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Spionageaffäre belastet Verhältnis zur Türkei

BND soll NATO-Partner seit Jahren ausgespäht haben / Politiker fordern vollständige Aufklärung *

Knapp ein Jahr nach Beginn der NSA-Affäre hat Deutschland einen eigenen Spionageskandal: Seit Jahren soll der BND die Türkei ausgespäht haben. Die kündigte nun eine Prüfung an.

Mit den Berichten, wonach der Bundesnachrichtendienst (BND) auch die Türkei ausspionieren soll, wird sich voraussichtlich das Geheimdienstgremium des Bundestags befassen. »Wir erwarten von der Bundesregierung unverzügliche und vollständige Aufklärung in den zuständigen Ausschüssen des Bundestages«, sagte Grünen-Chefin Simone Peter der »Welt am Sonntag«.

Dem »Spiegel« zufolge steht der NATO-Partner Türkei im Auftragsprofil der Bundesregierung für den BND. Auch andere Medien hatten berichtet, das seit 2009 geltende Profil für den deutschen Geheimdienst liste ein NATO-Land – ohne aber dessen Namen zu nennen. Der BND soll auch mindestens ein Gespräch des amtierenden US-Außenministers John Kerry abgehört haben. Das 2013 über Satellit geführte Telefonat wurde demnach »zufällig« abgefangen. Es sei im Überwachungsnetz des BND gelandet, das dieser über den Nahen Osten gespannt hat. Ähnliches sei 2012 mit einem Telefonat von Hillary Clinton geschehen, meldete der »Spiegel« unter Berufung auf Sicherheitskreise. Eine BND-Sprecherin sagte auf Anfrage: »Die USA waren und sind kein Aufklärungsziel.« Sollten Mitschnitte zufällig entstanden sein, würden sie umgehend gelöscht.

Zum Bericht über die Türkei nahmen BND und Koalition keine Stellung. Regierungskreise bestätigten der »FAZ« zufolge die Ausspähung der Türkei. Das verstoße aber nicht gegen das Diktum von Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Sie hatte zur Spähaffäre durch den US-Geheimdienst NSA gesagt: »Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht.« Laut den zitierten Kreisen ist die Türkei nicht mit den USA oder anderen europäischen Ländern vergleichbar. Die Bedeutung der Entwicklung in der Türkei für die Sicherheit Deutschlands rechtfertige das Ausspähen.

Der Chef des NSA-Untersuchungsausschusses im Bundestag, Patrick Sensburg, wies den Vorwurf der Spionage gegen Verbündete zurück, nannte es aber unerlässlich, dass der BND Informationen in Krisengebieten sammele. Es sei wichtig, für Entscheidungen verlässliche Grundlagen zu haben.

Grünen-Chefin Peter bezeichnete es als »unfassbar«, dass man erst jetzt erfahre, dass auch die eigenen Nachrichtendienste aktives Ausspähen verbündeter Staaten betrieben. »Die Geheimdienste sind offenbar außerhalb jeder Kontrolle«, erklärte auch LINKEN-Fraktionschef Gregor Gysi: »Durch gegenseitige Spionage ist keine Partnerschaft, geschweige denn Freundschaft möglich.« Ex-BND-Präsident Hansjörg Geiger forderte eine Art Ehrenkodex, in dem sich alle Länder der EU oder der NATO verpflichten sollten, sich gegenseitig nicht mehr auszuspionieren.

Der SPD-Außenexperte Rolf Mützenich befürchtet negative Auswirkungen auf das Verhältnis zur Türkei. Das Misstrauen werde wachsen, sagte er. Die Türkei hat bereits angekündigt, die Berichte gründlich zu prüfen. Sie müssten »ernst genommen werden«, sagte der Vize-Vorsitzende der regierenden AKP, Mehmet Ali Sahin.

* Aus: neues deutschland, Montag 18. August 2014


Geheimdienst geht gar nicht!

René Heilig über den BND als kriminelle Vereinigung und die Pflichtvergessenheit im Parlament **

Das war wirklich nicht zu erwarten: Gerhard Schindler ist ein Kamikaze-Typ. Donnerwetter! Da lässt der BND-Chef die deutsche Regierungschefin – nachdem die Dreistigkeit der Abhör-NSA nicht einmal mehr vor dem Kanzlerhandy halt gemacht hatte – ausgerechnet beim EU-Gipfel in Brüssel empört vor die Presse treten und sagen: »Das Ausspähen von Freunden geht gar nicht.« Dabei hat Schindlers BND genau dasselbe getan, nämlich Hillary Clinton abgehört, John Kerry abgehört und den NATO-Partner Türkei jahrelang – wie Russland oder China – als Ausspähziel behandelt. Was kommt noch?

Nun ist es durchaus möglich, dass Schindler gar nichts von dem politisch problematischen »Beifang« wusste, der bei den weltweiten Lauschoperationen des BND anfiel. Immerhin ahnte ja auch der einstige Verfassungsschutzchef nicht, dass seine Leute jede Menge Akten zur NSU schredderten. Derartiges Nichtwissen würde den Skandal um eine weitere Nuance anreichern. So wie die dreiste Lüge, dass der als US-Spion ertappte BND-Mann, der seinen Zweitauftraggebern das Transkript des Clinton-Gesprächs gegeben hat, ein kleines Licht war.

Seitdem es die Organisation Gehlen gab, aus der der BND entstand, ist dieser Verein eine wahrhaft kriminelle Vereinigung. Sie fügt der Bundesrepublik Deutschland Schaden zu. Und das unter parlamentarischer »Aufsicht«. Wie lange will sich das Parlament noch als Feigenblatt missbrauchen lassen?

** Aus: neues deutschland, Montag 18. August 2014 (Kommentar)


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