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Alternative nicht in Sicht

Vor 40 Jahren scheiterte das System von Bretton Woods am Niedergang der US-Hegemonie. Heute steht die US-Wirtschaft am Abgrund, doch der Dollar bleibt Leitwährung

Von Lydia Krüger *

Am 15. August 1971 gab US-Präsident Richard Nixon bekannt, daß die bis dahin geltende Verpflichtung, Dollars zu einem festen Kurs von 35 Dollar pro Feinunze in Gold einzutauschen, aufgehoben würde. Die Finanzordnung von Bretton Woods, die auf festen Wechselkursen, Kapitalverkehrskontrollen und einem durch Gold gedeckten Dollar als Leitwährung beruhte, war gescheitert. Der Übergang zu frei schwankenden Wechselkursen leitete das Zeitalter des Finanzkapitalismus ein. Wer die Stabilität der eigenen Währung nicht riskieren will, muß seitdem eine Politik im Interesse der Finanzoligarchie betreiben oder zu scharfen Kontrollen des Kapitalverkehrs bereit sein. »Man kann keine Politik gegen die Finanzmärkte machen«, diese Aussage des ehemaligen Bundesaußenministers Joseph Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) bringt die politische Hegemonie der Finanzoligarchie auf den Punkt.

Ökonomisch ging die Abkehr von Bretton Woods mit rasant wachsenden Strömen und Beständen fiktiven Kapitals sowie immer häufigeren Krisen einher. Nach Zählung zweier Volkswirte des IWF kam es seit Beginn der siebziger Jahre zu 124 systemischen Bankenkrisen mit oft schwerwiegenden Folgen. Waren es zunächst vor allem Entwicklungsländer in Afrika und Lateinamerika, die Anfang der achtziger Jahre fast ausnahmslos unter der Last ihrer Schulden zusammenbrachen, so traf es in den neunziger Jahren auch Japan und aufstrebende Schwellenländer Ostasiens, während die Krisen des neuen Jahrtausends (2001 und 2007 ff.) in den USA ihren Ausgangspunkt und ihr Zentrum hatten.

Grundproblem bleibt

An dem Grundproblem der internationalen Währungsbeziehungen hat sich in den vergangenen 40 Jahren wenig geändert. Damals wie heute wird die Leitwährung von einem Staat kontrolliert, der im Handel mit aufstrebenden Ländern Leistungsbilanzdefizite einfährt, teure Kriege führt und im Zweifelsfall die Notenpresse anwirft, um sich Probleme vom Hals zu schaffen. »Der Dollar ist unsere Währung, aber euer Problem«, dieser Satz, den ein ehemaliger US-Finanzminister zu Beginn der siebziger Jahre fallen ließ, hat angesichts von Billionendefiziten und hoher Verschuldung des Staates wie der privaten Haushalte in den USA eher noch an Aktualität gewonnen. Das Problem haben heute vor allem die Chinesen, die als größte Gläubiger der USA auf 1,15 Billionen Dollarreserven sitzen und im Fall einer Abwertung horrende Verluste verbuchen müßten.

Doch wie wahrscheinlich ist eine solche Abwertung des Dollars? Dies ist einmal davon abhängig, ob die US-Regierung der Versuchung erliegt, zur Reduzierung der Schuldenlast die Notenpresse anzuwerfen. Eine solche Strategie ist zwar langfristig gefährlich. In der Krise hat die US-Zentralbank FED aber nicht gezögert, zur Unterstützung der Banken und Aktionäre eine »quantitative Lockerung« in großem Stil zu betreiben. »Quantitative Easing« bezeichnet eine moderne Art, Geld zu drucken, bei der die Zentralbank Wertpapiere erwirbt und so die umlaufende Geldmenge erhöht. Seit Beginn der Finanzkrise 2007 hat die FED auf diese Weise mehr als zwei Billionen US-Dollar in den Markt gepumpt.

Ob eine Währung attraktiv und stabil ist, hat aber nicht nur mit der Politik der Zentralbank zu tun. Die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft, die Größe von (Finanz)märkten, die Leistungsfähigkeit des Bankensektors, die Tragfähigkeit der Verschuldung sowie zahlreiche politische und gesellschaftliche Faktoren spielen eine Rolle. Das aktuelle Problem der USA ist eher politischer Natur und äußert sich in der Schwierigkeit, sich vor dem Hintergrund des Aufstiegs der rechten Tea Party auf eine Strategie des Krisenmanagements zu einigen. Nicht die hohe Verschuldung an sich, sondern das lange politische Gezerre über die Anhebung der US-amerikanischen Schuldengrenze dürfte der Hauptgrund für die Abstufung der Kreditwürdigkeit der USA durch die Rating-Agentur Standard & Poors gewesen sein, die am Abend des 5. August 2011 verkündet wurde.

Wird die Abstufung des Ratings das Vertrauen in den US-Dollar erschüttern? Es sieht derzeit nicht danach aus. Zwar hat die Entscheidung zu panikartigen Verkäufen auf den Finanzmärkten geführt. Verkauft wurden aber in erster Linie Aktien und eben keine US-Staatsanleihen. Dies verweist auf ein Paradox, das sich schon auf dem Höhepunkt der Finanzkrise zeigte: Obwohl die USA im Zentrum der letzten Weltwirtschaftskrise stand, blieb der Dollar stabil. Die Nachfrage nach US-Schatzbriefen nahm im Zuge der Krise sogar zu, bis deren Rendite fast gegen Null tendierte. Anscheinend gibt es zu wenig andere, sichere Anlageformen, in die derartige Mengen anlagesuchendes Kapital fließen könnten.

Angst vor Staatsbankrott

Zwar gibt es seit zwölf Jahren den Euro und damit auch die Möglichkeit, in die Anleihen europäischer Staaten zu investieren. Doch in Zeiten der EuroKrise sind griechische, portugiesische oder irische Anleihen gar nicht mehr, spanische oder italienische Anleihen immer weniger gefragt. Die Angst vor einem Staatsbankrott ist unter Anlegern schlicht zu groß – zumal es laut EU-Verfassung verboten ist, einem in Nöte geratenen EU-Staat mit Finanzspritzen auszuhelfen. Unter Mißachtung dieser Verfassung wird nun alle paar Monate ein neuer, noch größerer »Rettungsschirm« aufgespannt. Dies nützt den Banken und Vermögensbesitzern, trotzdem breitet sich die Krise wie ein Lauffeuer in der Eurozone aus, da es den Regierungen nicht gelingt, sich auf wirksame Maßnahmen der Krisenbekämpfung zu einigen. Auch hier ist das Hauptproblem also politischer Natur: Sinnvolle Lösungsvorschläge scheitern regelmäßig am Widerstand starker Staaten wie Deutschland. Umgekehrt tragen die von Deutschland geforderten Kürzungsprogramme für die schwächeren Staaten nur zur Verschärfung der Krise bei.

Und was ist mit China? Taugt die Währung der aufstrebenden Wirtschaftsmacht zur globalen Leitwährung? Vermutlich ist es für eine solche Lösung einfach noch zu früh. Denn wer die Leitwährung stellt, braucht ein effizientes und weltweit verzweigtes Bankensystem, was die Chinesen (noch) nicht besitzen. Noch größer sind die politischen Hindernisse. So werden die USA kaum freiwillig auf ihr Privileg als Leitwährungsland verzichten und reagieren entsprechend aggressiv auf jeden Versuch, sich vom US-Dollar zu emanzipieren. Dies spricht auch gegen die Alternative einer künstlichen Leitwährung – man denke an die Sonderziehungsrechte des IWF – die auf einem Korb unterschiedlicher Währungen basieren. Eine solche Alternative propagiert die Stieglitz-Kommission der Vereinten Nationen, und Staaten wie China haben auch bereits angefangen, den US-Dollar durch Sonderziehungsrechte zu ergänzen. Allerdings bedarf es noch weitaus größerer Erschütterungen im Währungs- und Machtgefüge, bevor eine solche durchaus wünschenswerte Alternative auch politisch möglich wird.

* Aus: junge Welt, 15. August 2011


Angst vor Inflation – Flucht in Gold und »Betongeld«

Von Lydia Krüger **

Umfragen zufolge schwindet bei 71 Prozent der Deutschen das Vertrauen in den Euro, 61 Prozent haben Angst vor Inflation. Doch wie wahrscheinlich ist eine Inflation? Gegen sie spricht, daß nur ein Bruchteil des Geldes, das von den (Zentral-)Banken geschaffen wird, als Nachfrage auf den Gütermärkten ankommt und dort die Preise nach oben treibt. Der Großteil des Geldes verbleibt auf den Finanzmärkten und treibt dort neue Spekulationsblüten. Da die Renditeansprüche der Vermögensbesitzer auch in der Krise kaum beschnitten, sondern durch steuerfinanzierte Rettungspakete und frisches Geld der Zentralbank gesichert wurden, sind neue Spekulationsblasen und Krisen unvermeidbar. Dies kann die unterschiedlichsten Märkte erfassen.

Sehr beliebt in Krisenzeiten ist Gold, dessen Preis von 400 US-Dollar pro Unze im Jahr 2005 auf über 1100 Dollar im Dezember 2009 und aktuell über 1700 US-Dollar pro Unze hochgeschnellt ist. Aber auch Nahrungsmittel oder fruchtbare Ackerflächen können zum Spekulationsobjekt werden. Daß aktuell zwei Millionen Menschen in Afrika akut vom Hungertod bedroht sind, hat auch mit Nahrungsspekulation und dem sogenannten »land grabbing« zu tun. In Deutschland hingegen dürfte die aktuelle Flucht ins »Betongeld« die wohl schlimmsten Folgen haben. So gibt es in deutschen Großstädten kaum noch bezahlbaren Wohnraum, da inzwischen fast jede dritte verkaufte Immobilie an einen Kapitalanleger geht.

** Aus: junge Welt, 15. August 2011


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