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Die Wirtschaftselite und ihre Plattitüden

Wirtschaftsprominenz will auf dem Weltwirtschaftsforum den Planeten "umbauen"

Von Urs Fitze, Davos *

Heute abend (26. Jan.) kommen die Teilnehmer des Weltwirtschaftsforums in Davos an. Es hat sich für dieses Jahr das Ziel gesetzt, »die Welt zu verbessern«.

»Umdenken, umgestalten und umbauen« möchten die Veranstalter um WEF-Präsident Klaus Schwab den Planeten. Nichts weniger ist das Motto des bis Sonntag dauernden diesjährigen Weltwirtschaftsforums in Davos. Es beginnt am kommenden Mittwoch. Das ist, wie üblich, etwas dick aufgetragen. Doch Schwab zählt zu den nachdenklicheren Persönlichkeiten der weitgehend selbst ernannten »Eliten« aus Wirtschaft, Politik, Religion und Gesellschaft, die sich alljährlich in Davos ein Stelldichein geben.

Kürzlich schrieb Schwab in einem Beitrag im »Wall Street Journal«: »Jedes Unternehmen bildet eine Gemeinschaft, die sich aus Interessenvertretern zusammensetzt, sozialen Gruppen, die direkt oder indirekt mit dem Unternehmen verbunden sind und die von dessen Erfolg und Gedeihen abhängen.« Die Unternehmensführer seien die »Kuratoren« und Sachwalter für alle Interessengruppen -- nicht nur für die Aktionäre. In den vergangenen Jahren sei dieser gemeinschaftliche Geist mehr und mehr auseinandergebrochen. Diese »Erosion der sozialen Werte« sei einer der Hauptgründe für die aktuelle Wirtschaftskrise.

Schwab ist der Meinung, die Unternehmen seien zu rein funktionalen Einheiten geworden mit dem Ziel, »in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Gewinn zu erwirtschaften«, und hätten ihren eigentlichen Zweck, Güter und Dienstleistungen für die Allgemeinheit herzustellen, aus dem Auge verloren. Die aktuelle Krise müsse als Mahnung verstanden werden, »unsere moralischen und ethischen Normen zu überdenken«. Schwab befürchtet, angesichts der wieder um sich greifenden Euphorie an den Börsen und Banker-Boni in Milliardenhöhe, dass diese neue Nachdenklichkeit längst nicht bis in alle Chefetagen vorgedrungen sei. Vor diesem Hintergrund wäre eine Wertedebatte noch vor institutionellen Reformen zu führen.

Schwab darf sich bestätigt fühlen durch das Ergebnis einer vom WEF angestoßenen Umfrage, an der sich über 130 000 Facebook-Nutzer aus Deutschland, Frankreich, Indien, Indonesien, Mexiko, Saudi-Arabien, Südafrika, der Türkei und den USA beteiligten. Zwei Drittel sind der Meinung, die Finanzkrise sei auch eine Wertekrise. Gerade ein Viertel geht davon aus, dass große, international operierende Unternehmen einen auf Werten basierenden Ansatz bei ihren Geschäften verfolgen. Etwas besser kommen die kleinen und mittleren Betriebe weg. Ebenfalls zwei Drittel sind der Überzeugung, dass die Menschen in ihrem beruflichen Leben andere Werte vertreten als im privaten Bereich.

Ob die Wirtschaftsführer und Politiker beim Weltwirtschaftsforum das miserable Image, das sie offensichtlich in einer breiten Öffentlichkeit haben, überhaupt ernsthaft beschäftigt? Ob sie auch zur Selbstkritik fähig sind? Man hatte in den vergangenen Jahren in Davos nur selten diesen Eindruck. Lieber feierte man sich selbst, oder man überbot sich im Rampenlicht der Öffentlichkeit mit pathetischen Floskeln, wohl auch aus einem am WEF latent anzutreffenden Hang zur Selbstüberschätzung.

Ob es dieses Jahr anders sein wird? 2009 hatte die große Wucht der Finanz- und Wirtschaftskrise immerhin auch einige Bosse nachdenklich gemacht, manche streuten sich Asche aufs Haupt. Doch mit dem Bekenntnis zu einer neuen Ethik alleine wird es nicht getan sein. Viel wichtiger, betont Roger de Weck, Autor des Buches »Nach der Krise: Gibt es einen anderen Kapitalismus?«, sei ein neues Regelwerk: »Ich glaube weniger an die Kraft der Moral als an die Kraft der Regeln. Was wir brauchen, ist ein neues Gleichgewicht zwischen Kapital und Arbeit, zwischen Staat und Wirtschaft, zwischen Eigennutz und Gemeinnutz, zwischen Nord und Süd.«

WEF & WSF

Das »World Economic Forum« (Weltwirtschaftsforum, WEF) ist eine 1971 vom Wirtschaftsprofessor Klaus Schwab gegründete Stiftung mit Sitz in der Schweiz. 1000 Unternehmen sind hier zusammengeschlossen. Sie ist bekannt geworden durch das gleichnamige, jährlich Ende Januar stattfindende informelle Treffen der Wirtschafts- und Politikelite im abgeschirmten Schweizer Nobelurlaubsort Davos. Veranstaltet werden auch Regionaltreffen, eines in China mit Schwerpunkt aufstrebende Schwellenländer. Außerdem veröffentlicht das WEF Forschungsberichte.

Das diesjährige 40. WEF eröffnet am Mittwoch (27. Jan.) Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy. Auf der Gästeliste stehen zahlreiche Konzernchefs, etwa von Dell, Total und der Deutschen Bank, sowie 30 Staats- und Regierungschefs, darunter Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva. Der Erzbischof von Canterbury, Rowan Williams, und der Münchner Erzbischof Reinhard Marx werden den Managern ins Gewissen reden. Die rund 200 Gesprächsrunden drehen sich um Themen wie Nuklearwaffen, grünes Wirtschaftswachstum, Armut, Bevölkerungswachstum, neue Managementstrategien und Hilfen für Haiti. An drei Tagen findet das vom Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund mitveranstaltete Offene Forum Davos statt, auf dem über Themen wie Klimawandel sowie Religion und Gewalt diskutiert wird.

Globalisierungskritiker werfen dem WEF vor, hier würden die Eliten, abgeschottet von der Welt, neoliberale Konzepte vorantreiben. Stimmen aus der Dritten Welt und der Zivilgesellschaft seien völlig unterrepräsentiert, Kapitalismuskritik unerwünscht. Aus diesem Grunde wird seit 2001 parallel zum Davoser Treffen das für alle Interessenten offene Weltsozialforum (WSF) in Lateinamerika, Asien oder Afrika veranstaltet, an dem zur Hochzeit über 100 000 Menschen teilnahmen. Es hat aber mittlerweile an Bedeutung verloren -- ebenso wie sich die Aufregung über das WEF etwas gelegt hat. ND



* Aus: Neues Deutschland, 26. Januar 2010


Alternativen diskutieren

Aktionswoche von WEF-Kritikern in Davos

Von Niels Seibert **


Von Mittwoch bis Sonntag (27.-31. Jan.) werden Globalisierungsgegner in Davos ihre Kritik am World Economic Forum (WEF) vielfältig präsentieren.

Wie können wir aus der schwersten Wirtschaftskrise seit den 1930er Jahren heraustreten? Welche Alternativen zum gegenwärtigen Wirtschaftssystem bieten sich an? Mit diesen Fragen setzen Kritiker des WEF auf Podiumsdiskussionen und in Filmveranstaltungen eigene Akzente während des Jahrestreffens von Wirtschaftsexperten, Politikern und Journalisten.

Mit den »Public Eye Awards« wird auch dieses Jahr wieder ein kritischer Kontrapunkt zum Programm des WEF in Davos gesetzt. Die entwicklungspolitische Organisation »Erklärung von Bern« vergibt zusammen mit Greenpeace Schweiz an Konzerne »Schmähpreise«, um deren menschen- und umweltverachtende Geschäftspraktiken in der Weltwirtschaft aufzuzeigen. Nominiert sind u.a. der Pharmariese Roche, der Energiekonzern GDF Suez und das Internationale Olympische Komitee.

Ein Höhepunkt der Proteste ist die als »farbig« angekündigte Demonstration am 30. Januar, zu der die JungsozialistInnen Schweiz mit der Grünen Partei und dem Verein Autonome Jugend Davos aufrufen haben. Unter dem Motto »Eine andere Welt ist möglich und nötig« wollen die Anmelder den angereisten »Global Leaders« zeigen, dass ihre »Abzockerei« nicht zu höheren Lebensstandards führt, sondern Armut verstärkt und Umwelt zerstört. Gemeinsam fordern sie, dass die Unternehmen ihre soziale und ökologische Verantwortung weltweit wahrnehmen und dafür von der Politik rechtsverbindlich in die Pflicht genommen werden.

Bereits am vergangenen Samstag (23. Jan.) demonstrierten in Luzern etwa 700 Globalisierungskritiker gegen das WEF. An der Aktionswoche beteiligen sich linke Parteien, Jugendorganisationen, Gewerkschaften, Kirchen und Kulturvereine, die mit mehreren Konzerten »zum Schallangriff aufs WEF blasen«.

** Aus: Neues Deutschland, 26. Januar 2010


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