Snowden-Effekt: BND rüstet auf
Auslandsgeheimdienst lässt sich Konkurrenz mit NSA 300 Millionen Euro kosten *
Erinnert sich noch jemand an Prism?
Und Tempora? Lange her? Genau vor einem
Jahr setzte die Enthüllungswelle ein,
die auf Dokumenten des früheren NSA-Mitarbeiters
Edward Snowden beruht und seitdem
die Welt in Atem hält. Prism und Tempora
sind die Namen der ersten Spionageprogramme,
die Snowden bekannt machte
und mit denen global massenhaft Daten erfasst
und gespeichert werden, oft gegen alle
Vorschriften und Befugnisse. Das Ausmaß
der Bespitzelung vor allem durch USamerikanische,
aber auch andere Geheimdienste
rund um den Erdball war bis dahin
unvorstellbar, und noch ist längst nicht alles
enthüllt.
Die Konsequenzen aus dem Jahrhundertskandal?
Der Enthüller Snowden sitzt
im russischen Asyl; und obwohl er inzwischen
in seiner Heimat einer Mehrheit als
verdienstvoller Whistleblower gilt, wollen
die US-Behörden ihn vor Gericht stellen. Die
Bundesregierung weigert sich, Snowden die
Einreise und juristischen Schutz gewähren,
damit er vor dem NSA-Untersuchungsausschuss
aussagen kann. Der NSA wurden ein
paar kosmetische Reförmchen auferlegt.
Und im Rest der Welt ist die geheimdienstliche
Aufholjagd in vollem Gange.
Ganz vorne dabei ist der Bundesnachrichtendienst.
Der liefert gerade Beispiele
dafür ab, was er unter Erneuerung und
Transparenz versteht. Am Donnerstag
brüstete er sich damit, erstmals eine Frau
mit der Leitung einer Abteilung zu betrauen
(»Meilenstein in Richtung Modernisierung
des Bundesnachrichtendienstes«); die
Tarnung einiger Lauschposten wird aufgehoben.
Wo bisher Fantasietitel wie »Fernmeldeweitverkehrsstelle
« oder »Ionosphäreninstitut
« draufstanden, hängt jetzt ein
BND-Schild an der Tür. Jenseits dieser Groteske
geht es um die harten Fakten. Rund
300 Millionen Euro will der BND in den
nächsten Jahren ausgeben, um sich wettbewerbsfähig
mit NSA und Co. zu machen.
Dazu gehört die systematische Ausforschung
der sozialen Netzwerke im Internet
– genau das, was der NSA vorgeworfen
wird. »So etwas sind totalitäre Werkzeuge
«, sagte der Grünen-Abgeordnete Konstantin
von Notz und drohte mit einer Verfassungsklage,
falls die Große Koalition die
BND-Pläne billigt. Auch der LINKE-Abgeordnete
Jan Korte erklärte: »Alles deutet auf
die Verfassungswidrigkeit der BND-Abhörpraxis hin.«
wh
* Aus: neues deutschland, Freitag, 6. Juni 2014
Die Deutschen und ihre NSA-Affäre
Zwar kommt die Aufklärung nicht wirklich voran, doch immerhin bleibt das Thema in der Diskussion
Von Fabian Lambeck **
Auch ein Jahr nach Beginn der
Snowden-Enthüllungen kommt
die deutsche Öffentlichkeit nicht
zur Ruhe. Für Furore sorgen derzeit
vor allem Politiker und Juristen.
Es hat schon etwas Bizarres: Da findet
sich ein Bundestags-Untersuchungsausschuss
zusammen, der die von Edward Snowden enthüllte
Schnüffelpraxis US-amerikanischer
und deutscher Dienste beleuchten
soll, und die Obleute können sich
nicht darüber verständigen, ob, wo
und wie sie den Hauptbelastungszeugen
anhören wollen. Während
Grüne und LINKE den ehemaligen
Geheimdienstmitarbeiter in
Deutschland befragen möchten, plädieren
Union und SPD für eine Reise
nach Moskau, wo Snowden derzeit
lebt.
Die Bundesregierung hat Angst
vorm Großen Bruder. Dieser zeigte
sich am Donnerstag tatsächlich erzürnt
über Generalbundesanwalt
Harald Range, der nach langem Zögern
nun ein Ermittlungsverfahren
eingeleitet hat. Aber nicht, weil die
NSA millionenfach die Daten von
Bundesbürgern abgegriffen hat,
sondern weil es die Amerikaner
wagten, das Handy der Kanzlerin
abzuhören. Trotzdem: Hinterm großen
Teich sieht man den plötzlichen
Eifer der Bundesanwaltschaft
als Affront. Der ehemalige US-Botschafter
in Berlin John Kornblum
sprach gegenüber dem Deutschlandfunk
am Donnerstag gar von einer
Beleidigung.
Ebenso wie die Ausschussmitglieder
würde auch Range mit Edward
Snowden reden. Doch während
der Generalbundesanwalt noch
in der Planungsphase steckt, will die
Regierungsmehrheit im Ausschuss
am Donnerstag ernst machen. Die
Obleute von Union und SPD kündigten
gestern Morgen an, nach
Moskau fliegen zu wollen, um
Snowden zu einem »informellen Gespräch
« zu treffen. Ein entsprechender
Beschluss sollte noch am
Donnerstagabend gefasst werden.
Mehr als ein freundliches Kennenlernen
wird es nicht werden, denn
das Treffen mit dem exilierten
Whistleblower soll keine Zeugenvernehmung
sein, so Union und SPD.
Grüne und LINKE stehen dem Vorhaben
ablehnend gegenüber. Der
Grünen-Obmann Konstantin von
Notz verspottete den geplanten Trip
als Kaffeefahrt.
Dabei ist die Vorsicht, die Union
und SPD hier an den Tag legen,
nachvollziehbar. Denn wenn die
Amerikaner schon beleidigt sind,
weil der Generalbundesanwalt ein
symbolisch gemeintes Ermittlungsverfahren
anstrengt, dann dürfte bei
einem Deutschland-Besuch Snowdens
der transatlantische Haussegen
erst recht schief hängen. Die
schwarz-rote Bundesregierung verweigert
deshalb auch die Garantie,
dass der Whistleblower hier nicht
festgenommen und an die USA ausgeliefert
wird.
Dabei würde es die Hälfte der
Deutschen sogar begrüßen, wenn
Snowden in der Bundesrepublik Asyl
fände, wie eine aktuelle dimap-Studie
ergab. Laut dieser Erhebung
glauben auch nur 17 Prozent der Befragten,
dass der Untersuchungsausschuss
»zur Aufklärung beitragen
werde«, wie es in der Pressemeldung
der dpa hieß.
Aber die Obleute gaben sich davon
unbeeindruckt und ließen sich
am Donnerstag von Völkerrechtlern
erklären, ob denn die NSA überhaupt
darf, was sie offenbar überall
tut. Leider waren sich die eingeladenen
Experten in dieser Frage nicht
ganz einig. So meinte der Bonner
Jurist Stefan Talmon, das Völkerrecht
biete keinen Schutz vor der
Überwachung durch Nachrichtendienste.
Grundsätzlich sei Spionage
auch in Friedenszeiten erlaubt. Ein
Verstoß gegen das Völkerrecht sei es
aber, wenn Abhöraktivitäten aus einer
diplomatischen Vertretung oder
einem Armeestützpunkt heraus unternommen
würden, so Talmon, der
an der Bonner Friedrich-Wilhelms-
Universität Völkerrecht lehrt.
Douwe Korff von der London Metropolitan
University hingegen bezeichnete
die Abhöraktionen der
NSA als generell illegal. Er empfahl,
die Briten, die zusammen mit der
NSA in die massive Schnüffelei verwickelt
sind, vor den Internationalen
Gerichtshof in Den Haag zu bringen.
Streit zwischen den Juristen gab
es um das angezapfte Kanzlerinnen-
Handy. Während Korff das Abhören
desselbigen als illegal bezeichnete,
sah Stefan Talmon die Sache deutlich
entspannter: »Die Kanzlerin ist
legitimes Objekt ausländischer Spionage.«
Im Ausschuss wird es auch in den
nächsten Wochen hoch hergehen, so
viel ist klar. Und so bietet sich im
Jahr eins nach Snowden ein merkwürdiges
Bild: Während die NSASchüffelei
in der öffentlichen Diskussion
vieler EU-Staaten keine Rolle
mehr spielt, geben die Deutschen
keine Ruhe.
Die »German Angst« vor Big Brother
hat auch ihre lustigen Seiten. In
einer vom Kampagnen-Netzwerk
Campact gestarteten Aktion erklärten
sich 40 000 Bundesbürger bereit,
Edward Snowden in ihrer Wohnung
aufzunehmen. Das Motto der
Initiative: »Ein Bett für Snowden«.
** Aus: neues deutschland, Freitag, 6. Juni 2014
NSA-Humor
Olaf Standke über Ermittlungen ***
im Fall des Merkel-Handys
In Washington pflegt man offensichtlich
einen skurrilen Humor:
Verstimmt zeigte sich jetzt die
Obama-Regierung wegen der Ermittlungen
der Bundesanwaltschaft
zum mutmaßlichen NSALauschangriff
gegen das Handy
von Kanzlerin Merkel. Der »angemessenste
Weg«, dieses Thema
anzugehen, seien nun mal die
»diplomatischen Kanäle«. Und
das, nachdem man den deutschen
Bündnispartner monatelang vergeblich
um Aufklärung und ein
sogenanntes No-Spy-Abkommen
betteln ließ.
Aber letztlich ist diese Reaktion
kaum komischer als ihr Auslöser.
Sieht Generalbundesanwalt
Range im Falle der Regierungschefin
nach peinlichen Monaten
des Herumdrucksens zumindest
den Anfangsverdacht geheimdienstlicher
Agententätigkeit, um
ein Verfahren gegen »unbekannt«
einzuleiten, will er mit Blick auf
die massenhafte Ausspähung der
deutschen Bevölkerung durch USamerikanische
– wie britische –
Geheimdienste »keine zureichenden
tatsächlichen Anhaltspunkte«
erkennen. Selbst belauschte Minister
und Parlamentarier scheinen
also nicht wichtig genug für
einen Anfangsverdacht. Als hätte
es die vor einem Jahr begonnenen
mutigen Enthüllungen des
Whistleblowers Edward Snowden
nicht gegeben, den man auch
partout nicht als Zeugen will. Als
wäre nicht die flächendeckende
Überwachung ein Angriff auf die
Grundrechte aller und das
»Hauptdelikt«, wie es der Grünen-
Abgeordnete Ströbele formulierte.
So gesehen eignet sich
die Merkel-Ermittlung gut zur
Ablenkung, auch von der Rolle
des BND in diesem Skandal.
*** Aus: neues deutschland, Freitag, 6. Juni 2014 (Kommentarr)
Der Journalist als Bürgerrechtler
Glenn Greenwalds Buch »Die globale Überwachung« enthüllt die Enthüllung
Von Fabian Köhler ****
Mit einer E-Mail von Edward Snowden
an Glenn Greenwald begann die
Aufdeckung des Geheimdienstskandals.
Über das darauf folgende
Jahr hat der Enthüllungsjournalist
nun ein Buch geschrieben.
Künftige Historiker hätten es bestimmt
zu den größten Treppenwitzen
der Geschichte gezählt: Fast wäre
die Enthüllung der umfassendsten
Überwachung der Menschheitsgeschichte
daran gescheitert, dass sich
der vorgesehene Enthüllungsjournalist
monatelang weigerte, seinen
Computer vor Überwachung zu schützen.
Die Aufdeckung des NSA-Skandals
durch Edward Snowden ging
schließlich doch in die Geschichte ein.
Wie – das erfährt man im neuen Buch
jenes Glenn Greenwald.
»Die globale Überwachung«, ein
Buch, dessen Titel auch im englischen
Original (»No place to hide«)
eher nach Wühlkiste klingt als nach
dem Buch des wichtigsten Enthüllungsjournalisten
(und auch so aussieht),
ist zu Beginn vor allem eines:
verdammt spannend. Von den frühen
Kontaktversuchen Snowdens
über die heimlichen Treffen in Hongkong
bis zu den Veröffentlichungen
im britischen »Guardian« hätte es
auch als fiktiver Spionagethriller in
den Bestsellerlisten stehen können.
Dabei erfährt der Leser, dass es eigentlich
nicht Verschlüsselungsmuffel
und »Guardian«-Redakteur Greenwald
war, der die Übergabe der Geheimdokumente
einfädelte, sondern seine Freundin, die Dokumentarfilmerin
Laura Poitras. Vor allem aber
liest man allerlei Neues über Edward
Snowden. Denn die Wirklichkeit hinter
dem »29-jährigen Jungen«, von
dem Greenwald meint, er sehe aus,
»als habe er gerade erst begonnen, sich
zu rasieren«, hat kaum etwas mit dem
medialen Bild vom unbedeutenden
Systemadministrator zu tun.
Stattdessen, so erzählt Snowden im
verrumpelten Hotelzimmer, habe er
zu den Top-Spionen von NSA und CIA
gezählt. Der Schulabbrecher arbeitete
getarnt als Diplomat für die CIA in
Genf, galt dort als bester IT-Experte
des Landes. Er war Teil der persönlichen
Geheimdiensttruppe von George
W. Bush, infiltrierte von Japan aus
»militärische und zivile System anderer
Staaten« und wurde schließlich
selbst zum Ausbilder für Gegenspionage.
Er habe »Internetaktivitäten von
Menschen, noch während sie auf der
Tastatur tippten«, verfolgen können,
hätte von seinem Schreibtisch »sogar
den Präsidenten anzapfen« können,
zitiert ihn Greenwald.
Die Stunden, die Greenwald in seinem
Honkonger Hotelzimmer bis zur
Veröffentlichung der ersten Artikel im
»Guardian« herunterzittert, erzeugen
auch beim Leser Herzrasen. Wird die
New Yorker Bürochefin der Zeitung
vor den US-Behörden einknicken?
Wird die »Washington Post« die Geschichte
zuerst veröffentlichen? Wann
ruft der Chef aus London an? So mitreißend
das alles ist, so ernüchternd
wirkt es, als Greenwald nach rund einem
Drittel des Buches vom Thriller-
Autor wieder in die Rolle des Cheferklärers
des NSA-Skandals wechselt.
Gerne hätte man weiter mitfiebern
wollen. Mit Snowden im Transitbereich.
Mit dem »Guardian«, der
sich gegen seine Schließung wehrt. Mit Greenwald, der vom Geheimdienst-
Blogger zum berühmtesten Enthüllungsjournalisten der Welt
aufsteigt. Doch stattdessen listet der
Ex-Verfassungsrechtler nun Programme,
Abteilungen, Geheimakten
und Powerpoint-Folien der NSA auf.
Greenwalds sachlicher und detaillierter
Stil, dem er einen Großteil seiner
Glaubwürdigkeit zu verdanken
hat, dürfte NSA-unerfahrene Leser
hier bald gelangweilt weiterblättern
lassen. Die Dramatik hinter Sätzen
wie »Das OAKSTAR-Team hat mit
Unterstützung von NSAT und GNDA
gerade eine zwölftägige SIGINT-Abfrage
durchgeführt« hätte die NSA
kaum besser verschlüsseln können.
Wer durchhält, bekommt dafür
den bisher besten Überblick über die
NSA-Überwachung geboten. Das hat vor allem einen Grund: Greenwald
fügt den in Hunderte von Zeitungsmeldungen
zerstückelten NSA-Skandal zusammen und schafft es so, selbst
nach einem Jahr medialer Dauerabstumpfung
noch Empörung hervorzurufen, gelegentlich sogar Überraschung.
Auf alte Bekannte wie Prism, XKeyscore, Boundless Informant und
Shell Trumpet stößt man hier. Vor allem
aber auf neue Zusammenhänge.
Greenwald zeigt, wie die USA nach
den Anschlägen vom 11. September
2001 die Grundrechte ihrer Bürger einem
NSA-hörigen Geheimgericht
überließen. Er erläutert, wie ein Abhörprogramm,
das eigentlich für den Irak-Krieg gedacht war, kurzerhand
auf sämtliche US-Bürger ausgedehnt
wurde. Er beschreibt, wie die NSA darauf
abzielt, jede abweichende politische
Meinung zu unterdrücken, jede
regierungskritische Gruppe zu zersetzen
und am Ende dennoch – so der
frühere NSA-Chef Keith Alexander –
stets eines will: »alle Daten sammeln,
immer und jederzeit.« Dabei verlässt
Greenwald vor allem im letzten Drittel
immer wieder die Rolle des nüchternen
Beschreibers und zeigt sich als
engagierter – stellenweise langatmiger
– Bürgerrechtler: Einen »nie dagewesenen
Krieg« wirft er Obama im
Umgang mit Whistleblowern vor. Der
»Washington Post« und »New York
Times« attestiert er, die »Dreckarbeit«
für die US-Regierung zu erledigen.
Und immer wieder, vielleicht etwas zu
oft: Snowden, der alles aufgeben habe,
um die Welt zu verändern.
»Die globale Überwachung« ist ein
Buch wie der NSA-Skandal selbst:
spannend, erschreckend und schließlich
auch etwas ermüdend. Dennoch:
Falls irgendwann wirklich die Historiker
kommen und nach dem Anfang
vom Ende der totalen Überwachung
suchen, werden sie sicher auf dieses
Buch stoßen.
Glenn Greenwald: Die globale Überwachung
– Der Fall Snowden, die amerikanischen
Geheimdienste und die Folgen.
Droemer, 368 S., geb., 19,99 €.
**** Aus: neues deutschland, Freitag, 6. Juni 2014
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