Jammern der Milliardäre
Beobachter registrieren »Gefühl der Angst« in Davos. Beim 42. Weltwirtschaftsforum sorgen sich globale Oligarchen um ihre und die Zukunft des Systems
Von Rainer Rupp *
Am Mittwoch (25. Jan.) begann das 42. Treffen des Weltwirtschaftsforums (WEF), bei dem alljährlich die selbsternannte globale Elite im Schweizer Nobelkurort Davos zusammenkommt. Diesmal stand das mehrtägige Treffen unter dem Motto: »Die große Transformation – neue Modelle gestalten«. Im Grunde ging es allerdings darum, eine Sprachregelung zu finden, wie der Kapitalismus angesichts seines totalen Versagens neu legitimiert und über die Krise gerettet werden kann. Unterpunkt dabei: Wie kann der drohende Zusammenbruch des Lieblingsprojektes des neoliberalen Kapitals, des Euro, verhindert werden.
Deshalb übten sich die Protagonisten zunächst in Kritik: Nach vier Jahren tiefer Krise haben scheinbar auch die »Macher« der globalen Wirtschaft gemerkt, daß etwas nicht mehr stimmt. Allen anfänglichen Prognosen zum Trotz können die Probleme nicht überwunden werden. Alle traditionellen »Heilmittel« von der medialen Gesundbeterei über staatliche Gelddruckorgien bis zur Hals-über Kopf-Verschuldung kommender Generation haben nicht nur kläglich versagt, sondern die Probleme verschlimmert.
In Davos wurden Klagen laut, die in diesen Kreisen sonst nie zu hören waren: Über die die Umwelt vernichtende Wirkung unkontrollierter Märkte, über den selbstzerstörerischen Kapitalismus, der auf Kosten der Südhalbkugel und künftiger Generationen auch in den entwickelten Ländern nur noch die Reichen reicher macht, während der Lebensstandard der Massen sinkt. Rhetorisch stand gar die Frage im Raum, wie lange diese Form des Kapitalismus noch ungestraft weiter wirtschaften kann, bevor es in den betroffenen Gesellschaften zu radikalen Veränderungen zum Nachteil der jetzigen Eliten kommt.
2500 Teilnehmer waren in die Graubündener Pseudoidylle gekommen, darunter 40 Staats- und Regierungschefs wie
Angela Merkel und der Brite David Cameron. Aber auch Dons der internationalen Finanzmafia wie George Soros oder diverse Spitzenbanker und -Broker beehrten das WEF. Soros beispielsweise dürfte die schlimmsten Befürchtungen der anwesenden Oligarchen und Top-Kapitalfunktionäre mit seiner Prognose nur noch bestärkt haben. Die Welt befinde sich in einer der gefährlichsten Zeiten der modernen Geschichte, einer Periode des »Bösen«. Europa stünde der Abstieg in Chaos und Konflikte bevor, so der Mann, der als Milliardenspekulant einst das britische Pfund in die Knie zwang. Und für die USA prognostizierte Soros schwere Unruhen auf den Straßen, die zu einem brutalen Durchgreifen der Sicherheitskräfte und zu drastischen Einschnitten in die bürgerlichen Freiheiten führen würden. Das globale Wirtschaftssystem, so wie wir es kennen, könnte seiner Meinung nach sogar völlig zusammenbrechen.
Der Kommentator einer britischen Nachrichtenagentur berichtete von einem unterschwelligen »Gefühl der Angst« in Davos. Allerdings habe niemand außer Soros die Probleme, die »jeder hier fürchtet«, mit solch »brutaler Offenheit« angesprochen. Dennoch sei das der Hindergrund für »groteske Entwicklungen wie das Gejammer von Milliardären über die globale Last der Ungleichheit« – eine Anspielung auf den US-Multimilliardär Warren Buffet, der aus Sorgen um die zukünftige politische Stabilität der USA seine Mit-Milliardäre aufgefordert hatte, endlich mehr Steuern zu zahlen.
Zum Auftakt wurde in Davos ein Bericht über die Risiken für die Welt im Jahr 2012 vorgestellt. Titel: »Die Saat der Dystopie«. Eine dystopische Gesellschaft ist laut Wikipedia »eine diktatorische Regierungsform bzw. eine Form repressiver sozialer Kontrolle«. In dem Bericht wurde festgestellt, daß viele Indikatoren für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Gesundheit in die falsche Richtung zeigen. Auch in den Diskussionen wurde anerkannt, daß tiefgreifende Reformen des Kapitalismus dringen nötig seien, um eine dystopische Entwicklung zu verhindern – z.B. mit Reformen von oben wie weiland der des deutschen Reichskanzlers Otto Bismarck. Der hatte mit seinen Sozialgesetzen im ausgehenden 19. Jahrhundert einer sozialen Revolution in Deutschland den Wind aus den Segeln genommen.
Im Rahmen der Kritik am neoliberalen Kapitalismus wurde auch der längst in Vergessenheit geratene Karl Polanyi wieder ausgegraben. Der am 1886 in Wien geborene und 1964 in Kanada gestorbene Wirtschaftswissenschaftler wurde durch seine vom liberalen Mainstream abweichende Lehre bekannt, die zwar den Kapitalismus kompromißlos verteidigt, aber zugleich davor warnt, daß vollkommen freie Märkte zum politischen und sozialen Kollaps führen. Angesichts von vier Jahren Krise, die weltweit 200 Million Menschen in die Arbeitslosigkeit gestürzt hat, und wachsender sozialer Proteste und Unruhen auch in den westlichen Staaten hat Polanyi gute Aussichten, zur neuen Lichtgestalt des akademischen Apologeten des Kapitalismus zu werden.
Das Ausmaß der Beunruhigung der »Eliten« über die hochgefährliche Mischung aus wachsender Arbeitslosigkeit, Einkommensungleichheit und Hoffnungslosigkeit wurde auch in einer Meinungsumfrage unter den Teilnehmern der Kapitalismus-Debatte in Davos deutlich: 40 Prozent meinten, das aktuelle System entspreche nicht den Erfordernissen der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts. Nur 20 Prozent waren damit einverstanden, der Rest konnte sich nicht entscheiden. In der anschließenden Debatte zwischen Gewerkschaftsvertretern und Topmanagern zeigte sich jedoch, daß letztere weitreichende Reformen in Richtung Sozialstaat ablehnen. Es mache »keinen Sinn, einer Welt, die längst verschwunden ist, nachzuweinen«, war der Tenor.
* Aus: junge Welt, 28. Januar 2012
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