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Westen außen vor

Gemeinsam gegen Katastrophe: BRICS-Staaten demonstrieren gestärkte Zusammenarbeit. Uneinigkeit bei Gründung von Entwicklungsbank

Von Christian Selz, Kapstadt *

Indiens Premierminister Manmohan Singh, so berichtete es der indische Sunday Express, reagierte verschnupft. Im prasselnden Regen von Durban hatte Südafrikas Präsident und Gastgeber Jacob Zuma eine Stunde lang die Delegation seines Kollegen warten lassen und statt dessen sein Treffen mit Rußlands Staatsoberhaupt Wladimir Putin kräftig überzogen. Am Ende blieben für die Inder nur noch zwanzig Minuten am Folgetag – eine Zumutung für Singh, der dankend ablehnte. Im Gesamtrahmen des jährlichen Treffens der einflußreichen BRICS-Gruppe (sie umfaßt die sogenannten Schwellenländer Brasilien, Rußland, Indien, China sowie Südafrika) Ende März in der Hafenmetropole, blieb die Protokollverfehlung Zumas allerdings eine medial aufgebauschte Randnotiz. Das wahre Signal des zweitägigen Treffens ist eines wachsender Einigkeit und Resultat des globalpolitisch gewichtigen Zusammenschlusses, dessen Namensgebung ursprünglich eine Wortschöpfung des Goldman-Sachs-Chefvolkswirts Jim O’Neill war.

Der Fokus beim ersten Treffen in Afrika – die Republik Südafrika (RSA) war dem losen BRIC-Bündnis erst 2011 beigetreten – lag vor allem auf der vorgeschlagenen Gründung einer eigenen Entwicklungsbank. Erfüllt haben sich diese hohen Ambitionen noch nicht. Während westliche Medien die im Abschlußdokument erstmalig gemeinsam formulierte Absicht zum Aufbau des Geldinstituts zwar bereits als Gegenbewegung und Bedrohung der Bretton-Woods-Institutionen Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF) sehen, übten Analysten aus BRICS-Ländern vorsichtig Kritik an fehlenden Detailentscheidungen. Im russischen Auslandsrundfunkdienst Stimme Rußlands wies der Direktor der Wirtschaftsvereinigung der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit, Denis Tjurin, darauf hin, daß es nicht gelungen sei, einen einheitlichen Standpunkt oder die Höhe des Stammkapitals der Bank festzulegen. Auch über den Sitz der Bank sind sich die Bündnisstaaten noch uneins. Das sei zwar ein Mißerfolg, diese »Geburtswehen«, wie sie das deutschsprachige Magazin Rußland Heute beschreibt, seien allerdings nur als »zeitweiliger« Rückschlag zu sehen, so Tjurin. Die Verknüpfung der BRICS-Staaten schreite dennoch voran, wenn auch »mühevoll, unter Überwindung aller nur möglichen gegenseitigen Unstimmigkeiten«.

Das läßt sich nach dem Treffen von Durban vor allem an unzähligen bilateralen Abkommen ablesen, die die Partner abgeschlossen haben. Südafrika vereinbarte vor allem mit den finanzkräftigen BRICS-Führungsstaaten Rußland und China Verträge zu internationaler Zusammenarbeit, Wirtschaftsentwicklung, Verteidigung, Energieversorgung, Bergbau, Landwirtschaft, Umweltangelegenheiten und Bildung ab. Das Land an der Südspitze Afrikas gilt dabei als Zugangstor zu den Märkten und Rohstoffvorkommen des Kontinents. »Es liegt auf der Hand, daß sich als nächste treibende Kraft für das Wachstum der Weltwirtschaft Afrika anbietet. Dieser Kontinent verfügt über jene Kombination von Faktoren, die vor Jahrzehnten auch Asien zum Erfolg führten: billige Arbeitskräfte, bedeutende Ressourcen und eine große Anzahl potentieller Konsumenten«, kommentiert Rußland Heute daher auch völlig unverblümt.

Noch wesentlich größere globale Bedeutung dürfte die chinesisch-russische Vereinbarung haben, knapp die Hälfte des Handels zwischen den beiden Ländern künftig in den eigenen Landeswährungen abzurechnen – ein eindeutiger Schritt zur Abkopplung – letzten Endes Schwächung – des US-Dollars. China erprobt das derzeit bereits mit Brasilien. Die Aufsetzung eines 100 Milliarden US-Dollar schweren Krisenfonds soll zudem die bisherige Abhängigkeit verschuldeter Entwicklungsländer von Weltbank und IWF eindämmen.

BRICS, das ist in Durban auch ohne die vollendete Bankengründung noch einmal klar geworden, steht nicht mehr nur für die Zukunftsambitionen der aufstrebenden Länder des Südens – das Kürzel vereint auch ihr mit der Wirtschaftsmacht gestiegenes Selbstbewußtsein. »Der Gipfel in Durban war von maßgeblicher Bedeutung, weil konkrete Projekte jetzt Form annehmen«, faßte Brasiliens Außenminister Antonio Patriota zusammen. »Seit der Bewegung der Blockfreien Staaten und ihrer Forderung nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung in den 70er Jahren hat die Welt nicht so eine Herausforderung der westlichen Vormachtstellung durch Entwicklungsländer gesehen«, kommentiert der britische Guardian gar. »Ihre gemeinsame Erfahrung und Ablehnung des neoliberalen Entwicklungsmodells« sei der »Mörtel, der sie zusammenhält«.

Genau an der wirtschaftspolitischen Grundausrichtung des BRICS-Bundes setzt allerdings auch die schwerwiegendste Kritik gegenüber der aufstrebenden Allianz an. Für Lorenzo Fioramonti, Leiter des Centre for the Study of Governance Innovation an der Universität Pretoria, ist ihr Modell zu stark an Wachstumszahlen und zu wenig an sozialen und ökologischen Faktoren orientiert. »Die BRICS-Länder brüsten sich für ihre antiwestliche Rhetorik und kritisieren berechtigterweise den Washington Consensus, aber trotzdem realisieren sie nicht, daß ihnen ihre auf Bruttosozialprodukt-Wachstum basiertes Entwicklungsmodell von genau den imperialistischen Mächten aufgezwungen worden war, gegen die sie angeblich stehen«, so Fioramonti. Nicht nachhaltige Rohstoffverkäufe würden die Bilanzen von Entwicklungsländern schönen, die sich in Wahrheit selbst ausbeuten und verarmen. Das Streben nach steter Wachstumsbeschleunigung führe zu »anhaltender sozialer Ungleichheit, wirtschaftlicher Instabilität und katastrophaler Umweltzerstörung«. Durban kann für die beteiligten Staaten daher nur ein Anfang gewesen sein, wenn es ihnen tatsächlich um die Emanzipation der Völker des Südens geht. Ziel muß ein neues Wirtschaftssystem sein, keine bloße Gegenbewegung. Oder wie es der russische Journalist Fjodor Lukjanow beschreibt: »Es geht nicht darum, gegen den Westen zu arbeiten, sondern ohne ihn.«

* Aus: junge Welt, Montag, 8. April 2013


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