Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Snowden-Effekt: BND rüstet auf

Auslandsgeheimdienst lässt sich Konkurrenz mit NSA 300 Millionen Euro kosten *

Erinnert sich noch jemand an Prism? Und Tempora? Lange her? Genau vor einem Jahr setzte die Enthüllungswelle ein, die auf Dokumenten des früheren NSA-Mitarbeiters Edward Snowden beruht und seitdem die Welt in Atem hält. Prism und Tempora sind die Namen der ersten Spionageprogramme, die Snowden bekannt machte und mit denen global massenhaft Daten erfasst und gespeichert werden, oft gegen alle Vorschriften und Befugnisse. Das Ausmaß der Bespitzelung vor allem durch USamerikanische, aber auch andere Geheimdienste rund um den Erdball war bis dahin unvorstellbar, und noch ist längst nicht alles enthüllt.

Die Konsequenzen aus dem Jahrhundertskandal? Der Enthüller Snowden sitzt im russischen Asyl; und obwohl er inzwischen in seiner Heimat einer Mehrheit als verdienstvoller Whistleblower gilt, wollen die US-Behörden ihn vor Gericht stellen. Die Bundesregierung weigert sich, Snowden die Einreise und juristischen Schutz gewähren, damit er vor dem NSA-Untersuchungsausschuss aussagen kann. Der NSA wurden ein paar kosmetische Reförmchen auferlegt. Und im Rest der Welt ist die geheimdienstliche Aufholjagd in vollem Gange.

Ganz vorne dabei ist der Bundesnachrichtendienst. Der liefert gerade Beispiele dafür ab, was er unter Erneuerung und Transparenz versteht. Am Donnerstag brüstete er sich damit, erstmals eine Frau mit der Leitung einer Abteilung zu betrauen (»Meilenstein in Richtung Modernisierung des Bundesnachrichtendienstes«); die Tarnung einiger Lauschposten wird aufgehoben. Wo bisher Fantasietitel wie »Fernmeldeweitverkehrsstelle « oder »Ionosphäreninstitut « draufstanden, hängt jetzt ein BND-Schild an der Tür. Jenseits dieser Groteske geht es um die harten Fakten. Rund 300 Millionen Euro will der BND in den nächsten Jahren ausgeben, um sich wettbewerbsfähig mit NSA und Co. zu machen.

Dazu gehört die systematische Ausforschung der sozialen Netzwerke im Internet – genau das, was der NSA vorgeworfen wird. »So etwas sind totalitäre Werkzeuge «, sagte der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz und drohte mit einer Verfassungsklage, falls die Große Koalition die BND-Pläne billigt. Auch der LINKE-Abgeordnete Jan Korte erklärte: »Alles deutet auf die Verfassungswidrigkeit der BND-Abhörpraxis hin.« wh

* Aus: neues deutschland, Freitag, 6. Juni 2014


Die Deutschen und ihre NSA-Affäre

Zwar kommt die Aufklärung nicht wirklich voran, doch immerhin bleibt das Thema in der Diskussion

Von Fabian Lambeck **


Auch ein Jahr nach Beginn der Snowden-Enthüllungen kommt die deutsche Öffentlichkeit nicht zur Ruhe. Für Furore sorgen derzeit vor allem Politiker und Juristen.

Es hat schon etwas Bizarres: Da findet sich ein Bundestags-Untersuchungsausschuss zusammen, der die von Edward Snowden enthüllte Schnüffelpraxis US-amerikanischer und deutscher Dienste beleuchten soll, und die Obleute können sich nicht darüber verständigen, ob, wo und wie sie den Hauptbelastungszeugen anhören wollen. Während Grüne und LINKE den ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter in Deutschland befragen möchten, plädieren Union und SPD für eine Reise nach Moskau, wo Snowden derzeit lebt.

Die Bundesregierung hat Angst vorm Großen Bruder. Dieser zeigte sich am Donnerstag tatsächlich erzürnt über Generalbundesanwalt Harald Range, der nach langem Zögern nun ein Ermittlungsverfahren eingeleitet hat. Aber nicht, weil die NSA millionenfach die Daten von Bundesbürgern abgegriffen hat, sondern weil es die Amerikaner wagten, das Handy der Kanzlerin abzuhören. Trotzdem: Hinterm großen Teich sieht man den plötzlichen Eifer der Bundesanwaltschaft als Affront. Der ehemalige US-Botschafter in Berlin John Kornblum sprach gegenüber dem Deutschlandfunk am Donnerstag gar von einer Beleidigung.

Ebenso wie die Ausschussmitglieder würde auch Range mit Edward Snowden reden. Doch während der Generalbundesanwalt noch in der Planungsphase steckt, will die Regierungsmehrheit im Ausschuss am Donnerstag ernst machen. Die Obleute von Union und SPD kündigten gestern Morgen an, nach Moskau fliegen zu wollen, um Snowden zu einem »informellen Gespräch « zu treffen. Ein entsprechender Beschluss sollte noch am Donnerstagabend gefasst werden. Mehr als ein freundliches Kennenlernen wird es nicht werden, denn das Treffen mit dem exilierten Whistleblower soll keine Zeugenvernehmung sein, so Union und SPD. Grüne und LINKE stehen dem Vorhaben ablehnend gegenüber. Der Grünen-Obmann Konstantin von Notz verspottete den geplanten Trip als Kaffeefahrt.

Dabei ist die Vorsicht, die Union und SPD hier an den Tag legen, nachvollziehbar. Denn wenn die Amerikaner schon beleidigt sind, weil der Generalbundesanwalt ein symbolisch gemeintes Ermittlungsverfahren anstrengt, dann dürfte bei einem Deutschland-Besuch Snowdens der transatlantische Haussegen erst recht schief hängen. Die schwarz-rote Bundesregierung verweigert deshalb auch die Garantie, dass der Whistleblower hier nicht festgenommen und an die USA ausgeliefert wird.

Dabei würde es die Hälfte der Deutschen sogar begrüßen, wenn Snowden in der Bundesrepublik Asyl fände, wie eine aktuelle dimap-Studie ergab. Laut dieser Erhebung glauben auch nur 17 Prozent der Befragten, dass der Untersuchungsausschuss »zur Aufklärung beitragen werde«, wie es in der Pressemeldung der dpa hieß.

Aber die Obleute gaben sich davon unbeeindruckt und ließen sich am Donnerstag von Völkerrechtlern erklären, ob denn die NSA überhaupt darf, was sie offenbar überall tut. Leider waren sich die eingeladenen Experten in dieser Frage nicht ganz einig. So meinte der Bonner Jurist Stefan Talmon, das Völkerrecht biete keinen Schutz vor der Überwachung durch Nachrichtendienste. Grundsätzlich sei Spionage auch in Friedenszeiten erlaubt. Ein Verstoß gegen das Völkerrecht sei es aber, wenn Abhöraktivitäten aus einer diplomatischen Vertretung oder einem Armeestützpunkt heraus unternommen würden, so Talmon, der an der Bonner Friedrich-Wilhelms- Universität Völkerrecht lehrt.

Douwe Korff von der London Metropolitan University hingegen bezeichnete die Abhöraktionen der NSA als generell illegal. Er empfahl, die Briten, die zusammen mit der NSA in die massive Schnüffelei verwickelt sind, vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu bringen. Streit zwischen den Juristen gab es um das angezapfte Kanzlerinnen- Handy. Während Korff das Abhören desselbigen als illegal bezeichnete, sah Stefan Talmon die Sache deutlich entspannter: »Die Kanzlerin ist legitimes Objekt ausländischer Spionage.«

Im Ausschuss wird es auch in den nächsten Wochen hoch hergehen, so viel ist klar. Und so bietet sich im Jahr eins nach Snowden ein merkwürdiges Bild: Während die NSASchüffelei in der öffentlichen Diskussion vieler EU-Staaten keine Rolle mehr spielt, geben die Deutschen keine Ruhe.

Die »German Angst« vor Big Brother hat auch ihre lustigen Seiten. In einer vom Kampagnen-Netzwerk Campact gestarteten Aktion erklärten sich 40 000 Bundesbürger bereit, Edward Snowden in ihrer Wohnung aufzunehmen. Das Motto der Initiative: »Ein Bett für Snowden«.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 6. Juni 2014


NSA-Humor

Olaf Standke über Ermittlungen ***

im Fall des Merkel-Handys In Washington pflegt man offensichtlich einen skurrilen Humor: Verstimmt zeigte sich jetzt die Obama-Regierung wegen der Ermittlungen der Bundesanwaltschaft zum mutmaßlichen NSALauschangriff gegen das Handy von Kanzlerin Merkel. Der »angemessenste Weg«, dieses Thema anzugehen, seien nun mal die »diplomatischen Kanäle«. Und das, nachdem man den deutschen Bündnispartner monatelang vergeblich um Aufklärung und ein sogenanntes No-Spy-Abkommen betteln ließ.

Aber letztlich ist diese Reaktion kaum komischer als ihr Auslöser. Sieht Generalbundesanwalt Range im Falle der Regierungschefin nach peinlichen Monaten des Herumdrucksens zumindest den Anfangsverdacht geheimdienstlicher Agententätigkeit, um ein Verfahren gegen »unbekannt« einzuleiten, will er mit Blick auf die massenhafte Ausspähung der deutschen Bevölkerung durch USamerikanische – wie britische – Geheimdienste »keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte« erkennen. Selbst belauschte Minister und Parlamentarier scheinen also nicht wichtig genug für einen Anfangsverdacht. Als hätte es die vor einem Jahr begonnenen mutigen Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden nicht gegeben, den man auch partout nicht als Zeugen will. Als wäre nicht die flächendeckende Überwachung ein Angriff auf die Grundrechte aller und das »Hauptdelikt«, wie es der Grünen- Abgeordnete Ströbele formulierte. So gesehen eignet sich die Merkel-Ermittlung gut zur Ablenkung, auch von der Rolle des BND in diesem Skandal.

*** Aus: neues deutschland, Freitag, 6. Juni 2014 (Kommentarr)


Der Journalist als Bürgerrechtler

Glenn Greenwalds Buch »Die globale Überwachung« enthüllt die Enthüllung

Von Fabian Köhler ****


Mit einer E-Mail von Edward Snowden an Glenn Greenwald begann die Aufdeckung des Geheimdienstskandals. Über das darauf folgende Jahr hat der Enthüllungsjournalist nun ein Buch geschrieben.

Künftige Historiker hätten es bestimmt zu den größten Treppenwitzen der Geschichte gezählt: Fast wäre die Enthüllung der umfassendsten Überwachung der Menschheitsgeschichte daran gescheitert, dass sich der vorgesehene Enthüllungsjournalist monatelang weigerte, seinen Computer vor Überwachung zu schützen. Die Aufdeckung des NSA-Skandals durch Edward Snowden ging schließlich doch in die Geschichte ein. Wie – das erfährt man im neuen Buch jenes Glenn Greenwald.

»Die globale Überwachung«, ein Buch, dessen Titel auch im englischen Original (»No place to hide«) eher nach Wühlkiste klingt als nach dem Buch des wichtigsten Enthüllungsjournalisten (und auch so aussieht), ist zu Beginn vor allem eines: verdammt spannend. Von den frühen Kontaktversuchen Snowdens über die heimlichen Treffen in Hongkong bis zu den Veröffentlichungen im britischen »Guardian« hätte es auch als fiktiver Spionagethriller in den Bestsellerlisten stehen können.

Dabei erfährt der Leser, dass es eigentlich nicht Verschlüsselungsmuffel und »Guardian«-Redakteur Greenwald war, der die Übergabe der Geheimdokumente einfädelte, sondern seine Freundin, die Dokumentarfilmerin Laura Poitras. Vor allem aber liest man allerlei Neues über Edward Snowden. Denn die Wirklichkeit hinter dem »29-jährigen Jungen«, von dem Greenwald meint, er sehe aus, »als habe er gerade erst begonnen, sich zu rasieren«, hat kaum etwas mit dem medialen Bild vom unbedeutenden Systemadministrator zu tun.

Stattdessen, so erzählt Snowden im verrumpelten Hotelzimmer, habe er zu den Top-Spionen von NSA und CIA gezählt. Der Schulabbrecher arbeitete getarnt als Diplomat für die CIA in Genf, galt dort als bester IT-Experte des Landes. Er war Teil der persönlichen Geheimdiensttruppe von George W. Bush, infiltrierte von Japan aus »militärische und zivile System anderer Staaten« und wurde schließlich selbst zum Ausbilder für Gegenspionage. Er habe »Internetaktivitäten von Menschen, noch während sie auf der Tastatur tippten«, verfolgen können, hätte von seinem Schreibtisch »sogar den Präsidenten anzapfen« können, zitiert ihn Greenwald.

Die Stunden, die Greenwald in seinem Honkonger Hotelzimmer bis zur Veröffentlichung der ersten Artikel im »Guardian« herunterzittert, erzeugen auch beim Leser Herzrasen. Wird die New Yorker Bürochefin der Zeitung vor den US-Behörden einknicken? Wird die »Washington Post« die Geschichte zuerst veröffentlichen? Wann ruft der Chef aus London an? So mitreißend das alles ist, so ernüchternd wirkt es, als Greenwald nach rund einem Drittel des Buches vom Thriller- Autor wieder in die Rolle des Cheferklärers des NSA-Skandals wechselt.

Gerne hätte man weiter mitfiebern wollen. Mit Snowden im Transitbereich. Mit dem »Guardian«, der sich gegen seine Schließung wehrt. Mit Greenwald, der vom Geheimdienst- Blogger zum berühmtesten Enthüllungsjournalisten der Welt aufsteigt. Doch stattdessen listet der Ex-Verfassungsrechtler nun Programme, Abteilungen, Geheimakten und Powerpoint-Folien der NSA auf. Greenwalds sachlicher und detaillierter Stil, dem er einen Großteil seiner Glaubwürdigkeit zu verdanken hat, dürfte NSA-unerfahrene Leser hier bald gelangweilt weiterblättern lassen. Die Dramatik hinter Sätzen wie »Das OAKSTAR-Team hat mit Unterstützung von NSAT und GNDA gerade eine zwölftägige SIGINT-Abfrage durchgeführt« hätte die NSA kaum besser verschlüsseln können.

Wer durchhält, bekommt dafür den bisher besten Überblick über die NSA-Überwachung geboten. Das hat vor allem einen Grund: Greenwald fügt den in Hunderte von Zeitungsmeldungen zerstückelten NSA-Skandal zusammen und schafft es so, selbst nach einem Jahr medialer Dauerabstumpfung noch Empörung hervorzurufen, gelegentlich sogar Überraschung. Auf alte Bekannte wie Prism, XKeyscore, Boundless Informant und Shell Trumpet stößt man hier. Vor allem aber auf neue Zusammenhänge.

Greenwald zeigt, wie die USA nach den Anschlägen vom 11. September 2001 die Grundrechte ihrer Bürger einem NSA-hörigen Geheimgericht überließen. Er erläutert, wie ein Abhörprogramm, das eigentlich für den Irak-Krieg gedacht war, kurzerhand auf sämtliche US-Bürger ausgedehnt wurde. Er beschreibt, wie die NSA darauf abzielt, jede abweichende politische Meinung zu unterdrücken, jede regierungskritische Gruppe zu zersetzen und am Ende dennoch – so der frühere NSA-Chef Keith Alexander – stets eines will: »alle Daten sammeln, immer und jederzeit.« Dabei verlässt Greenwald vor allem im letzten Drittel immer wieder die Rolle des nüchternen Beschreibers und zeigt sich als engagierter – stellenweise langatmiger – Bürgerrechtler: Einen »nie dagewesenen Krieg« wirft er Obama im Umgang mit Whistleblowern vor. Der »Washington Post« und »New York Times« attestiert er, die »Dreckarbeit« für die US-Regierung zu erledigen. Und immer wieder, vielleicht etwas zu oft: Snowden, der alles aufgeben habe, um die Welt zu verändern.

»Die globale Überwachung« ist ein Buch wie der NSA-Skandal selbst: spannend, erschreckend und schließlich auch etwas ermüdend. Dennoch: Falls irgendwann wirklich die Historiker kommen und nach dem Anfang vom Ende der totalen Überwachung suchen, werden sie sicher auf dieses Buch stoßen.

Glenn Greenwald: Die globale Überwachung – Der Fall Snowden, die amerikanischen Geheimdienste und die Folgen. Droemer, 368 S., geb., 19,99 €.

**** Aus: neues deutschland, Freitag, 6. Juni 2014


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