Formelkompromiss gegen den Artenschwund
Der UN-Gipfel zu Biologischer Vielfalt in Nagoya kam erst zum Schluss in Bewegung / Vertreter aus 193 Staaten verhandelten bis zur letzten Minute
Von Andreas Behn, Nagoya *
Eineinhalb Wochen lang verhandelten Vertreter aus 193 Staaten im japanischen Nagoya über die Stärkung des Artenschutzes. Doch erst am Abschlusstag kam es zu Bewegung.
Erst kurz vor dem offiziellen Ende der UN-Artenschutzkonferenz in Nagoya war eine Übereinkunft greifbar nah. Die lange festgefahrenen Verhandlungen über ein rechtsverbindliches, internationales Gesetzeswerk zur Biopiraterie, das ABS-Protokoll, waren am Freitagabend (28. Okt.) so gut wie abgeschlossen. Dabei geht es um den Zugang zu genetischen Ressourcen und die Gewinnaufteilung bei deren Nutzung. Die entscheidende Bewegung hatte ein Konsensvorschlag gebracht, den Gastgeber Japan erst am Abschlusstag vorgelegt hatte. Allerdings verzögerte sich die endgültige Entscheidung, da mehrere Länder darauf bestanden, alle diskutierten Themen in einem Gesamtpaket zu verabschieden.
Das Feilschen um einzelne Formulierungen und die zahlenmäßige Definition von Umweltzielen hatten zur Folge, dass die Vorgaben für künftige ökologische Maßnahmen immer weiter verwässert wurden. Schon lange vor dem Ende der 10. Vertragsstaatenkonferenz der UN-Konvention zu Biologischer Vielfalt (COP-10) war daher abzusehen, dass vor allem inhaltsleere Kompromisse von den Regierungsdelegationen beschlossen werden würden.
Insbesondere der Interessenkonflikt zwischen Entwicklungs- und Industrieländern konnte nicht überwunden werden. Aber auch diverse nationale Sonderwünsche erschwerten die Verhandlungen. So wurde tagelang über das Problem debattiert, wie damit umgegangen werden kann, dass Indien und China als einzige Staaten das traditionelle Wissen indigener Gemeinden als öffentliches Gut definieren, weswegen kommerzielle Gewinne daraus nicht diesen spezifischen Gruppen, sondern dem Staat als Ganzes zugute kommen. Karmen Boscán, kolumbianische Vertreterin der Indigenen und Lokalen Gemeinden, sieht dennoch einen Erfolg ihrer Lobbyarbeit: Die Rechte der Indígenas und ihr Beitrag zum Erhalt der Biodiversität werden an mehreren Stellen des Abschlussdokuments berücksichtigt. Allerdings sei ein effektiver Schutz der traditionellen Kenntnisse und der genetischen Ressourcen vor kommerzieller Ausbeutung mit den Beschlüssen von Nagoya keineswegs gesichert, sagte Boscán.
Der Aktionsplan zum Erhalt der biologischen Vielfalt bis 2020 – der zweite Kernpunkt der Verhandlungen – ist nach Meinung von Beobachtern aus dem Spektrum der Nichtregierungsorganisationen in vieler Hinsicht unzureichend, das rasante Artensterben aufzuhalten. Zwar habe es Einigkeit über Maßnahmen wie die Einrichtung von Naturschutzgebieten, den Schutz der Meere und Küsten sowie Anreize für nachhaltigen Umgang mit Wäldern und ökologischen Nischen gegeben, erklärte die CBD-Alliance, ein Netzwerk von sozialen Bewegungen und Umweltaktivisten. Dieser teilweise ambitionierte Aktionsplan leide aber darunter, dass sich die Staaten nicht auf die Bereitstellung ausreichender neuer Mittel für dessen Umsetzung einigen konnten. Dies wurde auf den nächsten Artenschutzgipfel verschoben, der 2012 in Indien stattfinden wird. Dabei war allen bewusst, dass das Scheitern bisheriger Artenschutzziele vor allem auf fehlende Finanzmittel zurückzuführen ist, beklagte die CBD-Alliance. Brasilien als Sprecher der Entwicklungsländer hatte eine Festlegung auf 200 Milliarden Dollar jährlich gefordert, dies wurde insbesondere von der EU zurückgewiesen, die gegen eine Festlegung auf konkrete Zahlen war.
In der Frage der boomenden Agrotreibstoffe – ihre Rohstoffe werden großflächig in Monokulturen angebaut, die auch den Artenschwund beschleunigen – konnten sich die großen Exporteure wie Brasilien durchsetzen. Der Konsenstext enthält nur noch den Hinweis, dass bei der Förderung dieses Sektors das Vorsorgeprinzip beachtet werden sollte. Damit fällt der Beschluss hinter die Richtlinien des letzten UN-Gipfels 2008 in Bonn zurück, obwohl die Umweltschäden durch Monokulturen wie vorhergesagt zunehmen.
Brasiliens Strategie, beim Agrosprit gemeinsame Sache mit Industriestaaten zu machen, schwächte in Nagoya die Gruppe der Entwicklungsländer. So endeten die intensiven Verhandlungen um das sogenannte ABS-Protokoll, das künftig »Nagoya-Protokoll« heißt, mit einem löchrigen Kompromiss: »Statt die indigenen Gemeinden an den Gewinnen aus dem Handel mit ihren Ressourcen zu beteiligen, wird das Patentrecht gestärkt«, resümierte die CBD-Alliance.
ABS-Protokoll
Bei dem Streit um das ABS-Protokoll (ABS = Access and Benefit Sharing, Aufteilung von Zugriff und Gewinn) handelt es sich zunehmend um einen klassischen Nord-Süd-Konflikt. Die großen Pharmaunternehmen kommen meist aus den Industriestaaten, während die genetischen Ressourcen, die sie nutzen wollen, zunehmend aus Entwicklungsländern stammen. Das Protokoll will diese Nutzung nicht verbieten, sondern verbindlich regeln. Dies gilt vor allem für die als Biopiraterie kritisierte Verwendung traditionellen Wissens indigener Gemeinden, welches – minimal modifiziert – von Pharmaherstellern in patentrechtlich geschützte Medikamente verwandelt wird.
Ohne besseren Naturschutz kann ABS jedoch nicht funktionieren: Mit dem starken Artenschwund schwinden auch die Möglichkeiten, neue Therapien von Krankheiten aus der Natur zu entlehnen.
Kurt Stenger
* Aus: Neues Deutschland, 30. Oktober 2010
Letzte Meldung: Nagoyo-Protokoll verabschiedet
UN biodiversity conference adopts 'Nagoya Protocol'
Nagoya, Japan - Delegates from around the world adopted early Saturday (30 Oct) an international protocol aimed at protecting biodiversity and sharing the benefits of natural genetic resources.
Senior ministers and government officials from more than 190 countries had gathered in the central Japanese city of Nagoya to discuss how to stop environmental destruction and the loss of plant and animal species.
After stalled talks, parties to the United Nations Convention on Biological Diversity (CBD) reached agreement on the adoption of an international protocol for the equitable sharing of benefits derived from the use of genetic resources such as plants from which big businesses develop drugs, cosmetics and others products.
On the final day of the 12-day marathon talks, Ryu Matsumoto, chairman of the meeting and Japan's environment minister, presented his own proposal to try to break the deadlock after negotiators failed to reach agreement Thursday.
The adoption of the protocol on access and benefit-sharing of genetic resources was described as a "long-cherished dream" by Matsumoto.
The CBD, born out of the 1992 Earth Summit in Rio de Janeiro, along with the United Nations climate change convention, has three main objectives: to conserve biological diversity; to use biological diversity in a sustainable way; and to share the benefits of genetic resources fairly and equitably.
Developing countries had demanded not only shares of future profits from resource commercialization but also retroactive ones. A clause that included the latter was taken out of the final document.
But the draft took the view of developing countries into account when seeking the creation of a global benefit-sharing mechanism. Such countries were also urged to consider the need for immediate access to genetic resources, such as pathogens, during medical emergencies.
Without the adoption of the protocol on access and benefit sharing, termed an "anti-bio-piracy protocol," by activists, the Nagoya conference would not be considered a success, many participants said.
Some said Japan did not want the conference to be seen as a failure because of the effort and money the government had put into the gathering.
But Matsumoto told reporters Friday morning, "This is certainly not about saving Japan's face. It is about considering participants' thoughts and fulfilling them."
Friedrich Wulf, head of international biodiversity policy at Friends of the Earth Switzerland, said developed countries were also "well aware that if they cannot get the protocol, that would affect other key issues," such as strategic plans, mapping out efforts through 2020 to preserve biodiversity.
"This agreement reaffirms the fundamental need to conserve nature as the very foundation of our economy and our society," Jim Leape, director general of WWF (World Wide Fund for Nature) International, said.
"Governments have sent a strong message that protecting the health of the planet has a place in international politics and countries are ready to join forces to save life on Earth."
"The Nagoya Protocol is an historic achievement, ensuring that the often immense value of genetic resources is more equally shared," Leape said.
Source: Earth Times; www.earthtimes.org
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