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Lässt sich die NSA einfach totrüsten?

Ausschussabgeordnete bekamen »Volkshochschulkurs« mit unorthodoxen Ideen für mehr IT-Sicherheit

Von René Heilig *

Der sogenannte NSA-Untersuchungsausschuss hatte auf seiner vorletzten Sitzung vor der Sommerpause Experten geladen. Sie erklärten Grundlagen digitaler Spionage und Abwehrmöglichkeiten.

Christian Flisek ist Obmann der SPD im sogenannten NSA-Untersuchungsausschuss und bekannte vor der Donnerstagssitzung: »Heute werde ich mich sehr konzentrieren müssen.« Dass er diese Selbstverständlichkeit so herausstellt, liegt daran, dass er als Jurist herzlich wenig versteht von den technisch-technologischen Möglichkeiten, mit denen es der National Security Agency (NSA) gelingt, die Welt unter ihre digitale Kontrolle zu zwingen.

Das unterscheidet den SPD-Mann nicht von Kollegen im Ausschuss. Allenfalls Konstantin von Notz, den die Grünen als Obmann benannten, mag ein wenig schlauer daher kommen. Zwar handelt seine Dissertation vom evangelischen Kirchenrecht, doch seit ein paar Jahren ist der Grüne aus bürgerrechtlicher Sicht an Netzpolitik interessiert. Und dabei sehr engagiert.

Zum »Volkshochschul-Crashkurs« in Sachen Internetspionage hatte man gestern drei Sachverständige in den Ausschuss gebeten: Professor Michael Waidner – der Frauenhofer-Experte lehrt auch an der TU-Darmstadt –, dazu den Cyberwar-Experten Sandro Gaycken von der FU-Berlin, der auch die NATO und das Auswärtige Amt berät, sowie Christopher Soghoian. Dieses von den Grünen empfohlene IT-Superhirn aus den USA ließ sich entschuldigen, sein Flug sei gestrichen worden. Kurzfristig sprang Frank Rieger, ein Mann aus dem Chaos Computer Club ein.

Rieger hält die NSA für eine Art »Mafia mit Rechtsabteilung«. Wenn Diplomatie und Geld nicht mehr helfen, schicke man halt die Techniker los, um Kabel anzuzapfen. Die Rechtsabteilungen sorgten schließlich dafür, dass alles vernebelt werde. Sowohl die massenhafte wie die individuelle Ausspähung von Bürgern könne »demokratiegefährdende Auswirkungen haben«. Der jüngste Abhörskandal in Polen zeige, wie rasch Regierungen in Bedrängnis zu bringen sind.

So wie seine geladenen Kollegen hält jedoch auch Rieger das Problem der Massenüberwachung durch die NSA für nahezu lösbar. Nicht durch internationale Verträge, die taugen nichts, wenn es um Spionage geht. Doch wenn die Politik den Internetfirmen Sicherheitsstandards abverlangte, wenn man – was unter den geladenen Experten umstritten ist – Europas eigene IT-Infrastruktur innerhalb des Schengenraums stärken, eigene Hersteller von IT-Sicherheitslösungen fördern sowie Recht und Technik synchronisieren würde, hätte man etwas aus dem NSA-Skandal gelernt. Diskutiert wurde die sogenannte Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Sie biete gute Abwehrmöglichkeiten. Ihre flächendeckende Einführung gehört aus Waidners Sicht zur Grundversorgung wie der Breitbandausbau. Er legte zehn Vorschläge auf den Tisch, die – so sie von der Politik beherzigt werden – in relativ kurzer Zeit Deutschland und die EU zu ursprünglicher Datensouveränität zurückleiten können.

Die Lösung, die der Chaos-Computer-Club-Mann Rieger dann als ein weiteres Moment in den Raum stellte, verblüffte alle Laien. Er hält es für möglich, »die NSA totzurüsten«. Mit relativ billigen technischen Lösungen könnte man das Spitzeln für jeden Angreifer extrem teuer machen. So teuer, dass auch der 50 Milliarden US-Dollar-NSA-Etat überfordert ist.

Doch das muss man wollen. Und vor allem muss man seine eigenen Dienste an die Kandare nehmen, die dieselben Mittel wie die NSA anwenden und mit den US-Kollegen munter Daten dealen.

Das müsste man aufdecken und notfalls stoppen, sagt SPD-Obmann Flisek. Und da ist er auf einer Linie mit den LINKEN und den Grünen. Weniger wohl mit der Union. Es fällt auf, dass der Unions-Obmann Roderich Kiesewetter hellwach ist, wenn jemand die Buchstaben B, N und D zu einem Begriff verbindet. Der Oberst der Reserve und Chef des Reservistenverbandes hat längst herausgefunden, dass der deutsche Auslandsdienst nichts Verbotenes getan hat.

Schon ein grober Blick auf einige Snowden-Papiere, die der »Spiegel« jüngst ins Internet gestellt hat, lässt daran und an der Unschuld des Bundesamtes für Verfassungsschutz zweifeln. Beispiel: Da habe sich bereits im Januar 2012 ein »Hr. Klaus-Fritsche (State Secretary)« nach den Möglichkeiten der NSA erkundigt, die Kommunikationsplattform Skype auszuspionieren.

Es gibt einen Staatssekretär Klaus Dieter Fritsche (CSU) in Merkels Kanzleramt. Dort ist er zuständig für die Koordination der deutschen Geheimdienste und speziell den BND. 2012 war der einstige Vizeverfassungsschutzchef noch Staatssekretär im Bundesinnenministerium unter Thomas de Maizière (CDU).

Fritsche ist ein Macher – und kein einfacher Zeuge vor Untersuchungsausschüssen. Vor dem Ausschuss zu den NSU-Neonaziverbrechen erklärte er rundheraus, dass Staatsgeheimnisse nichts seien, womit sich die Abgeordneten zu befassen hätten. Fritsche ist auch diesmal geladen, ebenso wie der künftige Bahn-Boss Ronald Pofalla (CDU), der als Kanzleramtschef im vergangenen Sommer die NSA-Affäre für beendet erklärt hatte. Auch die Kanzlerin muss irgendwann erscheinen. Als vom NSA Abgehörte sollte sie ein spezielles Interesse an maximaler Transparenz und Aufklärung haben.

Und was ist mit dem Zeugen Edward Snowden? Dass der einstige NSA-Mann vernommen wird, hat der Untersuchungsausschuss gemeinsam beschlossen. Schließlich hat der Amerikaner mit seinen umfangreichen Dokumentenveröffentlichungen erst klar gemacht hatte, wie gravierend sein einstiger Arbeitgeber und dessen britisches Pendent GCHQ weltweitverbriefte Bürgerrechte verletzen.

Doch die Bundesregierung, zur Amtshilfe für den Ausschluss verpflichtet, ziert sich, den Mann, der in Russland vorläufiges Asyl gefunden hat, zur Aussage vor dem NSA-Untersuchungsausschuss nach Deutschland zu lassen. Schließlich bestehe ein Auslieferungsabkommen mit den USA, und Washington will den abtrünnigen Spion wiederhaben. Snowden seinerseits würde lieber heute als morgen nach Berlin kommen, doch nur, wenn seine Sicherheit garantiert wird. Ein »informelles Gespräch«, dass die Vertreter der Regierungsfraktionen mit ihm in Moskau führen wollten, lehnte der Zeuge jüngst aus nachvollziehbaren Gründen ab.

Die Linksfraktion wollte nun dem quälenden Streit ein Ende bereiten. Obfrau Martina Renner beantragte kurzerhand die Ladung Edward Snowdens für den 11. September. Das »Technische«, also die Ausstellung von Einreisepapieren sowie der Schutz des Zeugen seien Sache der Regierung, meinten auch die Grünen.

Während CDU und CSU den Kopf schüttelten, lamentierte SPD-Mann Flisek: Er wolle ja auch, doch derzeit nicht. Die Opposition »macht sich das zu einfach«. Vielleicht wolle Snowden ja doch lieber wieder in seine Heimat, schließlich sei er ja doch »so etwas wie ein Patriot«. Überhaupt: Snowden könne »ja doch nur seine eigene Geschichte erzählen«. Langes Geschwafel mit nur einem Sinn. »Ich rate ihm das nicht, einfach nach Berlin zu kommen.«

Ein vehementes Nein der Koalitionsabgeordneten voraussehend, hatte Renner Hilfsanträge vorbereitet. Wenn alles nichts hilft, solle doch der Ausschusschef Patrick Sensburg (CDU) einen Plan erstellen, wie Snowden vernommen wird.

Alles läuft alles auf eine Entscheidung der obersten Richter hinaus. Spätestens im Herbst werden LINKE und Grüne in Karlsruhe klagen. Gegen die Regierung. Notfalls auch gegen die Ausschussmehrheit.

* Aus: neues deutschland, Freitag 27. Juni 2014


NSA spioniert mitten in Hessen

Aktuelle Stunde im Wiesbadener Landtag über US-Geheimdienststützpunkte

Hans-Gerd Öfinger, Wiesbaden **


In Hessen arbeiten Nachrichtendienste aus den USA, Großbritannien und der Bundesrepublik offenbar eng zusammen. Was aber wusste die Landesregierung davon? Angeblich gar nichts.

Nach jüngsten Meldungen hat Schwarz-Grün »keine Ahnung« davon, dass Einrichtungen von US-Geheimdiensten in Hessen zur Überwachung von Telefonaten, SMS, E-Mails und sozialen Netzwerken dienen. Das war für die Linksfraktion im Landtag Anlass, eine Aktuelle Stunde im Parlament zu beantragen. Der Abgeordnete Ulrich Wilken (LINKE) erklärte in der Plenarsitzung am Donnerstag, dass bei der Überwachung das »European Security Center« in Griesheim bei Darmstadt, eine im Frankfurter US-Generalkonsulat angesiedelte Dependance der National Security Agency (NSA) und das »European Technical Center« in Wiesbaden eine entscheidende Rolle spielten. Er verwies auf Berichte über eine enge Kooperation US-amerikanischer, britischer und deutscher Dienste. Von Hessen aus organisierten die USA Entführungsflüge, Folter und Hinrichtungen von Terrorverdächtigen. Diese Rechtsverstöße müssten ermittelt, aufgeklärt und geahndet werden, so der Abgeordnete. »Es ist Zeit, dass wir uns dagegen wehren.« Die Landesregierung dürfe sich nicht ahnungslos stellen. Seine Partei werde weiter »nachhaken und Druck machen«, kündigte Wilken an.

Abgeordnete der schwarz-grünen Koalition verwiesen darauf, dass zur Aufklärung der NSA-Aktivitäten bereits ein Untersuchungsausschuss im Bundestag bestehe. Zudem sei Außenpolitik nicht Sache der Länder. »Was soll die Landesregierung tun außer Briefe schreiben und Informationen anfordern?«, fragte der Abgeordnete Jürgen Frömmrich (Grüne). Und Staatskanzleichef Axel Wintermeyer vermutete hinter dem Vorstoß der Linksfraktion »blanken Antiamerikanismus«. Die NSA scheine jedoch »Grenzen überschritten zu haben, die nicht hinnehmbar wären«, räumte er gleichzeitig ein. »Dass die LINKE dennoch glaube, die Landesregierung der negativen Ahnungslosigkeit bezichtigen zu können, dürfte wenig überzeugend sein«, so der CDU-Politiker.

Unterdessen hat der Ortsbeirat im Wiesbadener Stadtteil Mainz-Kastel einen Antrag der linken AUF-Fraktion zu den NSA-Aktivitäten im »European Technical Center« auf Ende Juli vertagt. Von hier aus würden »in großem Stil Daten abgefangen und weitergeleitet an NSAler, Kriegführende und ausländische Partner in Europa, Afrika und dem Nahen Osten«, hatte der »Spiegel« berichtet. Da die USA als kriegsführender Staat auch mit Anschlägen gegen Militäreinrichtungen rechnen müssten, sei eine derartige, von Wohngebäuden, Kindertagesstätten, Schulen und Altenwohnanlagen umgebene Einrichtung mitten in Mainz-Kastel »ein hohes Sicherheitsrisiko für die Bevölkerung« und könne »nicht länger geduldet werden«, heißt es im Antrag.

** Aus: neues deutschland, Freitag 27. Juni 2014


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