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Schmähpreis zeigt Wirkung

Der in Davos verliehene Anti-Oscar versetzt vorgeschlagene Unternehmen in Unruhe

Von Martin Ling *

Mit dem Public Eye (Öffentliches Auge) schafft die entwicklungspolitische Organisation »Erklärung von Bern« seit 1999 in Davos eine Gegenöffentlichkeit zum Weltwirtschaftsforum (WEF). Heute um 12.30 Uhr wird in Sichtweite des WEF die Laudatio auf die übelste Firma der Welt gehalten, die zu ihrem Unwillen mit einem Anti-Oscar ausgezeichnet wird.

Sie haben die besten Aussichten auf den Einzug in die Hall of Shame (Halle der Schande): der finnische Energiekonzern Neste Oil und der in London ansässige Ölmulti BP. Die beiden Unternehmen liegen bei der Internet-Abstimmung über die schlimmste Firma des Jahres, die von der entwicklungspolitischen Organisation »Erklärung von Bern« (EvB) und Greenpeace organisiert wird, an der Spitze, wobei Neste Oil mit deutlichem Vorsprung auf die Zielgerade einbog.

Neste Oil steht in der Kritik, weil seine immens steigende Nachfrage nach Palmöl in Indonesien und Malaysia immer mehr Landvertreibungen und Regenwaldzerstörungen nach sich zieht. Dort hat der Hauptlieferant von Neste Oil – IOI – seine Palmöl-Konzessionen verdoppelt, weil Neste Oil derzeit die Produktionskapazitäten in Rotterdam und Singapur ausbaut.

Warum BP ein heißer Kandidat ist, lässt sich leicht erraten: Das Unternehmen ist laut EvB und Greenpeace »für die zweitgrößte Ölkatastrophe aller Zeiten verantwortlich – nur Saddam Husseins Abfackeln der kuwaitischen Ölfelder 1991 war noch verheerender«. Die Bilder haben alle noch vor Augen: Am 20. April 2010 explodierte die Tiefsee-Bohrinsel »Deepwater Horizon« im Golf von Mexiko. Elf Menschen starben, und bis das Loch 87 Tage später gestopft wurde, flossen mindestens 800 Millionen Liter Öl ins Meer.

Neben der Internet-Abstimmung wird auch eine Fachjury ihr Urteil über die übelste Firma abgeben, bevor der Anti-Oscar 2011 entweder an ein oder bei unterschiedlichen Voten an zwei Unternehmen verliehen wird.

Bei der Preisverleihung 2011 wird einiges neu. Gab es noch 2010 je einen Anti-Oscar für ein Schweizer und ein Nicht-Schweizer Unternehmen und einen »Greenwash Award« für Schönfärberei, ergänzt um einen Positivpreis für mutige Aktivisten, beschränken sich die EvB und Greenpeace 2011 auf einen Publikums- und einen Jurypreis. »Reduce to the max«, heißt die Erfolgsformel, sagt EvB-Sprecher Oliver Classen gegenüber ND, das heißt: Durch Konzentration der Mittel will man mehr Aufmerksamkeit erzielen.

Das funktioniert offensichtlich. Über 50 000 Personen haben an der Internet-Abstimmung teilgenommen. 150 000 hätten die Seite mit den Kurzbeschreibungen der sechs für den Schmähpreis infrage kommenden Unternehmen besucht, zwei Millionen Besuche verzeichnete die Website insgesamt, freut sich Classen über die klare Verdopplung gegenüber dem Vorjahr. Und das gesteigerte Interesse beschränkt sich nicht auf die Öffentlichkeit. »So viele Reaktionen von den auf der Liste stehenden Unternehmen gab es noch nie. Sie alle wollen wissen, ob sie den ungeliebten Preis erhalten.«

Dass es nicht unerhebliche Konsequenzen nach sich ziehen kann, auf der Negativliste zu landen oder gar den Schmähpreis zu erhalten, zeigt sich an Neste Oil. Das Vorhaben des Konzerns, bald via Lufthansa und Finnair ins Kerosingeschäft einzusteigen, hat Gegenwind erhalten. »Finnair erwägt, seine Geschäftsverbindungen zu Neste Oil zu kappen«, freut sich Classen über einen Teilerfolg. Er skizziert das Ziel von Public Eye so: »Wir üben Druck auf besonders unverantwortliche Unternehmen aus, damit die ihre menschen- und umweltverachtenden Geschäftspraktiken einstellen.«

Diesen Vorwurf müssen sich dieses Jahr neben Neste Oil und BP auch der südafrikanische Bergbaukonzern Anglogold Ashanti wegen massiver Wasserverschmutzung, der durch zahlreiche Mitarbeiterselbstmorde in die Schlagzeilen geratene taiwanesische Elektronikhersteller Foxconn, das Schweizer Energieunternehmen Axpo mit seinem »sauberen« Atomstrom und der Tabakriese Philipp Morris gefallen lassen, der derzeit gegen Nichtraucherschutzgesetze in Uruguay klagt. Laut Classen spielen die 1000 wichtigsten Konzerne auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos die erste Geige: »Die G 1000 bestimmen die politische Agenda der G 20-Staaten.« So wird es noch dauern, bis die Forderung der EvB und von anderen nach rechtlich verbindlichen internationalen Regeln zur Unternehmensverantwortung Realität wird.

Mehr Infos unter: www.publiceye.ch

* Aus: Neues Deutschland, 28. Januar 2011


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