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Licht in eine unheimliche Schattenwelt

Edward Snowden und Bradley Manning – Whistleblower als Verteidiger der Demokratie

Von Ekkehart Krippendorff *

Es gibt sie noch, die aufregenden politischen Bücher, die an unsere Haustüren klopfen und um Gehör und Einlass bitten.

Wer in diesen Tagen und Wochen aufmerksam durch die Straßen deutscher Städte geht, der entdeckt bescheidene kleine Aufkleber mit dem Bild eines jungen Mannes; sie laden dazu ein, den US-Amerikaner Edward J. Snowden ein Übernachtungsbett zur Verfügung zu stellen. Dem von den Geheimdiensten seines Landes verfolgten »Whistleblower« haben deutsche Juristen aus Dankbarkeit für seine Enthüllungen über die weltweit agierenden US-amerikanischen Spionagenetzwerke, die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und nicht zuletzt die deutsche Verfassung, das Grundgesetz, verletzen und unterhöhlen, ihren höchsten Preis verliehen. Es sind harte Urteile, die Verfassungsjuristen und Staatsrechtler sich heute nicht scheuen auszusprechen – noch vor wenigen Jahren undenkbar. »Das Grundrecht der Post- und Fernmeldefreiheit (Art. 10 GG) steht heute in Deutschland de facto offenbar nur noch auf dem Papier.«

Inzwischen vergeht kaum eine Woche, ja kaum ein Tag ohne dass nicht neue Skandale gesetzeswidrig angezapfter Abhörentdeckungen bekannt werden, die strafrechtlich zu verfolgen die einschlägigen Behörden längst nicht mehr in der Lage sind, weshalb sie resignieren. Auch die Öffentlichkeit ist übermüdet, überfordert und scheint sich mit dem Unerhörtem abzufinden. Die unheimliche Schattenwelt gehört inzwischen zur neuen Wirklichkeit. Warum sich also noch aufregen?

In die tatsächlichen Tiefendimensionen des Abhörwesens oder – kriminellen Unwesens –, das auch dem Gutwilligsten Furcht einzujagen angetan ist, führt nun eine Publikation ein, die die wichtigsten Texte dokumentiert, mit denen 2013 eine internationale Jury ihren Whistleblower-Preis vergab und begründete. Ein eindrucksvolles Handbuch, dessen Beiträge das große Thema differenziert angehen und staunen lassen über die verdeckte und vernebelte Verfassungswirklichkeit, von der auch politisch gebildete Laien keine Ahnung hatten. Geradezu spanend die detaillierte Begründung von Josef Foschepoth für sein bedrückendes Urteil über die Bundesrepublik als Überwachungsstaat. Deutschland habe »seinen freiheitlichen, demokratischen und rechtsstaatlichen Charakter verloren«. Was gleichfalls auf andere europäische Staaten zutrifft, von den USA ganz zu schweigen. Foschepoth gräbt tiefer als andere Autoren und entdeckt, dass der deutsche Verzicht auf partielle Souveränität auf das formale Ende der Besatzungszeit 1990 zurückgeht, der US-amerikanischen Behörden bis heute ein faktisches Interventionsrecht sichert, wenn ihre Bürger (und insbesondere »Sicherheitsbeauftragte«) in Konflikt mit der deutschen Rechtsprechung geraten. Daher wäre auch zu befürchten, dass Snowden, sobald er deutsches Territorium betritt, verhaftet und in die USA überstellt würde. So viel zur angeblich mit der »Wiedervereinigung« erlangten deutschen Souveränität und dem heiligen Gut des »politischem Asyls«.

Erschütternd ist die ausführliche Erörterung des Schicksals von Bradley Manning, dem Vorläufer Snowdens, dessen entwürdigende und zynisch-brutale Behandlung als Militärstrafgefangener jedem Verteidiger US-amerikanischer Rechtsstaatlichkeit die Schamröte ins Gesicht treiben muss. Nüchtern, aber unverzichtbar zum besseren Verständnis des juristischen Kontexts ist in diesem Buch die Debatte von Dieter Deiseroth und Annegret Falter über das Problem der Enthüllung von Staatsgeheimnissen als ein Dilemma demokratischen Regierens überhaupt. Hier steht jeder Staat und dessen sogenannte Staatsraison auf dem Prüfstand.

Die anrührende Kampagne »Ein Bett für Snowden« ist eine, wenn auch nicht massenwirksame, so doch potenziell ernstzunehmende Herausforderung für die Gegenwart und Zukunft der Demokratie als Staatsform: Ungehorsam als Tugend engagierter Bürger und Herz einer aufklärenden Whistleblowerkultur. Als »roter Faden« zieht sich durch alle Beträge dieser Publikation der dringende Aufruf, Whistleblower, wo immer sie sich und ihrem Anliegen Gehör zu schaffen versuchen, gesetzlich in Schutz zu nehmen. Gesetzeslücken sollten diesbezüglich rasch geschlossen werden.

Der durchdringende Terzton amerikanischer Langstreckenzüge ist ein durchaus wichtiges und passendes Signal und hat in seiner aktuellen Begrifflichkeit auch eine gute Chance, ins deutsche politische Vokabular aufgenommen zu werden.

Dieter Deiseroth/Annegret Falter (Hg.): Whistleblower in der Sicherheitspolitik. Vereinigung Deutscher Wissenschaftler e.V. Berliner Wissenschaftsverlag. 233 S., geb., 24 €

* Aus: neues deutschland, Freitag 12. September 2014


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