Rund 2.400 Teilnehmer aus 90 Ländern werden vom 24. bis zum 28. Januar 2007 beim Weltwirtschaftsforum (World Economic Forum/WEF) in dem Schweizer Wintersportort Davos erwartet. Unter den 24 Staats- und Regierungschefs, die sich zu der Konferenz angesagt haben, sind auch die deutsche Bundeskanzlerin und EU-Ratsvorsitzende Angela Merkel, die die Eröffnungsrede halten wird, und der britische Premierminister Tony Blair. Auch der palästinensische Präsident Mahmoud Abbas (Abu Mazen), der brasilianische Staatschef Luiz Inacio Lula da Silva, der südafrikanische Präsident Thabo Mbeki sowie der ukrainische Regierungschef Viktor Janukowitsch haben sich angesagt. Das Treffen wird von tausenden Soldaten und Polizisten bewacht werden.
Auch Gegenkräfte und Kritiker werden zur Stelle sein. Ob sie es zahlenmäßig mit der Polizei werden aufnehmen können? Im Folgenden dokumentieren wir zwei Artikel, die in der jüngsten Ausgabe der Schweizer Wochenzeitung WOZ erschienen sind.
Greenpeace boykottiert das Weltwirtschaftsforum (Wef) nicht. Im Gegenteil: Gerd Leipold, Chef von Greenpeace International, fliegt zum zweiten Mal nach Davos, um, wie er selbst sagt, die grösste Lobbyveranstaltung Europas für die Umwelt zu nutzen. «Durch das enorme Wachstum in Asien werden die Ressourcen- und Abfallprobleme immer deutlicher. Deswegen ist es zu begrüssen, dass das Wef darüber redet», sagt der Chef einer der grössten Umweltorganisationen der Welt gegenüber der WOZ.
Leipold zählt seine Wef-Agenda auf: Zusammen mit Coca-Cola, Pepsi und Ikea lädt Greenpeace zur Veranstaltung zur Verminderung der Treibhausgase. «Wir sind mit diesen Firmen dabei, den Kühlmarkt ökologisch umzukrempeln.» Dann ein Treffen mit Michael Dell, dem CEO des weltweit grössten Computerherstellers Dell, um für eine geplante Kampagne gegen Elektroschrott «Nägel mit Köpfen» zu machen. «Dell ist da auf einem guten Weg, ganz anders als Apple», sagt der Greenpeace-Chef. «Wir nehmen kein Geld von Firmen oder Staaten, das erlaubt uns, unbeschwert Koalitionen zu bilden, wenn es der Umwelt dient.»
Das Wachstum beschleunigen
Leipold nimmt am Wef auch an einem Podium zum Thema Klimawandel teil. Der im Auftrag der britischen Regierung verfasste «Stern-Report», der die (katastrophalen) wirtschaftlichen Folgen der globalen Erwärmung aufzeigt, habe dafür gesorgt, dass das Thema Klimaschutz wieder weit oben auf den Traktandenlisten der PolitikerInnen stünde. «Klimaschutz ist unsere wichtigste Kampagne. Wir werden am Wef mit unserer Meinung nicht zurückhalten», sagt Leipold. Das Wef sei für Greenpeace wichtig, trotzdem stehe man der Veranstaltung kritisch gegenüber: «Unsere Kritik zielt darauf, dass eine private Veranstaltung für sich in Anspruch nimmt, die öffentliche Agenda bestimmen zu wollen.»
Das Wef hat laut einem ihrer Sprecher nichts von seiner Wichtigkeit als Lobbyveranstaltung verloren. Die Wirtschaft ist mit 800 ManagerInnen so präsent wie noch nie. Dazu kommen 150 «young global leaders», GewerkschafterInnen, VertreterInnen aus Forschung, Kultur und Sport, 180 RegierungsvertreterInnen, 80 VertreterInnen von NGOs, 180 RepräsentantInnen akademischer Organisationen, «20 religiöse Führungskräfte», 400 JournalistInnen, davon 70 aus der Schweiz. Die prominentesten Gäste sind der PLO-Vorsitzende Mahmud Abbas, der britische Premier Tony Blair, die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, Weltbank-Chef Paul Wolfowitz, WTO-Chef Pascal Lamy sowie Mohammed el-Baradei, Chef der Internationalen Atomenergiebehörde. Des Weiteren reisen die PremierministerInnen Finnlands, Ägyptens, der Ukraine sowie der König von Jordanien an. Die Bush-Regierung glänzt (laut aktuellem Stand) durch Abwesenheit. Das Motto lautet: «Die globale Agenda gestalten im Zeichen sich verändernder Kräfteverhältnisse». Die Fragen: «Wie kann man das Wachstum beschleunigen? Wie steigern? Wie Fehlentwicklungen entgegentreten?»
Der Bundesrat misst dem Wef «grosse Bedeutung» zu, schreibt er in einer Medienmitteilung. SP-Bundesrätin Micheline Calmy-Rey eröffnet als Bundespräsidentin gemeinsam mit Klaus Schwab den Anlass. Die Bundesräte Doris Leuthard und Hans-Rudolf Merz reisen ebenfalls nach Davos. UBS-Chef Marcel Ospel wird voraussichtlich wieder, wie in den vergangenen Jahren, im Trainer im Restaurant des Hotels Pöstli sitzen und im Dreissigminutentakt Lobbyisten empfangen. Leibwächter der Schweizerischen Eidgenossenschaft werden den Eingang schützen.
Begrenzte Proteste
Damit zum Beispiel keiner dem UBS-Chef eine Torte ins Gesicht wirft. Denn auch Tortenwerfer seien unterwegs nach Davos, berichtete die Sonntagspresse. Doch auch wenn der Klimawandel als Thema allmählich salonfähig ist, die weltweite Arbeitslosenzahl 2004 mit 185,9 Millionen einen neuen Höchststand erreichte und die Folgen der Globalisierung mit dem ehemaligen US-Vizepräsidenten Al Gore oder dem Exchefökonomen der Weltbank Joseph Stiglitz immer mehr und vor allem populärere Kritiker finden: Der Protest wird sich in Davos voraussichtlich in Grenzen halten. Das liege vor allem an der massiven Repression gegen Wef-GegnerInnen, heisst es bei Attac Schweiz. Trotzdem seien kleine Protestaktionen in Davos geplant. Andere Gruppen laden für den Samstag in Davos zum Aktionstag.
Vor Ort findet auch die zentrale Gegenveranstaltung statt: Gemeinsam mit Pro Natura organisiert die Erklärung von Bern seit 2000 das Public Eye. Im Hotel Montana, in Sichtweite des Kongresszentrums und im Fokus internationaler Berichterstattung, verleihen die OrganisatorInnen am Wef-Eröffnungstag zum dritten Mal die Public Eye Awards für «besonders unverantwortliches Konzernverhalten». Vierzig Nominationen sind eingegangen, neun in- und ausländische Firmen kamen in die Endauswahl. Unter den Favoriten auf die «Anti-Oscars» befinden sich Ikea, Novartis, Ruag und Xstrata. Oliver Classen, Mediensprecher der Erklärung von Bern und Koordinator des Public Eye, spart nicht mit Kritik: «Das Wef ist ein Lobbyverein, der behauptet, es ginge ihm um eine bessere Welt. Dass das nicht stimmt, zeigen wir mit unserer Hitliste der unverantwortlichsten Unternehmen, worunter auch dieses Jahr viele am Wef vertretene Konzerne sind.» Es gehe dem Wef letztlich einzig um die Interessen seiner tausend exklusiven Klubmitglieder. Diese Interessen bestünden primär in einer ständigen Steigerung der Umsatzrendite, die Folge davon sei Wachstumswahn. «Diesem Wahn fallen ganze Volksgruppen und Ökosysteme zum Opfer. Das Wef ist ein Kristallisationspunkt dieser Logik.» Zwar hat das Wef laut Classen politisch an Bedeutung verloren, für die Weltwirtschaft sei es jedoch noch immer immens wichtig. «Was sich vor allem verändert hat, ist, dass niemand mehr die Legitimität des Davoser Schaulaufens infrage stellt.»
«Speditive Überprüfung»
Und dieses Schaulaufen ist gut bewacht: Die Armee darf dank Wef einmal im Jahr zeigen, was sie hat, und schickt «fünftausend Soldaten und Helikopter, Fahrzeuge, Sperrmaterial, Gepäckröntgenanlagen, Metalldetektorbogen, Fahrzeuge wie zum Beispiel Sicherheitslimousinen». Alois Hafner, Sprecher der Kantonspolizei Graubünden, sagt, man sehe dem Anlass gelassen entgegen. Und während zur Stunde in Davos Sicherheitszonen eingerichtet und ein Überwachungsstaat aus Armee inklusive Drohnen, Polizei, Geheimdiensten und privaten Sicherheitskräften installiert wird, heisst es im Wef-Papier der Bündner Regierung: Die Landschaft Davos sei bereit, eine Demonstration gegen das Wef zu bewilligen, «sofern die Gewähr besteht, dass die notwendigen Auflagen eingehalten werden. Mit der grosszügig angelegten Kontrollstelle Fideris kann die Überprüfung sämtlicher Reisender nach Davos speditiv erfolgen und ohne jegliche Schikanen.» Vor allem die «Kontrollstelle Fideris» wird von den Wef-GegnerInnen kritisiert: Wer am Tag einer allfälligen Demonstration nach Davos reist, wird hier kontrolliert, registriert, fichiert. Das Schleusensystem zeige, dass der Bundesrat beim Wef keine demokratische Äusserung des Protests auf der Strasse dulde, heisst es bei Attac.
Der Schutz des Privatklubs kostet die Schweiz wie jedes Jahr rund acht Millionen Franken.