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Solar, demokratisch & solidarisch

Elmar Altvater über die Jahrhundertkrise und eine neue Gesellschaft

Von Karl Schaaf *

Holismus ist nach Wikipedia eine Ganzheitslehre und geht davon aus, dass das Ganze aus seinen einzelnen Teilen erklärt werden kann. Einen holistischen Beitrag zur Krisenanalyse abliefern, das will Elmar Altvaters Buch »Der große Krach«. Sein holistisches Ganze ist das kapitalistische Weltsystem.

Ware-Wert und Geld – diese Grundkategorien in der Kritik der politischen Ökonomie benutzt der Autor als grundsätzliches Unterscheidungsmerkmal zur klassischen, neoklassischen und keynesianischen Analyse. Viele Ökonomen blenden in ihren Analysen das Naturverhältnis aus. Altvaters Anspruch ist es, eine Kritik der politischen Ökonomie des 21. Jahrhunderts zu formulieren. Durch das Naturverhältnis und das Wertgesetz sieht der Autor den »Doppelcharakter allen wirtschaftlichen Handelns« begründet, denn »die Hauptsätze der Thermodynamik oder die Gesetze der Evolution haben auch in der Wirtschaft ihre Gültigkeit«. Benzin verbrennt und produziert Kohlendioxid, welches zur Erderwärmung beiträgt.

Der theoretische Zusammenhang von Ware-Wert und Geld, wie er im 1. Band des Kapitals von Marx (MEW 23) hergeleitet wurde, war noch nie einfach zu verstehen. Vielen Generationen rauchten dabei die Köpfe. Doch ist er er einmal begriffen, erscheint auch Altvaters Konstruktion der dreifachen Krise logisch: Die Weltfinanzkrise ist Ausdruck einer Krise des Gesamtsystems. Die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko, verursacht durch den Untergang der Bohrinsel »Deepwater Horizon« und der Crash der Lehmann Brothers sind Ereignisse, die in einem Zusammenhang stehen.

Nachdem die Grundlagen des kapitalistischen Wirtschaftens und die drei verschiedenen Widerspruchsebenen Wert und Geld, Kapital und Arbeit, Natur und Gesellschaft benannt sind, erläutert Altvater die Krisendynamik des finanzgetriebenen Kapitalismus. Seit der Liberalisierung der Finanzmärkte Ende der 70er Jahre wachsen die »Renditen wesentlich schneller als das reale BIP, die finanzielle Akkumulation verläuft dynamischer … Dies ist aber nur möglich, weil beides wächst: die Geldvermögen wie die Schulden. Das sind die beiden Seiten des finanzgetriebenen Kapitalismus.«

Ohne Schuldner gibt es keine Geldvermögen. Demnach benötigten die internationalen Rentiers immer wieder neue Kreditnehmer. In den 70er Jahren fanden sich diese in Lateinamerika, Asien und Afrika, was bekannterweise zur Schuldenkrise der Dritten Welt mutierte. Später kamen die Asienkrise und die Russlandkrise hinzu. Letzter Akt war der kreditfinanzierte US-Eigenheimboom, wobei man hier auch auf die Zahlungsunfähigkeit der Schuldner spekulieren und mit verbrieften Kreditversicherungen Geld verdienen durfte. Die Summe dieser sogenannten Derivate belief sich Mitte 2009, also nach dem Crash weltweit, auf 605 000 Milliarden US-Dollar, zehn Mal soviel wie das globale BIP. Nicht auszuschließen sei, so Altvater, dass in der aktuellen Krise jene das System insgesamt gefährdende »Kipp-Punkte« erreicht werden. Denn wirtschaftliche Entwicklung ist ein »irreversibler Prozess der gleichzeitigen Wert- und Naturtransformation und daher auch der Gesellschaftsveränderung«.

Im Unterschied zur ökonomischen und finanziellen Krise hat die Krise des gesellschaftlichen Naturverhältnisses »keinen zyklischen, sondern einen eher kumulativen Verlauf«. Sie spitzt sich mit immer größeren Schäden zu. Dabei stiegen »nicht nur die Kosten der Kompensation oder Abwehr von Umweltschäden an«, meint der Autor. »Wachstum und Expansion auf der begrenzten Kugelfläche des Planeten Erde« heißt folgerichtig der dritte Teil des Werkes. Das »fossile Energieregime« verzehnfachte das Wachstum, die Produktivität der Arbeit vervielfachte sich. Altvater argumentiert gegen den »Wachstumsfetisch« und verweist darauf, dass die »Oil based economy« zu ihrem Ende kommt. Und in einem Zeitalter der Erneuerbaren Energien ohne fossile Ausbeutung das Wachstum geringer werde. Deshalb müsste ein Projekt der Krisenüberwindung und Reformierung des Kapitalismus sich auch um die Qualität der Arbeit kümmern, sowohl für den einzelnen Menschen als auch das Kollektiv, für Naturverbrauch und Naturveränderung, die stofflichen und energetischen Transformationen.

Vor diesem Hintergrund diskutiert Altvater schließlich einen sozialökologischen New Deal. Seine These: Die Nutzung erneuerbarer Energien mit der Infrastruktur und den Machtkonglomeraten des fossilen Zeitalters ist keine Lösung des Energieproblems, sondern dessen Verlagerung. Was ist also die Lösung? »Das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen.« Seine Vision einer neuen Gesellschaft ist »solar, demokratisch und solidarisch«. Altvater definiert die Rahmenbedingungen eines öko-solidarischen Sozialismus des 21.Jahrhunderts. »Wenn das Prinzip ›no growth‹ (kein Wachstum, d.A.) ernstgenommen wird, übersetzt es sich in ›no profits‹ und ›no interests‹« Auf keinen Fall sollte eine planwirtschaftliche Lösung gesucht werden, meint Altvater. Allenfalls ein großer Rahmenplan könnte es sein. Trotz aller Möglichkeiten der IT-Wissensgesellschaft muss der Markt zur individuellen Bedürfnisbefriedigung genutzt werden.

Fazit: Dieses Buch bietet wichtige Anregungen für linke Diskussionen. Altvaters moderner marxistischer Diskurs liefert viele Argumente, warum ein neuer Keynesianismus keine Lösung der globalen Probleme bringt. »Der große Krach« weist darauf hin, dass nur renitente soziale Bewegungen eine Chance haben, den Staat in Richtung eines »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« zu verändern. Das holistische Ganze sollte dabei nicht aus den Augen verloren werden.

Elmar Altvater: Der große Krach – oder die Jahrhundertkrise von Wirtschaft und Finanzen, von Politik und Natur. Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2010, 263 S., br., 19,90 €.

* Aus: Neues Deutschland, 16. Dezember 2010


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