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US-Spionage? Auch die EU schaut weg

Die Vorwürfe gegen NSA & Co. mehren sich, Aufklärung bleibt aus – ist Infiltration der Dienste eine Lösung?

Von René Heilig *

Die Geheimdienste der Neuen Welt machen ihren Job. Diese Erkenntnis hat 2013 nach den Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden in der Alten Welt für Aufregung gesorgt. Und das war’s.

So genau blickt keiner mehr durch. »Prism«, »Tempora«, »XKeyscore« ... Handys – sogar das der Kanzlerin – wurden abgehört. Auf Berliner Botschaftsdächern von Verbündeten entdeckte man seltsame Gebilde, die Abhörtechnik beinhalten sollen. Dabei sind als Urheber der Gesetzesbrüche vor allem der US-Geheimdienst NSA und der britische Government Communications Headquarters (GCHQ) geoutet. Berichtet wurde, dass die Dienste bereits beim Entwickeln von kommerziell vertriebener Software »Hintertüren« einbauen, damit die Agenten von vorn herein hinterrücks Zugang haben. Nicht nur nationales Recht wird weltweit missachtet, auch Einrichtungen der Europäischen Union wurden von Geheimdiensten infiltriert.

Eigentlich hatte US-Präsident Barack Obama für den Dezember einen Bericht angekündigt, der alle wesentlichen Fragen klären sollte. Jetzt ist Januar. Nichts ist geklärt. Je mehr Behauptungen über die offensive Dienstauffassung vor allem der US-Spione die Runde machen, umso weniger Aufklärung scheint es zu geben. Sicher ist nur: Die Welt schlittert in eine totalüberwachte digitale Zukunft.

Gegenwehr von unten rührte sich auf dem jüngst in Hamburg veranstalteten 30. Chaos Communication Congress. Internetexperten suchten nach technischen Lösungen. Denn »der Kampf um die Freiheit des Internets« werde vor allem »auf dem Schlachtfeld der Technologie geführt«, erklärte Journalist Glenn Greenwald. Der Mann, der mit dem einstigen NSA-Experten Snowden die Spionageaffäre ins Rollen gebracht hatte, war der Veranstaltung zugeschaltet. Noch radikaler erscheinen die Ideen von Julian Assange, der ebenfalls per Videoübertragung zu Wort kam. Er möchte das Spionagesystem von innen heraus zerschlagen: »Tretet der CIA bei«, forderte der Wikileaks-Gründer. Hacker sollten sich wo immer möglich von Geheimdiensten und deren willfährigen Softwarefirmen rekrutieren lassen, um an Informationen zu gelangen und sie – so wie Snowden – öffentlich machen. Schaut man sich an, wie rasch Assange nach der Veröffentlichung brisanter US-Militär- und Regierungsgeheimnisse »kalt« gestellt werden konnte, muss man an der Machbarkeit dieser Infiltrationsstrategie zweifeln.

Nun gibt es diverse gewählte Politiker, deren Job es wäre, Schaden vom eigenen Volke und denen der EU fern zu halten. Auf EU-Ebene wurden nach Bekanntwerden der Spionageaktiviäten umgehend Forderungen laut, man möge die Verhandlungen mit den USA zur Errichtung einer Freihandelszone stoppen, andere Verträge auf Eis legen, die Übermittlung von Fluggastdaten an den US-Heimatschutz stoppen. Zudem wollte man Großbritannien, das ja bekanntermaßen zu den wichtigsten Ländern der EU gehört, zur Offenlegung aller Fakten drängen.

Andere Experten propagierten eine andere Art »Infiltration«. Deutschland solle eine Mitgliedschaft in dem angelsächsisch geprägten Spionage-Bündnis »Five Eyes« anstreben. Dann wissen man wenigstens Bescheid über die Spionageziele der USA, Großbritanniens, Kanadas, Australiens und Neuseelands. Dem wurde aus Berlin erwidert, dass ein gesondertes No-Spy-Abkommen zwischen den USA und Deutschland erfolgversprechender sei. Viel Lärm um bislang gar nichts.

Weil es – wie in Deutschland – auch auf EU-Ebene kaum belastbare Ermittlungsergebnisse zur Aufklärung des Skandals gibt, wollte die Linksfraktion im Bundestag jüngst wissen: »Was könnte aus Sicht der Bundesregierung getan werden, um auf EU-Ebene eine effektivere Untersuchung von ungesetzlicher geheimdienstlicher Spionage zu ermöglichen und so Minimalstandards der Europäischen Menschenrechtskonvention zu sichern?«

Die Antwort der Bundesregierung ist knapp. Nichtssagend. Entlarvend. »Fragen der nationalen Sicherheit liegen kompetenzrechtlich nicht im Bereich der Europäischen Union.« Höchst gelassen teilt die Bundesregierung mit, dass sich nach ihrem Kenntnisstand »keine EU-Agentur... mit der Abwehr von Spionage gegen EU-Institutionen« befasst. Doch auch bestehende Einrichtungen wie EUROPOL werden nicht zur Aufklärung genutzt. Dazu müsste nur ein einziges Mitgliedsland der Polizeiagentur ein entsprechendes Mandat für Ermittlungen erteilen. Keiner tut es.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 2. Januar 2014


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