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"Angriffs- und Präventivkriege sind weder legal noch politisch legitim"

Im Wortlaut: Entschließung des IG Metall-Kongresses Oktober 2003 zur Gesellschaftspolitik und allgemeinen Gewerkschaftspolitik

Vom 14. bis 18. Oktober hielt die IG Metall in Hannover ihren 20. Gewerkschaftskongress ab. Der Kongress verabschiedete u.a. eine Entschließung, die sich grundsätzlich mit gesellschaftspolitischen Fragen befasst. Darin befindet sich nicht nur eine deutliche Kritik an der neoliberalen Globalisierung (Abschnitte 1 und 2.1), sondern auch eine Positionsbestimmung zu Frieden und Abrüstung (Abschnitt 2.2). Im Folgenden dokumentieren wir die ganze Entschließung im Wortlaut.


20. Ordentlicher Gewerkschaftstag der IG Metall 2003

Entschließung 1 Gesellschaftspolitik und allgemeine Gewerkschaftspolitik


1. Eine Welt im Wandel

Die Welt, in der wir leben und arbeiten, befindet sich in einem radikalen Umbruch:

1.1 Globalisierung der Ökonomie

Die Globalisierung der Ökonomie stellt uns vor neue Herausforderungen. Sie verändert die Wettbewerbsbedingungen für Produktion und Dienstleistungen. Sie hat in vielen Regionen der Welt den Wohlstand vergrößert, die Lebensbedingungen verbessert und Arbeitsplätze gesichert. Die Globalisierung wird heute insbesondere auf den Kapital- und Finanzmärkten vorangetrieben. Währungsspekulationen und Finanztransaktionen führen immer wieder zu unkontrollierbaren Risiken oder drohen ganze Volkswirtschaften zu ruinieren. In Ländern der dritten Welt wird durch Lohn- und Sozialdumping die Existenzgrundlage von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bedroht. Rücksichtsloses Verhalten von Unternehmen, aber auch die Lebens- und Konsumgewohnheiten in den entwickelten Ländern, gefährden die natürlichen Lebensgrundlagen. Die weitere ökonomische oder gar die politische Globalisierung verhindern zu wollen, wäre illusorisch. Sie sozial gerecht und ökologisch nachhaltig zu gestalten, ist die zentrale politische, gesellschaftliche und gewerkschaftliche Herausforderung.

1.2 Informations- und Kommunikationstechnik

Die neuen Kommunikations- und Informationstechniken haben veränderte Rahmenbedingungen geschaffen. Sie bringen Chancen für gerechtere Verteilung, verbesserten Zugang zu Informationen, Wissen und Bildung und erweiterten die Möglichkeiten für sozialen Fortschritt. Ihre Anwendung hat Arbeitsbedingungen verbessert, mehr qualifizierte Arbeit gebracht, und körperliche Schwer- und Schwerstarbeit vermindert. Gleichzeitig haben sie auch zu mehr Arbeitslosigkeit sowie zu einer neuen Polarisierung der Arbeitsbedingungen, steigender Leistungsintensität und mehr Stress in der Arbeit geführt. Gewerkschaften verhindern nicht die technische Entwicklung. Vielmehr müssen sie die Chancen neuer Technik für mehr gute, qualifizierte Arbeit, für mehr Arbeits- und Gesundheitsschutz und für die Entwicklung neuer Beschäftigungsfelder nutzen und gestalten. 1.3 Gesellschaftlicher und Politischer Wandel Gesellschaftliche Wandel und gewerkschaftliche Politik haben die Voraussetzungen dafür geschaffen, das Individuum zu stärken und Entwicklungspotenziale auszuschöpfen. Durch mehr soziale Sicherung und teilweise bessere Bildungsmöglichkeiten sind für viele Menschen neue Entfaltungs-, Freiheits- und Aufstiegschancen entstanden. Gleichzeitig haben Egoismus und Konkurrenzdenken zugenommen, alte Solidaritätserfahrungen sind brüchig geworden und werden in Frage gestellt. Die Aufgabe der IG Metall ist, den solidarischen Zusammenhalt der Gesellschaft zu sichern und mehr Gerechtigkeit zwischen Geschlechtern und Generationen zu ermöglichen sowie Beteiligungs- und Entfaltungsmöglichkeiten für alle zu sichern.

Der politische Wandel hat durch die beschlossene Erweiterung und die fortschreitende Vertiefung der Europäischen Union den Frieden in Europa gestärkt, zu demokratischen Entwicklungen und mehr Rechtsstaatlichkeit in Europa geführt. Aufgabe der nächsten Jahre ist, die wirtschaftliche Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit Europas zu wahren und die sozialstaatliche Entwicklung in den alten und neuen Ländern der europäischen Union durchzusetzen.

1.4 Entscheidende Entwicklungen

Zwei Entwicklungen entscheiden insbesondere über die wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Zukunft: Da sind zum einen die Gefahren, die vom internationalen Terrorismus sowie einem verschärften Sicherheitsdenken als Reaktion darauf und von den mittel- und langfristigen Folgen des völkerrechtswidrigen Präventivkrieges der USA und ihrer willigen Unterstützer gegen den Irak ausgehen. Da ist zum anderen die Frage, ob die neoliberale Dominanz in der Interpretation und der Gestaltung der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik erhalten bleibt oder gebrochen werden kann.

Der Neoliberalismus ist keine wissenschaftliche Schule, er ist eine Ideologie – und zwar die der kapitalistischen Globalisierung und der unkontrollierten Finanzmärkte. Der Neoliberalismus richtet sich entschieden gegen das wohlfahrtsstaatliche Projekt keynesianischer Politik als Fortsetzung der Aufklärung: Aus Gründen der Freiheit darf dem Kapitalismus kein Ziel wie soziale Gerechtigkeit oder Steigerung der Wohlfahrt von außen vorgegeben werden. Er fordert eine stabile Währung und Bekämpfung der Inflation, einen ausgeglichenen Staatshaushalt, die Liberalisierung von Handel und Finanzen, die Preisregulierung über die Märkte und die Privatisierung staatlichen Eigentums. Ziel ist, die Deregulierung und der Rückzug des Staates - oder verminderte staatliche Kontrolle - zugunsten freier Märkte. Der Neoliberalismus ist im Grunde auch eine antidemokratische Ideologie, weil er den Abbau demokratischer Einflussmöglichkeiten – z.B. der Wählerinnen und Wähler, der Regierungen und der Parlamente – fordert.

Für die IG Metall steht fest: Angriffs- und Präventivkriege sind weder legal noch politisch legitim. Sie rotten den internationalen Terrorismus nicht aus, sondern sind sein Nährboden. Der Gefahr des globalen Terrorismus kann nur durch eine Politik begegnet werden, die globale soziale Gerechtigkeit und nachhaltige Entwicklung zum Ziel hat. Im Sinne einer funktionierenden Völkergemeinschaft, in der alle beteiligten Nationen gleiche Rechte und Pflichten haben, ist die Bedeutung und der Einfluss der UNO wieder zu stärken. Der globale Reichtum muss zwischen der Ersten Welt und der Dritten Welt gerecht verteilt werden. Wirtschafts- und Sozialpolitik dürfen sich daher weder national noch international an neoliberalen Konzepten orientieren. Vielmehr müssen Alternativen entwickelt werden, die den Zugang zu Erwerbsarbeit für alle, eine stetige Verbesserung der Arbeits- und Einkommensbedingungen, soziale Sicherung und ökologische Nachhaltigkeit anstreben. Damit werden Voraussetzungen für mehr Beschäftigung und qualitatives Wachstum, für innovative Unternehmertätigkeit und ökonomische Effizienz geschaffen.

2. Leitbild: Gerechte Globalisierung

2.1 Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Demokratie

Die IG Metall richtet ihr Handeln an einem umfassenden Leitbild für die globale wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung aus. Darunter versteht sie das Recht auf ein menschenwürdiges Leben, die strikte Achtung der Menschenrechte und die Einhaltung von Mindestarbeitsbedingungen, insbesondere der Kernarbeitsnormen der ILO. Freie gewerkschaftliche Betätigung, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, Freiheit und Gerechtigkeit bedingen einander. Globale Politik ist auf den Grundsatz der Nachhaltigkeit und der Verteilungsgerechtigkeit zu verpflichten. Gegen die Macht des Marktes, den Einfluss der multinationalen Konzerne und in den Welthandels- und Finanzinstitutionen gilt es, demokratische Kontrolle und soziale Gestaltung durchzusetzen. Der Zugang zu existenzsichernder Erwerbsarbeit und Bildung, medizinischer Versorgung, Information und Kultur muss allen Menschen ermöglicht werden. Die internationale Zusammenarbeit der Gewerkschaften muss verstärkt werden, um diese Ziele zu erreichen.

2.2 Frieden und Sicherheit

Die Sicherung des Friedens, die Eindämmung des internationalen Terrorismus, die Beachtung demokratischer Grundrechte sowie die Abwehr von Rechtsextremismus und Rechtspopulismus sind unabdingbare Voraussetzungen für eine erfolgreiche Zukunftsentwicklung. Dies ist auch Grundlage für das entsprechende Engagement der IG Metall.

Frieden und Sicherheit können dauerhaft nur auf der Grundlage nachhaltiger Entwicklung und gerechter Verteilung gesichert werden. Die IG Metall strebt eine Weltwirtschaftsordnung an, die die Lebens- und Arbeitsbedingungen insbesondere der Menschen in der sogenannten Dritten Welt verbessert. Die Staatengemeinschaft muss sich zum Ziel setzen, Hunger, Wassermangel und Armut weltweit zu überwinden und das Menschenrecht auf Nahrung, Wohnung, Kleidung und Bildung für alle zu verwirklichen. Verantwortung für Menschen in Armut, Alter und bei Krankheit durch sozialstaatliche Strukturen zu organisieren, ist kein Relikt der Vergangenheit, sondern ein Zukunftsprojekt, das in den meisten Teilen der Welt erst verwirklicht werden muss. Die internationalen Finanz- und Handelsorganisationen müssen auf Ziele verpflichtet werden, die eine faire Entwicklung ermöglichen, zu demokratischen Strukturen führen und bessere Beteiligungsrechte für die Entwicklungsländer sicher stellen. Nur auf dieser Grundlage kann auch der Nährboden für internationalen Terrorismus ausgetrocknet werden.

In Spannungs- und Krisenfällen muss die zivile Konfliktlösung Vorrang haben. Programme zur Abrüstung müssen fortgeführt werden. Falls gegen terroristische Gruppen oder aggressive Staaten vorgegangen werden muss, hat das Gewaltmonopol bei der UNO zu liegen. Dies verlangt u.a. die politische Stärkung und eine bessere finanzielle Ausstattung der UNO. Einsätze der Bundeswehr dürfen nur aufgrund eines UNO-Mandats erfolgen.

Die Zahl rechtsextremer Gewaltakte ist – auch jenseits spektakulärer Einzelfälle – unverändert hoch. Das entschiedene Vorgehen gegen Rechtsextremismus und die nachhaltige Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen bleibt eine wichtige Aufgabe der IG Metall. Die Aktivitäten der IG Metall in den Betrieben und im gesellschaftlichen Umfeld, die auch in Zusammenarbeit mit der Otto Brenner Stiftung getätigt wurden, sind in den nächsten Jahren unbedingt fortzusetzen. Ziel bleibt, die Bereitschaft zur Zivilcourage zu stärken.

2.3 Zuwanderung, Asyl und Menschenrechte

Das aus formalen Gründen vom Bundesverfassungsgericht aufgehobene Zuwanderungsgesetz muss umgehend erneut verabschiedet werden. Die finanziellen und organisatorischen Aufwendungen für die Integration der Zugewanderten müssen deutlich verstärkt werden.

Die IG Metall setzt sich dafür ein, dass das Grundrecht auf Asyl wieder in vollem Umfang wiederhergestellt wird. Die Schutzlücke für die Opfer nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung muss dauerhaft geschlossen werden. Auch die Verletzungen der Menschenrechte, die besonders an Frauen begangen werden, sind zu ächten und müssen unterbunden werden. Für Asylbewerber, die seit mehreren Jahren legal und „geduldet“ in Deutschland leben, fordern wir ein unbegrenztes Aufenthaltsrecht.

Die Aufnahme von Bürgerkriegs- und Kriegsflüchtlingen soll unabhängig vom Asylrecht gewährleistet werden. Asylbewerbern und Asylbewerberinnen und Flüchtlingen sind menschenwürdige Lebensbedingungen zu gewährleisten, wozu auch die Erteilung einer Arbeitserlaubnis gehört.

3. Leitbild: Soziales Europa

3.1 Europäische Integration weiterentwickeln

Für Europa haben wir das Leitbild eines gemeinsamen und integrierten, demokratisch verfassten, kulturell und ethnisch vielfältigen, wirtschaftlich prosperierenden, sozial regulierten gemeinsamen Lebens-, Arbeits- und Wirtschaftsraumes für mehr als 350 Millionen Menschen. Europa hat bei aller Verschiedenheit der Länder und Kulturen ein lebenswertes demokratisches Sozialmodell hervorgebracht. Die europäischen Systeme der demokratischen politischen Steuerung, der sozialstaatlichen Sicherung und der Kooperation der Sozialpartner müssen gegen Demontage verteidigt und weiterentwickelt werden. Die erweiterte Europäische Union muss ihr politisches und ökonomisches Gewicht in den aktuellen globalen wirtschafts- und sozial-, gesellschafts- und sicherheitspolitischen Auseinandersetzungen stärker zur Geltung bringen.

Die Europäische Union muss zu einer Sozialunion ausgebaut werden. Die „soziale Dimension“ Europas ist in den Anfängen stecken geblieben. Hier ist ein Kurswechsel in der Politik der Europäischen Union notwendig. Die Entscheidungen dafür fallen in den Mitgliedsstaaten. Die Gewerkschaften müssen daher in den einzelnen Ländern und gemeinsam auf europäischer Ebene für den Ausbau des europäischen Sozialmodells eintreten. Der soziale Dialog auf europäischer Ebene muss verbessert, national stärker verankert sowie in den Gesellschaften und in den Gewerkschaften transparenter gestaltet werden.

Im nächsten Jahrzehnt wird eine europäische Volkswirtschaft entstehen. Der Ausbau einer europäischen Wirtschaftspolitik mit einer europäischen Wirtschaftsregierung muss Teil der weiteren europäischen Integration werden. Diese Wirtschaftspolitik muss sich am Ziel der Vollbeschäftigung orientieren und eine gerechte Einkommensverteilung und Mitbestimmungspraxis, Gesundheits- und Alterssicherung für alle Europäerinnen und Europäer fördern. Die europäische Gewerkschaftsarbeit soll ausgebaut, eine europäische Mitgliedschaft angestrebt werden.

3.2 Für die Erweiterung der Europäischen Union

Der Beitritt der mittel-, ost- und südosteuropäischen Länder trägt dazu bei, die Teilung Europas zu überwinden, das wirtschaftliche Gefälle zwischen den Ländern Europas zu verringern und die Demokratie zu stabilisieren. Die Europäische Union ist ein Integrationsmodell. Dies erfordert, dass die Menschen in den Beitrittsländern an der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung teilhaben müssen. Auch für die erweiterte Europäische Union gilt der zentrale Gründungsauftrag: die Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen und nicht die Renditechancen für Unternehmen zu verbessern. Die IG Metall will die politische Chance der EU-Erweiterung nutzen und unterstützt sie ausdrücklich, ohne die Ängste zu verkennen, die die Erweiterung bei den Bürgerinnen und Bürgern der Mitgliedsländer und Beitrittsländer auslöst. Die IG Metall wird die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften in den Beitrittsländern ausbauen, auch um dort die gewerkschaftliche Arbeit zu stärken und um einen ruinösen Wettbewerb um Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen zu Lasten aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einzugrenzen.

3.3 Für eine demokratische Verfassung Europas
Eine europäische Verfassung soll die demokratische Binnenstruktur der Europäischen Union stärken und den Kern eines europäischen Sozialmodells (soziale Grundrechte, europäisches Streikrecht) konstitutionell verankern. Die Rechte des europäischen Parlaments als europäischer Gesetzgeber und Kontrollorgan der EU-Kommission sind deutlich auszuweiten.

4. Leitbild: Solidarische Arbeitsgesellschaft

4.1 Zukunft der Arbeitsgesellschaft

Die IG Metall geht von einem Leitbild für die Zukunft der Arbeitsgesellschaft aus, nach dem Erwerbsarbeit weiterhin bestimmend für das Leben der Menschen und der Gesellschaft bleibt. Alle die wollen, sollen an guter Erwerbsarbeit teilhaben können. Die Überwindung der Massenarbeitslosigkeit bleibt die zentrale Aufgabe der Politik und der Tarifvertragsparteien. Die Vielfalt der Beschäftigungsformen und der Arbeitsverhältnisse nimmt zu. Daraus ergeben sich neue Anforderungen an die Gestaltung dieser Arbeitsverhältnisse. Wir benötigen Konzepte, die Vielfalt und Sicherheit miteinander verbinden.

Die Erwerbsgesellschaft der Zukunft soll demokratisch gestaltet, ökologisch nachhaltig und sozial gerecht sein. Sie soll allen Männern und Frauen die gleichen Teilhabemöglichkeiten bieten sowie Erwerbsleben und Privatleben bzw. Familie vereinbar machen. Die vielfältigen Lebensbereiche - Beruf, Partnerschaft und Familie, Bildung, politisches und soziales Engagement, kulturelle Teilhabe - sollen nicht nur nacheinander, sondern auch nebeneinander ausgeübt werden können. Eine darauf orientierte Arbeitszeitpolitik muss die Dauer und insbesondere die Gestaltung der Arbeitszeit wieder verstärkt zum Thema machen.

4.2 Gleichstellung der Geschlechter

Chancengleichheit von Frauen und Männern ist ein wichtiges Zukunftsthema – in Gesellschaft, Arbeitswelt und für die IG Metall. Die IG Metall will deshalb den Ansatz des Gender Mainstreaming umfassend verwirklicht wissen. Das erfordert, dass alle Politikbereiche und Handlungsfelder und auch die eigene Organisation unter dem Aspekt der geschlechtsspezifischen Ausgangssituationen und Auswirkungen untersucht werden. Ziel ist die wirkliche Gleichstellung der Geschlechter. Gender-Mainstreaming ersetzt nicht Frauen- und Gleichstellungspolitik, sondern ergänzt und verbreitert sie. Das vom Vorstand beschlossene Projekt ist als Schritt in die richtige Richtung zu begrüßen. Das Vorhaben muss nun auch unterstützt und umgesetzt werden. Alle Ebenen und Gliederungen der IG Metall sind aufgefordert, den Gender-Mainstreaming-Ansatz im eigenen Bereich, aber auch in den Betrieben und Verwaltungen, zu vertreten und breit zu verankern.

4.3 Industrielle und industrienahe Arbeitsplätze erhalten

Unser Ziel ist, die Zahl der industriellen und industrienahen Arbeitsplätze in Deutschland zu erhalten und die Qualität der Arbeit zu verbessern. Jedes Unternehmen trägt dafür Verantwortung. Gezielte Investitions- und Innovationspolitik, regionale Strukturpolitik sowie eine durch Gesetze und Tarifverträge gesicherte Beteiligung der Beschäftigten sind unabdingbare Voraussetzungen. Neue Konzepte von Produktion und Arbeitsorganisation, bessere Qualifikationen und steigende Ansprüche der Beschäftigten haben dazu beigetragen, dass Selbstorganisation und Selbständigkeit in der Erwerbsarbeit wichtiger werden. Diese wollen wir fördern und konstruktiv mitgestalten. Gleichzeitig gilt es, neuen Tendenzen zur verstärkten Arbeitsteilung mit kurzen Arbeitszyklen und geringen Arbeitsinhalten entgegenzutreten. Nachdrücklich sind die Möglichkeiten des unbegrenzten Zugriffs auf die Arbeitskraft und die Lebenszeit der Menschen abzuwehren.

Durch die europäische Integration und die fortschreitende Globalisierung werden immer mehr neue, auch qualifizierte Arbeitsplätze in anderen Ländern entstehen. Das ist für die Verringerung der Arbeitslosigkeit und die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen in diesen Ländern einerseits auch notwendig und stärkt andererseits den Wirtschaftsaustausch, was den Arbeitsplätzen in Deutschland zu gute kommt. Die IG Metall muss darauf mit einer verstärkten Zusammenarbeit zum Auf- und Ausbau der betrieblichen und gewerkschaftlichen Interessenvertretung in diesen Ländern und mit der Unterstützung von innovativen Konzepten der Produktionsentwicklung und -erweiterung reagieren.

4.4 Sozialstaat erhalten und erneuern

Der Sozialstaat ist eine große Errungenschaft der Moderne. Er trägt entscheidend zum sozialen Ausgleich und zu gerechter Verteilung bei, fängt Folgen wirtschaftlicher Fehlentwicklungen auf und sichert sozialen Frieden. Die IG Metall will den Sozialstaat erhalten und ihn, wo nötig, ausbauen und erneuern. In der aktuellen Situation ist die IG Metall gefordert, sich entschieden gegen Sozialabbau zu wehren. Gleichzeitig müssen unsere eigenen Vorschläge zur Zukunftssicherung der sozialen Sicherungssysteme weiterentwickelt und von unseren eigenen Mitgliedern akzeptiert und offensiv vertreten werden. Einfluss auf die politisch-parlamentarischen Entscheidungen können nicht mit einer reinen Verweigerungshaltung geschaffen werden. Die IG Metall ist gefordert, für ihre besseren Alternativen Druck zu machen und mit ihren innovativen Vorschlägen zur Gestaltung des sozialen Wandels zu überzeugen. Dabei muss herausgestellt werden, dass diese Vorschläge den demographischen und gesellschaftlichen Wandel berücksichtigen. Die Konzepte sind geeignet, Generationengerechtigkeit zu verwirklichen und berücksichtigen die solidarische Verpflichtung der Gesellschaft ebenso wie die des Individuums.

5. Leitbild IG Metall: Gestaltungs- und Gegenmacht

5.1 Profilierte Einheitsgewerkschaft


Der Wandel in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik hat gravierende Auswirkungen auf die Gewerkschaftsbewegung. Die IG Metall reagiert auf den Wandel und gestaltet ihn mit, um Gegenmacht zu bleiben und Gestaltungskraft zu behalten. Das Leitbild für die IG Metall der Zukunft ist das einer kampfstarken und durchsetzungsfähigen Gewerkschaft, die in einer veränderten Arbeitsgesellschaft die differenzierten Interessen der Arbeitnehmerschaft tarifpolitisch wirksam und gesellschaftspolitisch erfolgreich vertreten kann. Dazu ist die Verteidigung von Schutzrechten, aber genauso deutlich die Vertretung von Gestaltungskonzepten, notwendig. Wir müssen die Vielfalt unserer täglichen Arbeit, die Flexibilität unserer Tarifverträge und ihrer Anwendung auch öffentlich und offensiv verdeutlichen. Zur Überwindung der Arbeitslosigkeit ist die IG Metall bereit, konstruktiv mit den Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbänden und der Bundesregierung zusammenzuarbeiten. Voraussetzung dafür ist die Bereitschaft aller Beteiligten, eingegangene Verpflichtungen auch einzuhalten.

Die IG Metall versteht sich als politisch profilierte und parteipolitisch unabhängige Einheitsgewerkschaft. Die jüngsten Angriffe auf die Gewerkschaften sind unverschämt und unerträglich. Wir erwarten von allen gesellschaftlichen Kräften, diese entschieden zurückzuweisen. Die Gewerkschaften selbst bleiben besonders gefordert, die Angriffe zu entkräften und für ihre Gestaltungsalternativen öffentlich um Unterstützung zu werben. Zugleich müssen sich Gewerkschaften intensiv damit auseinandersetzen, dass ihnen in der veröffentlichten Meinung und nach Ergebnissen der Meinungsforschung immer stärker die Etiketten der „Blockierer“ und „Verlierer“ zugeschrieben. Um Mitglieder zu binden und neue zu gewinnen, insbesondere in den Bereichen, in denen wir Organisationsdefizite aufweisen, ist es dringend notwendig, entsprechende Gegenstrategien auch im Kommunikationsverhalten zu entwickeln.

5.2 Verankerung in den Betrieben

Grundlage der Gewerkschaftsarbeit ist der Betrieb. Die stabile Verankerung in den Betrieben ist die entscheidende Voraussetzung, um die Arbeitsbedingungen wirksam zu gestalten, tarifpolitische Erfolge zu erzielen, sie in betrieblicher Praxis umzusetzen und als politische Gestaltungskraft ernst genommen zu werden. Das Engagement von Betriebsratsmitgliedern und Vertrauensleuten ist Basis und Rückgrat einer erfolgreichen IG Metall. Der gewerkschaftlichen Betriebspolitik und damit der Arbeit der Betriebsräte und Vertrauensleute wird ein hoher Stellenwert eingeräumt. Ehrenamtliche Funktionäre müssen in den Gremien und in der Arbeit der IG Metall auf allen Ebenen ein stärkeres Gewicht erhalten.

5.3 Strategische Schlüsselaufgabe: Angestellte und Dienstleistungsbereiche

Die strategische Schlüsselaufgabe für die Zukunftssicherung der IG Metall liegt darin, bei den Angestellten und in den produktionsnahen Dienstleistungsbereichen stärker Fuß zu fassen. Dazu gehört auch, die unterschiedlichen Arbeitsbedingungen und Interessen in Tarifverträgen zu berücksichtigen und durch einen stabilen kollektiven Rahmen solidarische Interessenvertretung in Vielfalt zu ermöglichen. Erfolgreiche Politik nimmt den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel ernst. Dabei müssen auch die Interessen und Erfahrungen derjenigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stärker beachtet werden, die über eine höhere Qualifikation verfügen. Dies gilt nicht zuletzt für die Insbesondere die Belange der informations- und kommunikationstechnischen Dienstleistungen. In diesem Sinne ist auch die gewerkschaftliche Vorfeldarbeit an Berufs- und Fachschulen, Fachhochschulen und Universitäten zu fördern.

5.4 Beteiligungsorientierte Politik

Gradmesser für die Qualität gewerkschaftlicher Arbeit ist die Anzahl der Mitglieder und ihre Zufriedenheit mit den politischen Leistungen der IG Metall. Die Anforderungen an die Qualität dieser Leistungen werden steigen. Die IG Metall muss lernen, die Beteiligungswünsche der Mitglieder aktiver aufzunehmen und eine Kultur der Beteiligung zu sichern. Die auch notwendige gewerkschaftspolitische Orientierung ist Ergebnis gemeinsamer Kommunikation und Diskussion von unten, nicht einer Vorgabe von oben. Orientierung entsteht nicht allein durch gute Beschlusslagen, sondern braucht auch die persönliche Kommunikation und einen vertiefenden Dialog. Da über die Politikfähigkeit der IG Metall in den Betrieben entschieden wird, ist die betriebliche Beteiligung an dem Prozess zur Entscheidungsfindung unentbehrlich. In der IG Metall gibt es unterschiedliche Sichtweisen zu politischen und tarifpolitischen Fragen. Im Dialog ist die Kommunikation dieser Sichtweisen zu organisieren. Nur so können sie gebündelt und in die Gesamtpolitik der IG Metall integriert werden.

5.5 Internationale und europäische Gewerkschaftspolitik

Der Globalisierung der Wirtschaft ist auch mit verstärkter globaler Zusammenarbeit der Gewerkschaften zu begegnen. Ansatzpunkte hierfür sind z.B. Weltbetriebsräte, die Durchsetzung von Verhaltenskodizes in multinationalen Unternehmen (Codes of Conduct) und die Mitarbeit in der globalisierungskritischen Bewegung. Ebenso ist die stärkere Europäisierung der Gewerkschaftspolitik, der Gewerkschaften und der betrieblichen Interessenvertretung gefordert. Der Vorstand der IG Metall wird den Ausbau und die Entwicklung weiterer basisnaher Kooperationen politisch unterstützen. Die europäische Gewerkschaftsarbeit soll z.B. durch gemeinsame europäische Aktionen zur Sicherung von Arbeitsplätzen, durch eine engere Koordinierung der Tarifpolitik und den Ausbau der industriepolitischen Zusammenarbeit gestärkt werden. Die Anzahl und die Rechte der europäischen Betriebsräte müssen vergrößert und erweitert werden.

5.6 Reformprozess fortführen

Die IG Metall hat mit der Zukunftsdebatte ihren Reformprozess institutionell und inhaltlich verstärkt. Wir werden die Diskussion über programmatische Änderungen, die aufgrund der Wandlungsprozesse in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik notwendig sind, fortführen. In der IG Metall muss die Voraussetzung für eine stetige Beschäftigung mit Zukunftsfragen geschaffen werden. Die Zusammenarbeit mit gesellschaftlichen Gruppen und Kräften, z.B. den Kirchen, soll ausgebaut, der Kontakt mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, soll verstärkt werden. Die IG Metall bekennt sich zu Reformen in der Gesellschaft und in der eigenen Organisation. Wir wollen Sicherheit im Wandel, Eigenverantwortung und Solidarität, Gerechtigkeit in der Differenzierung und demokratische Beteiligung in der globalen Ökonomie. Wir wollen eine Erneuerung, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkt und die gewerkschaftliche Handlungsfähigkeit sichert.

6. Die wichtigsten Aufgaben

In den kommenden vier Jahren hat die IG Metall vor allem folgende Aufgaben zu bewältigen:
  1. Die programmatische Erneuerung mit dem Ziel „Vielfalt solidarisch gestalten“ ist nachhaltig fortzuführen, um die IG Metall als prägende gesellschaftliche und betriebliche Reformkraft deutlich erfahrbar und erkennbar zu machen.
  2. Wir wollen alle gesellschaftlich vernünftigen Möglichkeiten nutzen, um industrielle und industrienahe Beschäftigung in Deutschland zu sichern: über Tarifpolitik ebenso wie mit Regierungen sowie Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbänden auf gleichgewichtiger und gleichberechtigter Basis.
  3. In den anstehenden Tarifauseinandersetzungen wird die IG Metall alles daran setzen, die Realeinkommen der Beschäftigten zu sichern und ihnen einen gerechten Anteil am gesellschaftlichen Reichtum zu verschaffen, die Leistungs- und Qualifizierungsbedingungen tarifvertraglich zu verbessern und die Differenzierung in der Arbeitswelt durch Tarifvertrag zu gestalten.
  4. Die IG Metall wird ihren Einfluss für einen gerechten Umbau des Sozialstaates und eine solidarische Reform der sozialen Sicherungssysteme mit allem Nachdruck geltend machen.
  5. Die IG Metall will die europäische Gewerkschaftsarbeit stärken - gerade auch angesichts der vertieften Integration und der Osterweiterung der EU - und die Entwicklung in Richtung einer europäischen Mitgliedsgewerkschaft vorantreiben.
  6. Die IG Metall wird sich um die Verbesserung internationaler Gewerkschaftsarbeit, insbesondere auch die Zusammenarbeit der Gewerkschaften und Arbeitnehmervertretungen in multinationalen Konzernen, und um die bessere Kooperation mit Nicht-Regierungs-Organisationen zur gerechten Gestaltung der Globalisierung bemühen.
  7. Die IG Metall wird mit Entschlossenheit die Mitgliederentwicklung noch stärker auf allen Ebenen der IG Metall ins Zentrum unserer Arbeit stellen und das System entsprechender Zielvorgaben für die Verwaltungsstellen weiter entwickeln.
  8. Die Bemühungen, im Bereich der industriellen und industrienahen Dienstleistungen, der Informations- und Kommunikationstechnik betrieblich und tariflich besser verankert zu sein, müssen gezielt intensiviert werden.
  9. Gender Mainstreaming soll in der IG Metall für alle Bereiche und in allen Handlungsfeldern unumkehrbar und ausreichend verankert werden.
  10. Die Verjüngung der IG Metall, insbesondere bei den haupt- und ehrenamtlichen Funktionärinnen und Funktionären, soll gezielt voran getrieben werden.
  11. Um die laufenden Ausgaben – einschließlich der notwendigen Rücklagen – mit den laufenden Einnahmen zu bestreiten, wird der Konsolidierungskurs bei den Ausgaben und der Personalentwicklung fortgesetzt.
  12. Die IG Metall wird in den nächsten Jahren auch weiterhin mit den ihr zur Verfügung stehenden tarif- und betriebspolitischen Mitteln gegen die Massenarbeitslosigkeit kämpfen.
Quelle: Homepage der IG Metall (www.igmetall.de)


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