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Feuer frei auf den Papiertiger

Das Buch "Orientierung im Weltsystem" von Andre Gunder Frank will globale Ökonomie erklären

Von Volkmar Liebig *

In seinem letzten Buch »Orientierung im Weltsystem« erklärt der Ökonom Andre Gunder Frank auf recht polemische Weise die Funktionsweise der Weltwirtschaft.

Salopp, diese Formulierungen: »Wenn die Welt ein Doughnut ist, dann ist Uncle Sam das Loch in der Mitte«, schreibt Andre Gunder Frank in »Orientierung im Weltsystem«. Das Buch, letztes Werk des 2005 nach langer Krankheit verstorbenen Autors, erklärt die Funktion des Weltwirtschaftssystems aus Sicht eines Querdenkers, der sich schon in den 60er Jahren gern mit seinem Lehrer, dem Wirtschaftsguru Milton Friedman, anlegte.

Frank beschreibt zunächst die beiden Hauptakteure in der globalen Ökonomie. Die USA, die ihre Position als größte Ökonomie vor allem der weltweiten Beliebtheit des Dollars zu verdanken hätten. Einem »Papiertiger«, schreibt Frank, der »neben Tinte und Papier« nur genau so viel Wert besäße, wie dem grün bedruckten Zettel international zugemessen wird. Zum anderen habe China, der »Feuerdrache«, das Potenzial, zur zweitwichtigsten Wirtschaftsmacht aufzusteigen.

Schnell wird bei der Lektüre des Buches klar, dass für den Ökonomen Funktion und Funktionieren des Weltwirtschaftssystems nicht das Gleiche sind und dass es ihm auch ein Anliegen ist, seinen »Intimfeind«, den Kraftprotz USA, zu entblößen. Diese Rivalität mit »Uncle Sam« reicht bis in die Mitte der 60er Jahre zurück, als Frank wegen Veröffentlichungen in der marxistischen »Monthly Review« ein 15-jähriges Einreiseverbot erhalten hatte. Oft sind die Darstellungen des Langzeit- Analytiker sehr verknappt und polemisch – wer seriöse Grundinformationen sucht, um ökonomische Zusammenhänge besser zu verstehen, der mag sich im Buchladen weiter umschauen.

Franks Anliegen ist es, Scheitern und Aufstieg ehemaliger und aktueller wirtschaftlicher Großmächte wie USA, China oder Sowjetunion aus Sicht des Weltsystem-Ansatzes zu erklären. Damit will er ein anderes Licht auf die Grundmechanismen der Weltwirtschaft werfen, die für ihn eben nicht durch »klassische« Entwicklungspfade, sondern durch langfristige gegenseitige Abhängigkeiten zwischen einzelnen Ländern zu erklären sind.

Im Buch baut er seine Kritik folgendermaßen auf: Das weltwirtschaftliche System kreise viel zu sehr um die USA, deren Ökonomie auf Sand gebaut sei. Führe die USA Kriege, stärke sie dadurch das weltweite Vertrauen in den Dollar und könne so ihren Konsum auf Kosten anderer nach dem erwähnten Doughnut-Prinzip reproduzieren. Geht dieses Vertrauen aber durch die Schwächung ihrer außenpolitischen Position – beispielsweise durch militärische Flops wie den Irak-Krieg – verloren, könnte das zu drastischen Abwertungen des Dollars führen. Länder wie Japan und China könnten dann nämlich auf die Idee kommen, ihre riesigen Dollar-Reserven in anderen Währungen anzulegen. Als Folge nähme der Konsumrausch in den USA ein abruptes Ende und eine weltweite Depression aufgrund des Zusammenbruchs des US-Markts könnte einsetzen.

Dass an einem derartigen Szenario zur Zeit nicht einmal das aufstrebende China Interesse hat, verschweigt der Autor zwar nicht, jedoch scheint es ihm persönliches Vergnügen zu sein, trotzdem bis ins kleinste Detail zu beweisen, wie sich die USA in der Weltwirtschaft saftige Gewinne von anderen Nationen »erschwindeln«.

»Orientierung im Weltsystem« umfasst im Grundlegenden vier Aufsätze aus seinen letzten Lebensjahren, die zum Teil schon zuvor in anderer Form publiziert wurden. Nach Worten seines Verlegers Gerhard Höldl sollen die Aufsätze »althergebrachte Gewissheiten erschüttern« und »die Wahrnehmung der Welt verändern«.

Ob dies gelingt, ist allerdings fraglich, sind doch die ökonomische Anfälligkeit und die Doppelzüngigkeit der USA, die ehemalige Größe des chinesischen Reichs oder das Scheitern der Sowjetunion keine neuen Erkenntnisse. Andererseits muss man Frank zu Gute halten, dass gerade Wissenschaftler wie er diese quergedachten Ansätze in die Öffentlichkeit getragen haben. So schafft es Frank, auch in seinem letzten Buch zu polarisieren: Was für den einen vereinfachte Halbweisheiten und plumpe Provokationen sind, sind für den anderen gut verdaubare Analytik und geniale Subversion.

Andre Gunder Frank: "Orientierung im Weltsystem. Von der Neuen Welt zum Reich der Mitte". Promedia Verlag, Wien 2005

* Aus: Neues Deutschland, 19. Dezember 2006


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