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Weitreichende Befugnisse

NSA-Untersuchungsausschuß hört Experten zum internationalen Recht. »Informelles Gespräch« mit Edward Snowden in Moskau beschlossen

Von Roland Zschächner *

Seit April ist ein Untersuchungsausschuß des Bundestags mit der Aufarbeitung des »NSA-Skandals« befaßt. Am Donnerstag fand die siebte Sitzung statt, es war die zweite öffentliche. Vor dem Reichstag demonstrierten Datenschutzaktivisten. Sie forderten unter dem Motto »Ein Bett für Edward Snowden« Asyl für den Whistle­blower in Deutschland.

Im Saal wurden fünf Sachverständige zum internationalen Recht bzw. den Landesrechten der USA und dem Vereinigten Königreich gehört. In der ersten Runde sprachen drei Juristen zum Völker- und Menschenrecht. Gegenüber der Sitzung vom 22. Mai bestand wenig Einigkeit zwischen den Experten. Damals konstatierten die geladenen Verfassungsrechtler, daß die Überwachungsmaßnahmen der NSA wie auch des BND grundrechtswidrig seien.

Der Bonner Rechtswissenschaftler Stefan Talmon verwies in seinen Ausführungen darauf, daß Spionage im Völkerrecht nicht verboten und folglich legal sei. Illegal sei hingegen, aus Botschaften heraus abzuhören. Außerdem stellte er fest, daß eine Verletzung der Menschenrechte nicht vorliege, da die ausländischen Dienste keine Hoheitsgewalt auf die Ausgespähten ausüben würden.

Der niederländische Jurist Douwe Korff sah dies anders: »Was die USA und die Briten machen, ist keine kleine, sondern eine schreckliche Verletzung der Menschenrechte von fundamentalem Ausmaß«, faßte er seine Rechtsauffassung zusammen. Der globale Überwachungsstaat sei unvereinbar mit der Demokratie. Auch wird durch das Abfangen deutscher Kommunikationsdaten die Souveränität der Bundesrepublik verletzt. Das wiederum sei ein Verstoß gegen das Völkerrecht.

Welche Auswirkungen zwischenstaatliche Abkommen haben, fragte der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele. Für den Berliner Juraprofessor Philipp Aust bestehen zur Zeit keinerlei Abkommen mehr, die einen Datenaustausch oder Zusammenarbeit zwischen den Geheimdiensten regelten. Falls es Geheimverträge gebe, habe er wie auch die Öffentlichkeit keine Informationen darüber. Eine Vereinbarung aus den 60er Jahren, die den Westalliierten die Überwachung der deutschen Telekommunikation gestattet habe, sei laut Bundesregierung im August 2013 aufgehoben worden. Für Aust stellt sich aber die Frage, »ob die Briten und Amerikaner auch glauben, daß sie hier nicht mehr schnüffeln dürfen«.

Einen Einblick in die unterschiedlichen Rechtsauffassungen der USA und des Vereinigten Königreichs gaben der Washingtoner Jurist Russell Miller und sein Oxforder Kollege Ian Brown. Beide Staaten geben ihren Geheimdiensten weitreichende Befugnisse. Einschränkungen würden in den USA nur bei den eigenen Bürgern bestehen. »Es gibt weitgefaßte Vorschriften, was der (britische Geheimdienst – d.A.) GCHQ machen kann, aber kaum Gesetze, was er nicht darf«, umriß Brown die britische Rechtslage.

Der Großteil der Internetkommunikation läuft über und durch die USA und mindesten 25 Prozent über die britischen Inseln. Beste Bedingungen für die amerikanische NSA wie auch den englischen GCHQ und ihre Spionageprogramme. Freiwillig behilflich sind ihnen dabei kommerzielle Unternehmen, die zum Teil direkten Zugang zu Leitungen gewähren. 2007 dankte ihnen der US-Kongreß mit einer rückwirkenden Immunität für ihr unerlaubtes Datensammeln. Im Vereinigten Königreich würde laut Brown Firmen zudem jährlich mehrere Millionen Pfund für die Kooperation gezahlt.

Nach den beiden angloamerikanischen Sachverständigen gingen die Türen des Saales wieder zu. Ohne Öffentlichkeit wurde über die Ladung des ehemaligen NSA-Mitarbeiters Edward Snowden als Zeugen entschieden. Die Regierung sprach sich in einer schriftlichen Stellungnahme bereits dagegen aus. Zwei Anträge lagen vor: Linksfraktion und Grüne forderten die Vernehmung Snowdens in Berlin. Die Mehrheit der Regierungsparteien votierte dagegen und beschloß, ein »informelles Gespräch« mit ihm in Moskau zu führen. Alles noch vor dem 2. Juli. Ob Snowden dazu bereit ist, bleibt offen.

Die Obfrau der Linksfraktion, Martina Renner, kritisierte den Beschluß, damit »soll eine Zeugenvernehmung in Berlin verhindert werden«. Nun werden die Oppositionsparteien prüfen, ob sie dagegen klagen.

* Aus: junge Welt, Samstag, 7. Juni 2014


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