Mutige Aufklärerinnen
Kurdistan-Irak: Mitarbeiterinnen des Frauenzentrums Khanzad kämpfen gegen häusliche Gewalt und Strafverfolgung von "Ehrverbrechen". Anonyme Drohungen alltäglich
Von Karin Leukefeld *
Salam, sprechen Sie Arabisch?« – Schüchtern betritt eine junge Frau die Terrasse von »Khan-zad«, einem soziokulturellen Frauenzentrum in Sulaimania, Kurdistan-Irak. Ihr rundes, freundliches Gesicht ist fest von einem Kopftuch umschlossen. Eine andere junge Frau steht ihr gegenüber: Hosenanzug, moderne, spitz zulaufende Absatzschuhe. Das kräftige dunkle Haar fällt locker über ihre Schultern – Khandan Jaza ist Leiterin von Khanzad. Sie spreche nur wenige Worte Arabisch, erklärt sie ihrem Gegenüber. Ein Mann mittleren Alters bietet an zu übersetzen und ermuntert den Gast, in die Rezeption zu kommen. Sie komme aus Bagdad, erklärt die junge Frau. Seit drei Monaten sei sie in Sulaimania. Sie wolle sich hier für einen Sportkurs anmelden, das sei doch möglich?
Khandan Jaza lächelt. »Herzlich willkommen«, sagt sie, Sportkurse gebe es jeden Tag. Khandan Jaza ist Sozialarbeiterin; früher arbeitete sie mit Straßenkindern, später mit Witwen, die ihre Männer in einem der vielen Kriege im Irak oder während der »Anfal-Kampagne« verloren hatten. Das war 1987 und 1988, als irakische Truppen kurdische Dörfer systematisch räumten, Alte, Frauen und Kinder vertrieben und die Männer verschleppten. Khandan Jaza leitet das Zentrum seit seiner Gründung 1996. Es trägt den Namen einer kurdischen Stammesführerin, die im 19. Jahrhundert anstelle ihres gefangenen Bruders die Regierungsgeschäfte von Rawanduz (Provinz Erbil, Kurdistan-Irak) geleitet haben soll. Die zwölf Mitarbeiterinnen kämpfen insbesondere für eine gesellschaftliche Ächtung häuslicher Gewalt gegen Frauen. Khanzad bietet neben sportlichen Angeboten auch Alphabetisierungs-, Computer- und Sprachkurse, an denen jährlich rund 7000 Frauen teilnehmen, und Beratung in rechtlichen und sozialen Fragen.
Das größte und bisher erfolgreichste Projekt des Zentrums ist die Arbeit im Frauengefängnis von Sulaimania. Khandan Jaza blättert durch Fotoalben, in denen sie dessen Geschichte seit 1999 dokumentiert hat. Die Bilder sind schockierend. Sie zeigen höhlenähnliche Unterkünfte ohne Fenster, die Schlafmatten liegen auf dem nackten Steinboden. Kein Wasser, ein Blecheimer für die Notdurft, keine Gesundheitsversorgung. Frauen, die ihre Kinder dort zur Welt bringen mußten, bekamen für sie nicht einmal Windeln. Durch das hartnäckige Engagement von Khanzad hat sich inzwischen viel geändert. Es gibt ein neues Haus mit hellen, sauberen Räumen und Bädern. Das Personal ist weiblich, die Gefangenen werden täglich von Khanzad-Mitarbeiterinnen besucht, jeder Neuzugang wird akribisch, aber anonymisiert dokumentiert.
Gründe, warum Frauen in Kurdistan-Irak inhaftiert werden, sind neben kriminellen Vergehen vor allem sogenannte Ehrendelikte – die häufig von männlichen Familienangehörigen mit Verstümmelungen oder Ermordung der Frauen in Selbstjustiz geahndet werden. Auch tatsächliche oder angebliche Prostitution gehört dazu – ein Tabu in der konservativen Stammesgesellschaft. Im Frühjahr 2007 veröffentlichte Khanzad eine Studie, in der Ursachen und Wirkungen der Prostitution erläutert werden. Seit 1999 sei die Zahl der inhaftierten Frauen ebenso gestiegen wie die Fälle von »Prostitution«, erläutert Khandan Jaza. Nach dem Sturz von Saddam Hussein seien die Grenzen zwischen Bagdad, Basra und Kurdistan weggefallen, wodurch die kurdische Gesellschaft mit anderem Lebensweisen konfrontiert worden sei. Außerdem sei man auf neue Technologien wie Satellitenfernsehen und Internet psychologisch und sozial nicht vorbereitet gewesen, sagt Khandan Jaza. Die langen Kriegszeiten hätten die Menschen »verändert und traumatisiert«. Moral, Respekt, kulturelles Verständnis seien zerstört worden. Zudem seien junge Menschen nie über geschlechtliche Beziehungen aufgeklärt worden.
Moscheen und religiöse Vereine reagierten gereizt auf die Studie, in der ihnen eine direkte Verantwortung zugewiesen wurde: »Viele alleinstehende und mittellose Frauen aus Basra, Nadschaf, Kerbala oder Bagdad wurden vertrieben und suchten hier Schutz«, erklärt Khandan Jaza. Doch weil die Moscheen nachts schließen, hätten die Frauen die Nächte auf der Straße verbringen müssen, was sie zu einer leichten Beute für Banden gemacht hätten, die Geld mit Prostitution und Frauenhandel verdienen.
Anonyme Drohanrufe und E-Mails gehören zum Alltag der Khanzad-Mitarbeiterinnen. Auf die Frage, ob jemand sie schütze, lacht Khandan Jaza laut auf: »Nein, nein! Außer unserem Fahrer gibt es da niemanden.«
* Aus: junge Welt, 23. November 2007
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