. Damit wurde amtlich, was längst offenbar war: Die griechische Regierung hat nicht nur die Souveränität über ihren Haushalt verloren, sondern ist auch bei einer essentiellen Entscheidung wie der über ein Referendum de facto entmachtet worden. Athen muß nun ohne Volksbefragung das dritte rabiate Kahlschlagprogramm seit 2010 verwirklichen, obwohl die beiden bisherigen »Sparpakete« offensichtlich ohne Erfolg blieben und das Land in den Wirtschaftskollaps trieben.

Letzte Meldung

Papandreou gewinnt Vertrauensabstimmung

Mehr Abgeordnete als seine Fraktion Mitglieder zählt stimmten für die amtierende Regierung

Rückendeckung für Griechenlands Ministerpräsident Giorgos Papandreou: Er gewann am späten Freitagabend (4. Nov.) nach einer engagierten Rede die Vertrauensabstimmung im griechischen Parlament. Wie aus einer Zählung der Nachrichtenagentur AFP hervorgeht, votierte am Freitagabend eine Mehrheit der Parlamentarier für Papandreous Regierung. 153 Abgeordnete sprachen der Regierung das Vertrauen aus, 145 Parlamentarier stimmten mit »nein«. Zwei Abgeordnete waren abwesend, Stimmenthaltungen gab es nicht. Jeder der 300 Abgeordneten wurde während der Abstimmung namentlich aufgerufen und musste seine Entscheidung bekanntgeben.

Damit stärkten sogar mehr Abgeordnete dem Ministerpräsidenten in der öffentlichen Abstimmung den Rücken, als seine Fraktion Mitglieder zählt. Der sozialistischen PASOK im griechischen Parlament gehören 152 Abgeordnete an. Papandreou hatte zuvor am Abend einen Neuanfang gefordert und die Beschlüsse des EU-Krisengipfels als »letzte Chance« für das hoch verschuldete Land bezeichnet. Zugleich verteidigte er seine Politik der vergangenen Jahre und kritisierte die konservative Oppositionspartei Nea Dimokratia.

Der Ausgang des Votums war ungewiss gewesen, nachdem zuvor mehrere Abgeordnete der sozialistischen PASOK-Partei angekündigt hatten, gegen die Regierung stimmen zu wollen.

Der griechische Finanzminister Evangelos Venizelos forderte schon vor dem Votum die Bildung einer neuen Übergangsregierung bis zum kommenden Montag. Die Lage sei »sehr ernst«, sagte Venizelos unter auf das Treffen der Euro-Finanzminister in Brüssel am Montag. Die Übergangsregierung solle bis Ende Februar agieren. Dann solle es Neuwahlen geben, sagte Venizelos. Der Finanzminister gilt als möglicher neuer Ministerpräsident, falls Papandreou sein Amt niederlegen sollte.

Quelle: ND (online), Nachrichtenagenturen, 5. November 2011



Einer ähnlichen Entmündigung wurde in Cannes nun auch Italien unterworfen. Merkel und Sarkozy nötigten Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi, seine Finanz- und Haushaltspolitik unter Beobachtung des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu stellen. Auf dem Krisengipfel in der vergangenen Woche stimmte Rom bereits einer Überwachung durch die EU-Kommission zu. Italien hat bereits Kürzungen im Umfang von rund 55 Milliarden Euro beschlossen, was die bereits einsetzende Rezession südlich der Alpen vertieft. Zusätzlich drängen nun Berlin und Paris die italienische Regierung zur Anhebung des Renteneintrittsalters und zu einer »Arbeitsmarktreform«, die einer weiteren Prekarisierung zwischen Mailand und Palermo Vorschub leisten soll. Berlusconis Koalitionspartner Umberto Bossi von der Lega Nord jammerte noch vor kurzem, er könne nicht einfach das Rentenalter anheben, »nur um den Deutschen einen Gefallen zu tun«.

Dabei sitzt die Regierungskoalition in Rom bereits in einer Falle, der sie mit dem Instrumentarium kapitalistischer Krisenpolitik nicht mehr entkommen kann. Die Zinslast für zehnjährige italienische Staatsanleihen bleibt mit mehr als sechs Prozent auf einem Niveau, das langfristig für die drittstärkste Ökonomie der Euro-Zone nicht zu stemmen ist. Die Sparmaßnahmen und die Überwachung Italiens durch IWF und EU sollen nun zur »Vertrauensbildung« auf den Finanzmärkten beitragen und zu einem sinkenden Zinsniveau für das Land führen. »Wir müssen sicherstellen, daß es Glaubwürdigkeit gibt bei Italiens Zielen«, rechtfertigte Berlusconi die Einschränkung nationaler Souveränität.

Zugleich verstärkt sich der wirtschaftliche Abwärtssog in Italien, das sich mit einer Wachstumsprognose von weniger als einem Prozent offiziell in Stagnation befindet. Ein zuverlässiger konjunktureller Frühindikator, der Markit-Einkaufsmanager­index, fiel in Italien im vergangenen Oktober um fünf Prozentpunkte auf 43,3 Prozent. Alle Werte unterhalb von 50 Prozent deuten auf eine Rezession hin. Laut dem Finanzdienstleister Markit lassen die jetzigen Daten den heftigsten Einbruch seit Beginn der Indexerhebungen in den 90er Jahren erwarten. Somit befindet sich das Land in Wirklichkeit bereits seit zwei Monaten in einer an Intensität gewinnenden Rezession, die durch die nun eingeleiteten Sparmaßnahmen verstärkt werden dürfte.

Das in diesem Teufelskreis gefangene Italien wird nun von Paris und Berlin in die Zange genommen und derselben verheerenden Roßkur unterworfen wie Griechenland und Portugal.

* Aus: junge Welt, 5. November 2011


Düstere Euro-Aussichten

Italien wankt - EU und G20 installieren beim Gipfel in Cannes Krisenfeuerwehr

Von Uwe Sattler **


Während Griechenland am Freitag auf die im Parlament anberaumte Vertrauensabstimmung über Ministerpräsident Papandreou wartete, beschloss der G20-Gipfel in Cannes den Ausbau des Internationalen Währungsfonds als Krisenfeuerwehr. Die könnte schon bald gebraucht werden - in Italien.

Der griechische Demokratievorstoß ist gestoppt. Betont zurückhaltend genossen die auf dem G20-Gipfel im französischen Cannes versammelten Spitzenpolitiker aus EU und Euro-Zone am Freitag ihren Sieg. Am Mittag war die offizielle Erklärung aus Athen eingetroffen, die Regierung von Giorgos Papandreou verzichte auf das Referendum über das vor einer Woche mit den Euro-Staaten geschnürte Schuldenpaket. »Eine interessante Erklärung«, ließ Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy süffisant verlauten.

Noch am Vortag hatten vor allem Sarkozy und Bundeskanzlerin Angela Merkel dem griechischen Premier eingeheizt und dessen Land mit dem Rauswurf aus Euro-Zone und EU gedroht, sollte der Schuldendeal bei einem Volksentscheid platzen. Unverblümt hatten die EU-Oberen die Abwahl des »illoyalen« Papandreou betrieben, der vermutlich mit einem erhofften Ja bei der Volksbefragung nur das Plazet für weitere Sparprogramme erhalten wollte. Hinter vorgehaltener Hand, aber deutlich vernehmbar wurden in Brüssel und Cannes Nachfolger für Papandreou gehandelt. Dieser war sich seiner Lage bewusst: »Ich will nicht unbedingt wiedergewählt werden«, erklärte er am späten Donnerstagabend. Offensichtlich war dem Premier klar, dass seine Chancen auf einen Sieg bei der Vertrauensabstimmung im Parlament - sinnigerweise Freitag Mitternacht angesetzt - minimal waren. Die Stimmenmehrheit von Papandreous sozialdemokratischer PASOK war in den vergangenen Tagen auf 152 Stimmen geschrumpft, bei insgesamt 300 Parlamentssitzen. Zwei PASOK-Abgeordnete haben bereits angekündigt, gegen den Ministerpräsidenten zu stimmen. Endgültig in die Enge getrieben wurde Papandreou vom Führer der griechischen konservativen Oppositionspartei Nea Dimokratia (ND), Antonis Samaras. Nachdem der Premier die Referendumsabsage als Bedingung zur Bildung einer Übergangsregierung erfüllte, lehnte Samaras die entsprechenden Gespräche ab und forderte gestern den sofortigen Rücktritt Papandreous.

Für US-Präsident Barack Obama, der zum G20-Gipfel angereist war, hat sich die EU - und insbesondere »Angelas Führung« - mit solcherart Problemmanagement bewährt. Dass die Krise damit überwunden ist, glaubte in Cannes aber niemand. Zumal die Ergebnisse des Treffens der »Großen« der Weltwirtschaft dürftig ausfielen. Die Einführung einer Finanztransaktionssteuer ist weiter auf die lange Bank geschoben, auch wenn Sarkozy als amtierender G20-Präsident das Thema noch einmal anschieben will. Ohne konkrete Festlegungen sollen Staatsschulden reduziert, die Kaufkraft der Bevölkerung gestärkt und Handelsungleichgewichte abgebaut werden. Klarer war man sich bei der künftigen Rolle des Internationalen Währungsfonds IWF. Dieser soll zu einer Art Finanzfeuerwehr ausgebaut werden, die Krisenstaaten kurzfristig mit Krediten aushelfen kann. Damit müssen sich die G20 beeilen, denn mit Italien ist das nächste Euro-Land gefährlich ins Taumeln geraten. Wegen seiner hohen Gesamtschuldenlast von 120 Prozent der Wirtschaftsleistung sowie geringem Wirtschaftswachstums ist die Sparpolitik Roms künftig unter IWF-Aufsicht gestellt. Sarkozy sicherte Italien schon einmal EU-Unterstützung bei der Lösung seiner Haushaltsschwierigkeiten zu. Allerdings nicht, ohne mit Blick auf Athen den Zeigefinger zu heben: »Es gibt Regeln, die eingehalten werden müssen.«

Für die internationalen Hilfsorganisationen sind das alles jedoch Luxusprobleme. Die Staats- und Regierungschefs der G20 hätten so getan, als ob es keine Ernährungskrise gäbe, erklärte ein Sprecher von Oxfam am Freitag (4. Nov.).

** Aus: neues deutschland, 5. November 2011


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