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Verschwörer gegen die NSA im Bundestag?

Gefälligkeitsgutachten zu Snowdens Vernehmung soll Abgeordnete einschüchtern – Merkel bei Obama

Von René Heilig *

Mitgliedern des NSA-Ausschusses könnte in den USA Strafverfolgung drohen, wenn sie Edward Snowden vernehmen. Das sagt ein Gutachten aus den USA.

Wer bislang glaubte, dass der US-Geheimdienst NSA sich gegen Grundrechte auch deutscher Bürger verschworen hat, weil er massenhaft und grundgesetzwidrig abhört, kommt nun ins Staunen. Verschwörer sind angeblich jene Abgeordneten, die im Rahmen ihres Auftrages als Mitglieder des Bundestags-Untersuchungsausschusses den Aufdecker des Skandals, den Whistleblower Edward Snowden, vernehmen wollen.

Schon der Versuch sei strafwürdig. Das suggeriert ein Gutachten der Washingtoner Kanzlei Rubin, Winston, Diercks, Harris & Cooke. Es wurde im Auftrag der deutschen Botschaft erstellt. Darin warnt der Jurist Jeffrey Harris davor, den »Haupttäter« zu veranlassen, geheime Informationen weiterzugeben. Das könne mindestens als »Diebstahl staatlichen Eigentums« ausgelegt werden.

Der Verfasser des – wie die Bundesregierung in ihrem als Verschlusssache klassifizierten Bericht schreibt – »anwaltlichen Fachgutachtens«, Jeffrey Harris, ist ein guter Bekannter deutscher Regierungskreise. Der erfahrene Prozessrechtler hat vor seiner Karriere als Anwalt in verschiedenen Positionen für staatliche US-Behörden und -Ministerien gearbeitet. Man kann davon ausgehen, dass er die Befindlichkeiten der US-Administration solide transportiert.

Auch jenseits der Warnungen aus Washington will die deutsche Regierung den ehemaligen NSA-Mitarbeiter Snowden nicht nach Deutschland einreisen lassen. Schließlich sei der in den USA »wegen Spionage und Diebstahl von Staatsgeheimnissen angeklagt«. Im Falle einer Gewährung der Aufenthaltszusage wäre »sehr wahrscheinlich mit schweren und dauerhaften Belastungen des Verhältnisses« zu den USA zu rechnen. »Dies liefe wichtigen politischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland zuwider.« Laut einem gestern dem Bundestagsausschuss zugeleiteten Bericht befürchtet man, dass Präsident Barack Obama die »Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheitsbehörden zumindest vorübergehend einschränken« könnte. Der Bericht, in dessen Lancierung an Medien die Chefs der Grünen-Fraktion, »einen Verstoß gegen die grundgesetzlich geschützte Freiheit des Mandats« sehen, deutet Alternativen an: Vernehmung im Ausland, eine Videokonferenz oder eine schriftliche Vernehmung. Sogar die Möglichkeit einer Vernehmung durch russische Behörden wird offeriert. Unions- und SPD-Politiker wie Andreas Schockenhoff und Rolf Mützenich können sich damit anfreunden. Ausgerechnet in einem Land, das – wie die Regierung derzeit ständig betont – Grund- und Menschenrechte missachtet? Martina Renner, Obfrau der Linksfraktion, wundert sich und betont: Grüne und LINKE werden in der kommenden Ausschusssitzung den förmlichen Antrag zur Vernehmung Snowdens in Berlin stellen.

Unterdessen traf sich in Washington Kanzlerin Merkel mit Präsident Obama. Am Freitagabend sah alles nach einem harmonischen Verlauf des Kurzbesuches aus. Trotz des Hauptthemas Ukraine-Krise.

* Aus: neues deutschland, Samstag 3. Mai 2014


Staatsräson

Gutachten zu Snowden-Befragung

Von Ulla Jelpke *


Edward Snowden soll auf keinen Fall nach Deutschland kommen, und er soll am besten auch nicht in Moskau befragt werden – das ist die Quintessenz eines sogenannten Gutachtens der Bundesregierung. Teile davon hat sie bequemerweise direkt in Washington bestellt.

Grüne und Linke wollen den US-amerikanischen Geheimdienstdissidenten als Zeugen vor den NSA-Untersuchungsausschuß des Bundestages laden. Die US-Regierung mauert nach Kräften, und wer sonst, außer Snowden, könnte am kompetentesten darüber aufklären, welches Ausmaß die gesetzwidrige US-Schnüffelei hatte und wieviel die Bundesregierung darüber wußte? Aber das will die diese verhindern, und dazu fährt sie großes Geschütz auf: Eine offizielle Einladung Snowdens nach Deutschland sei eine »Gefährdung des Staatswohls«, weil sie »erhebliche negative Auswirkungen auf die deutsch-amerikanischen Beziehungen« mit sich brächte und zu »befürchten« (sic!) sei, »daß die US-Geheimdienste ihre Koopera­tion mit deutschen Geheimdiensten aussetzen«.

Merke: Das Staatswohl ist nicht gefährdet, wenn ein angeblich befreundeter Staat auf Teufel komm raus Bürger und selbst Regierungspolitiker ausspioniert – sondern erst dann, wenn man diesem Datenraub auf die Schliche kommt. Die staatlichen US-Schnüffler zu verärgern, ist für die Bundesregierung ein Angriff auf die Staatsräson. Deutlicher kann sie nicht machen, daß ihr das Recht der eigenen Bürger auf den Schutz ihrer Daten piepegal ist. Egal ist ihr auch der Stellenwert eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses. Obwohl sie verpflichtet ist, dessen Aufklärungsbegehren zu unterstützen, stellt sie die Partnerschaft mit den USA ganz obenan. Eine Partnerschaft, die freilich keine ist, sondern eher eine Komplizenschaft zwischen einem großen und einem kleinen Banditen.

Die SPD, die voriges Jahr noch Merkels Untätigkeit anprangerte, steht ebenfalls fest auf dem Boden dieser »Staatsräson«. Man könne Snowden ja in Moskau befragen. Aber besser nicht: Die Bundesregierung hat auch hierzu ein Gutachten bestellt, und zwar bei einer konservativen US-Kanzlei. Tenor: Wer auch immer Snowden dazu auffordert, Geheimnisse zu verraten, macht sich in den USA strafbar und kann dort verhaftet werden. Das gilt auch für deutsche Parlamentarier, deren Immunität nicht garantiert sei. Wann war das letzte Mal, daß eine deutsche Regierung unbotmäßigen Abgeordneten direkt oder indirekt androhte, sie in den Knast zu befördern?

Daß die US-Seite tatsächlich jegliche Kooperation mit deutschen Geheimdiensten einstellte, wenn Snowden nach Berlin eingeladen würde, ist eher unwahrscheinlich. Aber selbst wenn: Läge darin nicht eine Chance, diese unselige Allianz der Geheimdienste endlich zu beenden?

** Die Autorin ist innenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Bundestag

Aus: junge Welt, Samstag 3. Mai 2014 (Gastkommentar)



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