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Moderater Rückgang

Auch in Schwellenländern geben die Aktienkurse nach, allerdings weniger als an den Weltbörsen. Gefahr für Rußland durch sinkende Energiepreise

Von Wolfgang Pomrehn *

Der Absturz von Aktienkursen in der vergangenen Woche war weltumspannend. Ob in Tokio, New York, Seoul, London, Kairo, Dubai oder Frankfurt/M.; überall ging es abwärts, mancherorts sogar ziemlich rasant. An den chinesischen Börsen in Shanghai, Shenzhen und Hongkong purzelten ebenfalls die Kurse mehrere Tage in Folge. Ganz ähnlich sah es auch in den anderen Schwellenländern aus. Eine Entkoppelung der dortigen Finanzmärkte von den Trends in den Industriestaaten, wie ihn manche Beobachter aufgrund des bisher noch robusten Wachstums und der meist soliden Staatshaushalte erwarten, ist bisher nicht in Sicht. In Südostasien ging es ebenso nach unten wie in Indien, Südafrika oder Brasilien. Der Aktienindex in Jakarta verlor am Freitag 4,4 Prozent, in Singapur waren es 3,2, in Bangkok und Mumbai (Bombay) jeweils etwas weniger als zwei, in Johannesburg drei, in Sao Paulo 1,3 und in Buenos Aires 1,57 Prozent.

Insgesamt büßten die Aktienindizes in den Schwellenländern im Verlaufe der Woche zwischen vier und zwölf zwölf Prozent ein, also im Vergleich zur Frankfurter Börse, wo es ein Minus von rund 25 Prozent gab, eher moderat. In Südafrika und Brasilien verloren die Papiere der großen heimischen Bergbau- und Ölkonzerne überproportional. Offensichtlich schwant manchem Anleger, daß die Unternehmen überbewertet sein könnten und der Höhenflug der Rohstoffpreise nicht mehr lange anhalten wird. Die hatten sich zuletzt wieder auf das Niveau der historischen Höchststände von Anfang 2008 geschraubt, dürften aber demnächst wieder deutlich fallen, wenn sich die globale Konjunktur tatsächlich abkühlen sollte.

Die große Frage ist allerdings, wie stark diesmal die Schwellenländer betroffen sein werden. Nach dem Ausbruch der Finanzkrise 2008 hatten die meisten von ihnen nur einen kurzen Einbruch, einige gar nur eine kleine Konjunkturdelle. Lediglich Rußland, das nach dem Zusammenbruch der sowjetischen Industrie außenwirtschaftlich zum Rohstofflieferanten degradiert wurde, hatte längere Zeit zu kämpfen und ist nun erneut akut gefährdet, sollte der Ölpreis weiter zurückgehen.

An der New Yorker Börse ist das Barrel Öl (159 Liter) inzwischen rund 18 Prozent billiger als noch vor einem knappen Monat. Das Faß der dort als Standard verwendeten Ölsorte WTI kostet nur noch rund 82 US-Dollar. In Europa ist der Preisrückgang bisher weniger ausgeprägt. Die in der Nordsee geförderte und hier als Standard verwendete Sorte Brent kostet derzeit etwa 109 US-Dollar pro Barrel, was gegenüber Juli ein Minus von rund zehn Prozent ist. Interessanterweise sind die beiden Sorten bis vor etwa einem Jahr meist zu einem annähernd gleichen Preis gehandelt worden. Das Auseinanderdriften dürfte unter anderem Ausdruck der schwächelnden US-Konjunktur sein. Darüber hinaus drückt aber vermutlich auch die Konkurrenz des kanadischen Öls den Erlös, das dort mit extrem umweltzerstörenden Abbaumethoden aus Teersänden gewonnen wird.

Für Rußland sind vor allem die europäischen Preise interessant, doch dort zeigt die Entwicklung ebenfalls nach unten. Das ist auch für die russischen Gasexporte ein Problem, denn deren Preis folgt mit einiger Verzögerung dem des Öls. Moskau muß sich also auf einen Rückgang seiner Einnahmen aus Steuern und Abgaben einstellen, was angesichts des Übergewichts der Öl- und Gaswirtschaft einige Schwierigkeiten mit sich bringen dürfte. Für die heimische Industrie könnte es hingegen eine Verschnaufpause bedeuten, denn die üppigen Einnahmen aus den Rohstoffimporten haben den Rubel in die Höhe getrieben. Dadurch werden Einfuhren verbilligt, so daß das produzierende Gewerbe zunehmend Schwierigkeiten hat, sich gegen die auswärtige Konkurrenz zu behaupten. Mit den sinkenden Ölpreisen hat der der Rubel seit Monatsbeginn bereits an Wert verloren, so daß sich hier eine Entspannung abzeichnen könnte. Für eine nachhaltige Industriepolitik müßte der Rubelkurs allerdings langfristig niedriger bleiben.

Den meisten anderen Schwellenländern kommen niedrigere Energiepreise auf jedem Fall entgegen, denn sie sind von Ölimporten abhängig. Billigerer Treibstoff bedeutet weniger Inflationsdruck in den rasch wachsenden Volkswirtschaften. In Asien waren es vergangene Woche interessanterweise vor allem ausländische Anleger, nicht selten große Fonds, die umfangreiche Aktienpakete abstießen und so die Kurseinbrüche verursachten. Mit der Wirtschaftsentwicklung in den jeweiligen Ländern hatten die Verluste wenig zu tun.

Etwas anders sieht es hingegen in Brasilien aus, das in den letzten Jahren regelrecht geboomt und sich von einem erheblichen Teil seiner einst erdrückenden Schuldenlast im Ausland befreit hat. Dort könnte die Wirtschaftsleistung im laufenden Quartal gar leicht zurückgehen, um sich zum Jahresende wieder zu erholen, so einige Prognosen. Unterm Strich bliebe dann aufs Jahr gerechnet immer noch ein Wachstum um drei bis vier Prozent. Anders als die krisenverschärfende Sparpolitik, die Bundeskanzlerin Angela Merkel gerade dem Euro-Raum aufzwingt, betreibt Brasiliens Präsidentin Dilma Rouseff allerdings eine expansive Politik. Unter anderem wird massiv in die Bildung investiert. So sollen in den nächsten Jahren vier neue Universitäten und über 200 neue technische Institute geschaffen werden.

* Aus: junge Welt, 22. August 2011


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