Kooperation statt Freihandel
Entwicklungspolitische und Umweltverbände fordern eine Umkehr in der Politik der Industriestaaten
Von Jutta Blume und Jürgen Weber *
Die Kritik an den sozialen und ökologischen Folgen weiterer
Liberalisierung und Deregulierung des Welthandels hat gewirkt: Die 2001
in Doha gestartete Verhandlungsrunde zur Reform der Welthandelsregeln
sollte zumindest auf dem Papier die Probleme der Entwicklungsländer
berücksichtigen. Tatsächlich ging es aber erneut vor allem um weitere
Liberalisierungsschritte, die wegen des Widerstandes der
Entwicklungsländer bislang nicht vereinbart wurden. Die Industrieländer
setzen daher auf bilaterale Freihandelsabkommen. Weltweit sind rund 350
solcher Abkommen in Verhandlung oder unterzeichnet.
Weiter als je zuvor ist die Welthandelsorganisation (WTO) von einem
gleichberechtigten, gerechten und multilateralen Handelssystem entfernt,
kritisieren Nichtregierungsorganisation (NRO). Die wettbewerbsfähigen
Industriestaaten setzen auf einen aggressiven Freihandelskurs, bei dem
die spezifischen Entwicklungserfordernisse des Südens weitgehend
ignoriert werden. Nach neun Jahren Verhandlungen der sogenannten
Doha-Entwicklungsrunde hat sich die Situation der meisten südlichen
Länder verschlechtert. Zwar ist es im Agrarbereich den
Entwicklungsländern durchaus gelungen, eigene Akzente zu setzen – so
musste die EU schon ein Enddatum für ihre Exportsubventionen zusagen.
Für Michael Frein vom Evangelischen Entwicklungsdienst (EED) und Tobias
Reichert vom Forum Umwelt & Entwicklung wäre ein Abschluss zu den
derzeitigen Bedingungen für die Entwicklungsländer aber ein »schlechter
Deal« für die Länder, »die im Agrarbereich weniger an Exportinteressen
als am Schutz ihrer Kleinbauern interessiert sein müssen«.
Als Alternative werden Schutzvorkehrungen und die Förderung der
Nahrungsmittelproduktion für einheimische Märkte vorgeschlagen, die in
ein globales Handelssystem integriert werden müssten. Den
Entwicklungsländern sollte dabei gestattet werden, eine ausreichende
Anzahl jener Güter vom Freihandel auszunehmen, die unabdingbar für die
Ernährungssicherheit und die Lebensgrundlage von Bauern und Bäuerinnen
sind. Dabei sollten sie angemessene Zolltarife einführen dürfen, um
Importe zu reduzieren oder zu stoppen, die negative Auswirkungen auf die
ländliche Entwicklung haben. Nach Ansicht von Frein und Reichert ist
eine »grundsätzlich richtige Politik« auch der Widerstand gegen
Zollsenkungen für sämtliche Waren des verarbeitenden Sektors sowie für
wichtige Umweltressourcen oder bei der Liberalisierung von
Dienstleistungen. Laut Michael Frein muss auch erreicht werden, dass zum
Beispiel der im TRIPS-Vertrag zu geistigen Eigentumsrechten geregelte
Patentschutz für Arzneimittel armen Menschen nicht länger den Zugang zu
bezahlbaren Medikamenten versperrt.
»Kooperation statt Freihandel« fordert Martin Khor, Direktor des Third
World Network aus Malaysia. Sogenannte Zollausgleichssteuern für
besonders klimaschädliche Produkte zeigten, dass Industriestaaten zur
Anwendung protektionistischer Maßnahmen bereit seien. »Die Lösung ist
nicht, die Entwicklungsländer zu bestrafen, weil sie arm sind und sich
eine bessere Technologie nicht leisten können«, sagt Khor. Vielmehr
müssten die Industrieländer ihnen die technologischen Mittel zur
Verfügung stellen, die helfen, in ihrer ökonomischen Entwicklung
weiterzukommen.
Ein gerechtes Handelssystem muss aus Sicht von NRO aus dem Süden zu
einem Ende der Dumping-Politik führen. Alle Arten von direkten oder
indirekten Exportsubventionen in den Industrieländern sollten gestoppt
und Spekulationsgeschäfte auf Agrar- und Rohstoffmärkten bestraft
werden, wie es auch afrikanische Regierungen innerhalb der WTO
vorgeschlagen haben.
* Aus: Neues Deutschland, 5. November 2010
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