Ende der Herablassung
Die Medien haben die "Globalisierungsgegner" als neue Protestbewegung erkannt. Von Marina Achenbach
Der folgende Text erschien zuerst in der Wochenzeitung "Freitag", Nr. 34, 17. August 2001.
Etwas ist vorbei. Ein Jahrzehnt lang galt Kritik am scheinbar so
erfolgreichen neoliberalen Modell als ziemlich altmodisch, ängstlich,
geradezu dümmlich. Seine Apologeten hatten das Feld fast für sich allein.
Es waren angeblich nur konzeptionslose, ärgerliche Krawallmacher, die
sich bei Wirtschaftsgipfeln in irgendwelchen Städten der Welt auf den
Straßen sammelten, protestierten und ritualhaft mit der Polizei prügelten.
Auch Leute, die selbst kritisch sind (oder einmal waren), hielten Distanz.
Langsam tauchen nun die Fotos und Berichte von der unerhörten
Polizeigewalt in Genua auf. Noch während des Gipfeltreffens waren im
Fernsehen wie eine alte Leier die immer gleichen Aufnahmen von drei, vier
Situationen zu sehen, die das Ritual der Prügeleien illustrieren sollten. Am
Montag, als die Ausmaße der staatlichen Gewalt evident geworden waren,
existierte für die Tagesschau Genua gar nicht mehr. Die Berichterstattung
war in besonderer Weise staatsfromm und servil.
Jetzt aber sind manche Redaktionen und auch Politiker wohl erschrocken
über die Gefahr, von einer Entwicklung abgehängt zu werden. Womöglich
haben sie die Geburtsstunde einer Protestbewegung übersehen, die
wachsen und von nun an ein Thema sein wird? Die ZEIT beispielsweise
hat sich entschlossen, die Sache ernst zu nehmen: »Entsteht da eine
neue Bewegung, noch disparat, aber mit großem Potenzial?« (19.7.01)
Und zwei Nummern später gibt es einen neuen Begriff: »Generation
Widerstand«. Diese Generation verzweifle am Irrsinn der ökologischen
Vernichtung, lasse sich von Gefühlen bewegen, es sei ein wildwüchsiges
Engagement, vernetzt, mit Profis in den NGOs und mediengerechten
Aktionen. Der Spiegel hingegen besteht auf dem Leitbegriff »Widerspruch«
statt Widerstand.
Doch endlich ist der Blick auf diese ganze, seit langem an vielen Orten
anwachsende und von vielen Motiven geprägte Protestkultur gerichtet.
Natürlich wird sie in den Beschreibungen auch gleich zurecht gebastelt,
handhabbar gemacht und gerät in Gefahr, verhunzt zu werden.
Verblüffender Weise fehlt eine gemeinsame Ideologie. Kleine Gruppen sind
es zuerst, die an einem Punkt, der sie beschäftigt, die ungerechten
Mechanismen dieser Gesellschaft erkennen. Oder den rassistischen,
aggressiven Gedankenmüll um sie herum. Oft haben sie zu Anfang mit
diesem Wissen nicht gerechnet. Wer an irgendeiner Stelle etwas anders
machen will als vorgegeben, sei es gegenüber Asylbewerbern, gegen
Atomkraftwerke, in der Schule, wo auch immer, muss staunen über den
Widerspruch, den er oder sie erntet, und erfährt, mit welch harten
Bandagen dann oft zugeschlagen wird.
Es zeigt sich aber vermehrt eine Art reiner, dickköpfiger Konsequenz, eine
bewundernswerte Risikobereitschaft und Unangepasstheit. Wahrscheinlich
üben sich viele darin auch deshalb, weil sie gar keine Illusionen haben,
sich beruflich und sozial gemütlich einrichten zu können. Das erfahren sie
früh und unabweislich.
Diese Gruppen und Leute (aller Generationen!) »vernetzen sich« mehr und
mehr, sei es per Internet, sei es durch ihre Kontakte bei Begegnungen -
auch anlässlich der Weltwirtschaftsgipfel. Sie machen sich kompetent.
Sicher ist es auch bezeichnend, dass der lockere internationale Verband
ATTAC, der seit Genua größten Zulauf hat, von einer Zeitung ins Leben
gerufen wurde, von Le Monde diplomatique.
Diese Zeitung listet allerdings in der jüngsten, deutschsprachigen Ausgabe
besorgt die Gegenmaßnahmen der Staaten auf: die Propagandastrategien
gegen die »Globalisierungsgegner«, die Einschüchterungen und
juristischen Schläge gegen Einzelne, die Versuche, sie finanziell zu
schädigen und zu isolieren. Wenn der Anwalt und MdB Ströbele nach
Genua zu den inhaftierten Deutschen fährt, muss er sich vom bayerischen
Innenminister sagen lassen, er gehöre selbst zu den »Brandstiftern«. Die
Öffentlichkeit lässt so etwas bislang durchgehen. Schily dringt noch mehr
als zuvor auf die Europäisierung der Liste angeblich gewaltbereiter
Demonstranten, obwohl schon jetzt zu Tage tritt, welche Willkür sie
bedeutet. Die österreichische Außenministerin geniert sich nicht, der
Mussolini seligen italienischen Polizei für die Verhaftung der
österreichischen Theatertruppe VolxTheaterKarawane ihr Verständnis zu
bekunden. Damit veranlasste sie allerdings 800 Künstler und andere
Prominente zu einer sofortigen Unterschriftenkampagne gegen sie. In
Italien selbst wird von Juristen ein Tribunal gegen die Polizeigewalt
vorbereitet.
Ende der Herablassung? Noch ist es nicht so klar. Die
Medienaufmerksamkeit allein ist kein Schutz. Es kann geschehen, dass
so eine Bewegung, die ja nach Umfragen in Deutschland Sympathien von
zwei Dritteln der Bevölkerung für ihre Ziele genießt, vor aller Augen
vernichtet wird. Denn den »gewissen Thrill« an der Gewalt (Elke Schmitter
im Spiegel) malt sich nur die zu Hause Gebliebene aus. Genua entließ
auch zusammengebrochene, schockierte junge Leute, von purer Angst
erfasst. Auf das Mittel der Angsterzeugung haben Herrschende, deren
Macht irgendjemand eingrenzen will, schließlich immer gesetzt.
Widerstand kann zwar an solchen Erfahrungen wachsen, aber auch
gebrochen werden: Wenn er einsam bleibt, wenn ihn aus der Gesellschaft
besserwisserische Häme begleitet, statt Empathie und Interesse. Oder
wenn die Öffentlichkeit matt bleibt und nur ihren Kleinmut und Zynismus
ausdrückt wie in dem Bericht von einer Uni-Veranstaltung über die
Ereignisse in Genua in der Berliner Zeitung (9.8.01) : »Wenn künftige
Gipfeltreffen in den Rocky Mountains stattfinden und nicht in westlichen
Großstädten - wo bleiben dann die Bilder, die ›die Delegitimierung der
Herrschenden‹ symbolisieren? Ob die Hörsäle dann noch so voll werden?«
Widerstand und Widerspruch erschlaffen an jener Sorte Beobachter, die
sich immer wieder in ihrer Distanz gefallen. Widerstand braucht aus dem
Hintergrund der Gesellschaft ein Echo der Sympathisierenden.
Aus: Freitag Nr. 34, 17. August 2001
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