Globalisierung von oben oder von unten?
von Erhard Crome, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin *
Die Sozialforumsbewegung wurde anfangs
in der Selbstwahrnehmung wie von außen
als gegen „die Globalisierung“ gerichtet
verstanden. Das wurde von den Schreibern
des Neoliberalismus dann gern benutzt,
um die Protestierer gegen die „schöne
neue Welt“ der Globalisierung als Ignoranten
gegenüber dem „historischen Fortschritt“
darzustellen, die – ähnlich den
Maschinenstürmern des 19. Jahrhunderts
– die Zeichen der Zeit nicht verstanden
hätten. In den Debatten der folgenden Jahre
wurde dann in der Bewegung selbst
erarbeitet, dass es nicht gegen „die
Globalisierung“, sondern um eine andere
Globalisierung geht. DemonstrantInnen aus
der indigenen Bewegung Ekuadors brachten
es auf dem ersten Sozialforum Amerikas
in Quito im Jahre 2004 auf den Punkt:
„Ihr globalisiert die Armut – wir globalisieren
den Widerstand“.
Proteste zielen auf eine andere Globalisierung
Als in Europa die Gemäuer des Realsozialismus
zu Staub zerfielen, als die Sozialdemokratie
aufhörte, „Dritte Wege“ begehen
zu wollen, und sich dem neoliberalen
„Konsens von Washington“ zuordnete, da
erreichten die Verhältnisse im Süden Amerikas
wieder ein neues Maß der Unerträglichkeit.
Der Kapitalismus in Lateinamerika
trat in den 1960er Jahren in eine neue
Phase der Industrialisierung und Akkumulation
ein. Parallel dazu entwickelten sich
die Gegenkräfte. Sie zu zerstören errichtete
der Kapitalismus Militärdiktaturen, in Brasilien,
in Argentinien, in Chile mit dem Sturz
von Präsident Allende am 11. September
1973, in Uruguay. In Lateinamerika war
Offensive des Kapitalismus nie zuvörderst
Investitions- und Kreditpolitik, sondern blutiger
Terror. Hier sind nicht Kapitalismus und
Demokratie in eins gesetzt, wie es in den
Sonntagsreden im Norden der Welt so
schön heißt, sondern Kapitalismus und Diktatur.
Demokratie dagegen gibt es nur, wenn
die Menschen von unten sie erkämpfen.
Ohne Aufstand der Zapatistas in Chiapas
(Mexiko) seit Mitte der 1990er Jahre hätte
es keine Großdemonstrationen gegen die
Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation
(WTO) in Seattle (USA) 1999
gegeben, gegen die Jahrestagung des Internationalen
Währungsfonds in Prag im
Jahre 2000, gegen den G8-Gipfel in Genua
2001 – heißt es in Lateinamerika. Porto Alegre, das Weltsozialforum seit 2001,
war dann der Versuch, den vielen Betroffenen
Stimme zu geben, sie zusammenzuführen:
Gewerkschafter, Frauenorganisationen,
Umweltschützer,
Menschenrechtsgruppen, Schwule und
Lesben, Verbraucherorganisationen, Bauernverbände,
Entwicklungshelfer, kirchliche
Gruppen, Arbeitsloseninitiativen und viele
andere mehr – sie alle erkannten in der
Welthandelsorganisation WTO seit Ende der
1990er Jahre eine undemokratische Institution,
die sich gesellschaftlicher Kontrolle
entzieht, nationale Schutzstandards zu unterminieren
bestrebt ist und vor allem die
Interessen der transnationalen Großkonzerne
verfolgt. So kam das Weltsozialforum
zustande, als Kontrastprogramm zum
Weltwirtschaftsforum von Davos, als das
Forum von „unten“ gegen das von „oben“,
als das des „Südens“ gegen den „Norden“.
Die vielen verschiedenen Gruppen und
Organisationen, die zuvor kaum miteinander
zu tun hatten, fanden einen gemeinsamen
Raum zum Dialog.
Auch die jährlich stattfindenden G7-, dann
G8-Gipfel (unter Einbeziehung Russlands)
wurden bald als selbst ernanntes und nicht
legitimiertes Direktorium verstanden, das der
Welt seine neoliberalen
Globalisierungsrezepte zu oktroyieren
betrebt ist. Proteste gegen diese Treffen
verstanden sich daher stets als Ausdruck
des Willens der Zivilgesellschaft, daß das
Recht der Völker auf Selbstbestimmung, auf
Bestimmen des eigenen Schicksals höher
stehen muß als das Gewinnstreben der
Reichen und Mächtigen.
Putins G8-Gipfel 2006
Russland war in St. Petersburg im Juli 2006
erstmals Gastgeber eines der G8-Gipfel. Es
ging um Energie. Präsident Putin hatte alle
Mühe geben lassen, den Gipfel im Sinne
des neoliberalen Programms zu einem Erfolg
zu führen. Es waren insbesondere die
linken, globalisierungskritischen Menschen
aus Russland und aus dem Ausland, die in
St. Petersburg diese Politik und ihre Folgen
zu kritisieren sich bemühten, die die
Folgen des neuen russischen
Autoritarismus zu spüren bekamen: Schikanen
gegen russische Aktivisten, die an
der Anreise gehindert wurden, Verbote bei
den Demonstrationen, Verhaftungen inländischer
und ausländischer Teilnehmer,
Denunziationen in den Medien, insbesondere
auch gegen die ausländischen Gipfelkritiker.
Die Freiheitsgrade, die die Linke in
Westeuropa heute hat, sind in Russland
Zukunftsmusik.
Auch die bürgerliche Presse in Deutschland
betonte und betont, an der demokratischen
Orientierung der Putin-Regierung
bestünden „erhebliche Zweifel“. Das neue
Russland trage nicht demokratische, sondern
autokratische Züge. Putin habe, „ohne
Rücksicht auf Verluste, die Energiewirtschaft
des Landes unter seine Kontrolle gebracht“.
Das klingt so, als sei Putin jetzt der Herr
über Öl und Gas. Tatsächlich jedoch wird
auf etwas ganz anderes gezielt. In der
Jelzin-Zeit gab es neben einer „Zeit der
Wirren“ auch geöffnete Türen für das Auslandskapital. Die USA haben es machtpolitisch
nicht versäumt, ihre militärischen und
politischen Positionen in Zentralasien und
in der Kaukasus-Region auf- und auszubauen,
und die US-Ölfirmen sind dort ihrerseits
aktiv geworden. Putin hat dann die
Ordnung im Innern wiederhergestellt, zunächst
im ursprünglichen Sinne der Wiederherstellung
der öffentlichen Ordnung
und des Schutzes von Leib und Leben der
Bürger, und eine gewisse Ordnung von
Gesetzlichkeit geschaffen. Zugleich zielten
die Schritte der Regierung darauf, dass
Russland über seine Naturreichtümer selbst
verfügen soll, während der Westen meint,
die USA und die westlichen multinationalen
Konzerne sollten dieses Verfügungsrecht
haben.
Man darf gespannt sein, wie im Hinblick
auf den diesjährigen G8-Gipfel in Heiligendamm
die Propaganda in dieser Frage sich
gestalten wird. Beim Gebrauch der Wörter
ist also Vorsicht angezeigt: Wenn die
Mainstream-Medien von Freiheit in
Russland schreiben oder reden, meinen
sie die Freiheit der USA, über die russischen
Ölvorkommen zu verfügen; wenn die
Linken und Globalisierungskritiker über
Freiheit sprechen, meinen sie die Freiheit,
diese ganze neoliberale Aneignung und
Herrschaft überhaupt zu kritisieren.
Und da hockten erstere und Putin in einem
Boot: Die Kritik an der neoliberalen
Politik des Kreml stellt die Grundlagen der
kapitalistischen Herrschaft in Russland, Verlauf
und Ergebnisse, Nutznießer und Opfer
jener sogenannten Transformation in
Frage. Deshalb die Schikanen in St. Petersburg
während des Gipfels gegen die Linken.
Auf das grundrechts-staatliche Deutschland
scheint das bereits abgefärbt zu haben:
Wie berichtet wird, reicht bereits jetzt –
Wochen vor dem Gipfel – das Radfahren in
der Nähe des Millionen-Euro-teuren
Zauns, um sich in Heiligendamm einen
„Platzverweis“ einzuhandeln. In Mecklenburg-
Vorpommern werden schon mal ganze
Gefängnistrakte freigeräumt, um
missliebige Demonstranten darin „unterzubringen“.
Nach dem Weltsozialforum von Nairobi
Kein Weltsozialforum wurde so schlecht
kommentiert, wie das in Nairobi, das vom
20. bis 25. Januar 2007 stattgefunden hat.
Grundtenor: Es habe sich überlebt, sei nicht
mehr zeitgemäß, die Themen seien längst
in den Mainstream eingegangen, und ansonsten
gäbe es noch immer keinen
Durchführungs-Plan für die „Andere Welt“,
die da möglich sein soll.
Im Hintergrund steht ein ernstes Problem
auch der heutigen politischen Auseinandersetzungen.
In den sozialistischen Debatten
des ausgehenden 19. und beginnenden
20. Jahrhunderts war es nicht unüblich,
politische und soziale Auseinandersetzungen
mit militärischen Begriffen auf den Punkt
zu bringen. Franz Mehring, einer der wichtigen
Theoretiker zu jener Zeit, benutzte den
Begriff der „Niederwerfungsstrategie“ im
Unterschied zu einer „Ermattungsstrategie“.
In diesem Sinne war die Grundkonstellation
wie folgt zu beschreiben: Nach
der Selbst-Schwächung des Kapitalismus
durch den von ihm selber herbeigeführten
ersten Weltkrieg entstand eine Situation, in
der die revolutionären Linken in Russland
die Revolution, das heißt eine
„Niederwerfungsstrategie“ auf die Tagesordnung
gesetzt hatten. Die endete in
Russland mit dem Sieg und seiner Verteidigung
im Bürgerkrieg. Alles danach – unterbrochen
durch den Überfall Hitlerdeutschlands
auf die Sowjetunion – in der
Systemauseinandersetzung des 20. Jahrhunderts
verlief nach den Regeln des
„Ermattungskrieges“. Das betrifft übrigens
nicht nur das Aufbrauchen der wirtschaftlichen,
militärischen und politischen Reserven,
sondern auch die Ermüdung der geistigen
und ideologischen. Mit anderen Worten:
Während die russische Oktoberrevolution
unmittelbar nach ihrem Stattfinden eine
große Resonanz in vielen Ländern Europas
und darüber hinaus, auch in den kolonial
unterdrückten Völkern fand, verblasste
dieser Glanz, je länger der „reale“ Sozialismus
existierte, nicht nur wegen der Lager
und der wirklichen Verbrechen, sondern
auch wegen des glanzlosen Alltags,
der leeren Geschäfte und der am Ende
auch leeren Ideologie.
Jetzt wird auf eine ähnliche Konstellation
gehofft. Die Globalisierungsgewinnler hokken
zwischen ihren erbeuteten Eigentumstiteln
der Privatisierungsorgien der vergangenen
Jahrzehnte, in den von ihnen errichteten
Dschungeln von Verträgen, Verordnungen
und Kreditkonstruktionen, die
alle auf das gleiche zielen: Gewinne zu privatisieren,
Verluste den betroffenen Gesellschaften
aufzubürden und Sozialstaatlichkeit
zu demolieren und verantwortliches staatliches
Handeln zu diskreditieren. Dann kamen
Anfang des Jahrzehnts die Sozialforums-
und andere kritische Bewegungen
dazwischen, die diese gesamte Entwicklung
kritisierten und mit dem Slogan: „Eine andere
Welt ist möglich“ die neoliberale Ideologie
und Herrschaftspraxis grundsätzlich
in Frage stellten.
Nun hoffen die Reichen und Mächtigen,
dass das ausläuft, der Schwung abnimmt,
die Strahlkraft der Idee nachlässt. Wichtige
Akteure in den sozialen Bewegungen aber
wissen dies. Sie wissen, dass die anderen
nur darauf warten. In Nairobi wurde ein
neues Niveau der Vernetzung zwischen
den unterschiedlichsten Kräften erreicht.
Die kritischen Bewegungen sind reifer geworden.
Sie gehen davon aus, dass Hegemonie
nicht im Handstreich zu gewinnen
ist. Der Ermattungsstrategie der anderen
wird eine eigene entgegengestellt.
Im Juni wird Heiligendamm der Ort sein,
an dem sich das erneut manifestiert. Und
auch dort wird nicht nur gegen den G8-
Gipfel protestiert werden, sondern eine breite,
internationale Debatte über die Alternativen
geführt werden.
* Dieser Beitrag erschien in: FriedensJournal, Nr. 3, Mai 2007
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