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Koalition spielt auf Zeit

Union und SPD sträuben sich gegen die von der Opposition geforderte Zeugenladung Edward Snowdens

Von Aert van Riel *

Die Arbeit des NSA-Ausschusses wird von Union und SPD blockiert. Bei der Sitzung am Donnerstag verschoben sie die Entscheidung über eine Befragung Edward Snowdens.

An Edward Snowden scheiden sich die Geister. Während viele Menschen weltweit in dem US-amerikanischen Whistleblower einen Held sehen und die Philosophische Fakultät der Universität Rostock ihm sogar die Ehrendoktorwürde verleihen will, sind Politiker der Union und einige Sozialdemokraten weitaus weniger euphorisch. Am Donnerstag blockierten die Vertreter der Koalitionsparteien im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags eine schnelle Entscheidung, ob der frühere Geheimdienstmitarbeiter Snowden, der mit seinen Enthüllungen über die Geheimdienstüberwachung zahlreicher Personen und Institutionen für Aufsehen gesorgt hatte, vor dem Gremium aussagen darf.

Damit ging auch nach dem Rücktritt des bisherigen Ausschussvorsitzenden Clemens Binninger (CDU) der Streit im Ausschuss weiter. Binninger hatte Linkspartei und Grünen vorgeworfen, sie wollten die Personalie Snowden »medial inszenieren«. LINKE und Grüne wollen unbedingt, dass Snowden, der sich zurzeit in Russland aufhält, nach Deutschland kommt, und hatten einen entsprechenden Antrag eingebracht.

Dagegen stellten Union und SPD nun einen Antrag auf Verschiebung des Beschlusses über eine Snowden-Einladung. Zunächst sollte die Bundesregierung um eine Vorprüfung der Frage gebeten werden, unter welchen Bedingungen eine Vernehmung Snowdens durch den Ausschuss möglich wäre. Der Antrag wurde mit den Stimmen der schwarz-roten Mehrheit verabschiedet. Demnach wird der Ausschuss erst bei seiner nächsten Sitzung am 8. Mai über die Befragung Snowdens entscheiden. SPD-Obmann Christian Flisek sagte, erst einmal solle die Regierung »verbindlich« darlegen, wie der rechtliche Rahmen für einen Auftritt des von Washington als Staatsfeind per Haftbefehl gesuchten US-Amerikaners im Bundestag aussehe. Dessen Befragung müsse gut vorbereitet werden.

Auch der neue Ausschussvorsitzende Patrick Sensburg (CDU) präsentierte sich als Bremser einer Befragung Snowdens in Deutschland. Sensburg meinte, es sei nicht die Aufgabe des Ausschusses, Snowden »Asyl zu verschaffen«. Es müsse geprüft werden, ob eine Anhörung Snowdens das Gremium überhaupt weiterbringe. In der Union hieß es, dass Snowden nichts Neues zur Aufklärung der NSA-Affäre beitragen könne, weil er seine Informationen weltweit verteilt und somit keine Beweismittel mehr habe. Sensburg behauptete, es existiere kein Zeitdruck, weil Snowden vorerst bis August in Moskau Asyl genieße.

In Wirklichkeit bleibt nun nicht mehr sonderlich viel Zeit, um den Zeugen in die Bundesrepublik zu bringen. »Wir müssen in die Puschen kommen«, mahnte der Grünen-Obmann Konstantin von Notz. Eine Befragung Snowdens in Deutschland müsse jetzt dringend vorbereitet werden. LINKE und Grüne können die Einladung des Whistleblowers auch ohne die Stimmen von Union und SPD im Ausschuss beschließen. Das ist in den Minderheitenrechten der Opposition geregelt. Gegen die Verzögerungstaktik der Koalition konnten LINKE und Grüne hingegen nichts ausrichten.

Hintergrund der schwarz-roten Taktik dürfte sein, dass die Bundesregierung Einfluss auf die Arbeit des Untersuchungsausschusses nimmt. Diese Vermutung wurde auch von Vertretern der Opposition geäußert. Denn Bundeskanzlerin Angela Merkel kommt es durchaus gelegen, dass die Vorladung Snowdens vertagt wird. Somit ist verhindert worden, dass dieses für die CDU-Chefin unangenehme Thema ihr Treffen mit Präsident Barack Obama Anfang Mai in den USA belastet. Union und SPD konnten hier natürlich keinen Zusammenhang erkennen.

Der achtköpfige Ausschuss hatte erst in der vergangenen Woche seine Arbeit aufgenommen und schon ist fraglich, ob er »seinem Aufklärungsauftrag entsprechen kann«, wie es die LINKE-Abgeordnete Martina Renner formulierte. Sensburg scheint jedenfalls nicht an einem gemeinsamen Vorgehen interessiert zu sein. Er will prüfen, ob Snowden auch schriftlich, per Videokonferenz oder durch den Untersuchungsausschuss in Moskau befragt werden kann. Die Opposition lehnt eine Befragung in Russland ab. Dort kann Snowden nicht frei aussagen, weil er an sein Versprechen gegenüber der russischen Regierung gebunden ist, nichts zu tun, was den Beziehungen zu den USA schaden könnte. Möglich ist auch, dass nach der Vorprüfung durch die Bundesregierung die Befragung des US-Amerikaners gar nicht zustande kommt. »Wir befürchten, dass wenn in der Antwort steht, dass es große Schwierigkeiten geben könnte, dies zum Anlass genommen wird, die Zeugenbefragung ganz zu verhindern«, sagte Renner.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 11. April 2014


Nachfolger

Von Velten Schäfer **

Jetzt ruhen viele Augen auf ihm: Nach dem ominösen Abtritt des auch in der Opposition anerkannten Clemens Binninger (CDU) vom Vorsitz des NSA-Untersuchungsausschusses folgt ihm Fraktionskollege Patrick Sensburg nach. Und immerhin hat der 1971 geborene Jurist Erfahrung mit der Situation, einem Hochgehandelten im Amt zu folgen: Im Bundestag sitzt Sensburg seit 2009 als Nachfolger des einst einflussreichen Friedrich Merz.

Ansonsten ist über den Reservemajor und FH-Professor nicht viel bekannt. Bisher konnte er als Hinterbänkler gelten – und hatte in eigener Sache zu kämpfen. Doch die Fernuni Hagen, die den Parteikarrieristen 2003 zum Doktor der Rechtswissenschaft erhoben hatte, erklärte Sensburgs Dissertation 2011 für haltbar, nachdem Plagiatsjäger fragwürdige Stellen moniert hatten.

Nimmt er seinen neuen Posten ernst, muss Sensburg nun umdenken. Denn ursprünglich sollte seine erste größere Aufgabe als Parlamentarier die des Unionsobmanns im NSA-Ausschuss werden. Als solcher wäre es sein Job gewesen, der Kritik der Opposition die Spitze zu nehmen. Nun hat er per definitionem eine übergreifendere Aufgabe.

Wie Sensburg den Vorsitz in dem heiklen Ausschuss wahrnehmen wird, der eigentlich eine gewisse Standfestigkeit gegenüber den USA erfordert, wird sich zeigen müssen. Bisher hatte sich der gläubige Katholik strikt innenpolitisch profiliert: als eifriger Warner vor einer angeblich um sich greifenden »islamischen Paralleljustiz«, als Unterstützer des sogenannten Marsches für das Leben, eines erzkonservativen Auftriebs gegen Abtreibung.

Er rechne »nicht mit irgendeinem Druck« seitens der Bundesregierung, erklärte Sensburg in der ARD ohne Wimpernzucken zu seinem neuen Job. Hinsichtlich einer Vernehmung von Edward Snowden ließ er alle Türen offen: »Möglicherweise« – doch gebe es da »sehr viele Konjunktive«.

Eine Ausgangsposition, die ein wenig nach Durchlavieren klingt. Doch noch hat Sensburg immerhin die Chance, sich als positive Überraschung zu erweisen.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 11. April 2014


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