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Neuer US-Geheimdienstverbund in Deutschland - Regierung ahnungslos

Das Joint Interagency Counter Trafficking Center operiert aus dem Europa-Kommando der US-Streitkräfte heraus

Von René Heilig *

Offiziell besteht die Intelligence Community der USA aus 17 mehr oder weniger geheimen Diensten. Was die wo und wann mit wem gegen wen treiben, verschließt sich dem Normalbürger meist. Doch auch die Bundesregierung scheint blind zu sein. Beispiel Joint Interagency Counter Trafficking Center, kurz JICTC.

Am 25. April 2007 wird die Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn mit einem gezielten Kopfschuss ermordet. Ein Kollege überlebt knapp. Der Überfall soll von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, den beiden Männern der »Zwickauer Terrorzelle« begangen worden sein. Der Beweis der Täterschaft ist dünn, das Motiv für diese Tat, die so gar nicht ins Mordmuster des »Nationalsozialistischen Untergrundes« passt, unklar.

Im Zuge der Ermittlungen wird am 2. Dezember 2011 bekannt, dass ein Verbindungsbeamter eines US-Geheimdienstes mit einem BND-Mitarbeiter telefoniert haben soll. Der US-Beamte äußerte, man habe auf US-amerikanischer Seite Hinweise, dass möglicherweise das FBI im Rahmen einer Operation auf deutschem Boden Zeuge des Mordes in Heilbronn geworden sein könnte.

Gleichfalls im Dezember berichtete der »Stern« von einem Team aus deutschen und Agenten der »Defense Intelligence Agency« (DIA), also des Pentagon-Nachrichtendienstes, die möglicherweise am Ort des Geschehens waren. Sie sollen den Deutsch-Türken Mevlüt K. beschattet haben. Mevlüt K. war Vertrauensmann der CIA, der für die islamistische Sauerland-Gruppe Bombenzünder besorgt hatte. Um 13.50 Uhr war die Observation angeblich abgebrochen worden, weil auf der Heilbronner Theresienwiese Schüsse gefallen sind. Zu dem Zeitpunkt starb Kiesewetter.

Im April 2012 teilt ein Mitarbeiter der US-Botschaft dem Bundesinnenministerium mit, dass »man weder bei der CIA noch beim Militärgeheimdienst DIA einen derartigen Observationsbericht finden konnte« und »mehrere Anomalien« in dem Bericht vermuten lassen, dass das vermeintliche Geheimdienstprotokoll »eine Fälschung« ist.

Am 13. Oktober 2012 erklärt die Bundesanwaltschaft, man habe die Hinweise auf eine angebliche Anwesenheit von Angehörigen von US-Sicherheitsbehörden bei dem Mordanschlag eingehend geprüft, keiner der Hinweise habe sich als tragfähig erwiesen.

FBI, CIA, DIA ... Keiner war dabei, als der NSU mordete. Vermutlich stimmt das. Auffällig ist jedoch: Alle beteiligten Behörden, die US-amerikanischen wie die deutschen, schlossen nicht aus, dass es US-Operationen jenseits deutscher Souveränität gab und gibt. Das ist unter anderem so, weil sich die zuständigen deutschen Behörden sicherheitshalber gar nicht über rechtswidrige Aktivitäten der Verbündeten informieren.

Gibt man die fünf Buchstaben JICTC in eine Internet-Suchmaschine ein, dann landet man beim United States European Command, also beim Europa-Kommando der US-Armee. 2011 gegründet, soll das Joint Interagency Counter Trafficking Center gegen alle Facetten des illegalen Drogenhandels inklusive Geldwäsche und Waffenhandel vorgehen. Sowohl die US-Drogenbehörde wie das FBI, die Zollbehörde und das Finanzministerium der USA stellen Personal ab. Gleichfalls beteiligt sind Luftwaffe und Marine der Supermacht.

Paul Schäfer und Andrej Hunko, zwei Bundestagsabgeordneten der Linksfraktion, wollten mehr über diese neue Behörde wissen, die in Stuttgart stationiert ist und mit Partnern in Europa sowie Afrika zusammenarbeiten soll. Sie stießen bei der deutschen Regierung auf weitgehende Ahnungslosigkeit. Ende 2010 seien bei Gesprächskontakten »entsprechende Überlegungen« erwähnt worden. »Anfang November 2012 wurde die Bundesregierung durch die US-Botschaft auch offiziell über die Einrichtung des JICTC unterrichtet.« Man habe auch erfahren, dass die neue US-Behörde »zum Kapazitäten-Aufbau der mit der Terrorismusbekämpfung befassten Stellen« beitragen soll. Rund 40 Mitarbeiter sollen derzeit zum JICTC gehören und die US-Regierung sei der Auffassung, dass die als »ziviles Gefolge im Sinne des NATO-Truppenstatuts einzuordnen sind, was aus Sicht der Bundesregierung unter bestimmten Voraussetzungen möglich ist«. Vorsichtshaber verweist das Bundesinnenministerium darauf, dass die US-Administration »in ihrem Vorgehen nicht strikt zwischen Verteidigung und polizeilicher Gefahrenabwehr unterscheidet, sondern einen erweiterten Sicherheitsbegriff zugrunde legt.

Die Regierung habe »ein erschreckendes Desinteresse an den Aktivitäten von US-Sicherheitsbehörden auf deutschem Hoheitsgebiet«, merkt Paul Schäfer an und spricht von einem »Blankoscheck. Unter dem Motto ›wissen wir nicht, interessiert uns auch nicht, wir sind nicht zuständig‹ entzieht sich die deutsche Regierung ihrer Kontrollverantwortung.«

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 20. Dezember 2012


US-Polizei in Stuttgart

Washington unterhält seit 2011 Spezialeinheit zur "Terrorismusbekämpfung" in Deutschland. Die Kenntnisse der Bundesregierung darüber sind dürftig.

Von Matthias Monroy **


Das US-Militär betreibt in Deutschland ein sogenanntes »Joint Interagency Counter Trafficking Center« (JICTC) – eine Spezialabteilung, die Polizeiaufgaben wahrnimmt. Dies bestätigte das Auswärtige Amt in einer aktuellen Antwort auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion. Die Abgeordneten Paul Schäfer und Andrej Hunko hatten sich nach den konkreten Aufgaben des Zentrums erkundigt, das in einer Kaserne in Stuttgart-Vaihingen untergebracht ist. Es untersteht dem Oberkommando »European Command« (EUCOM) der US-Streitkräfte.

Den Aufbau des JICTC hatte die US-Regierung zwar ab Ende 2010 immer wieder erwähnt. Eine offizielle Mitteilung der US-Botschaft erfolgte aber erst im November 2012. Demnach sind rund 40 Mitarbeiter verschiedener US-Behörden im JICTC tätig, darunter des Finanzministeriums, des Zolls, der Grenzsicherung und der Drogenbekämpfung. Auch das FBI arbeitet mit. Zur Tätigkeit der Behörden kann die Bundesregierung aber nur wenig berichten: Nach ihrer Kenntnis befasse sich das JICTC mit der »Bekämpfung von Drogen-, Waffen- und Menschenhandel sowie Terrorismus«. Die beiden Fragesteller werfen der Bundesregierung deshalb ein »erschreckendes Desinteresse an den Aktivitäten US-amerikanischer Sicherheitsbehörden auf deutschem Hoheitsgebiet« vor.

Ein wenig Kopfzerbrechen macht die Übernahme von Polizeiaufgaben auf deutschem Hoheitsgebiet der Bundesregierung aber offenbar doch. Kompetenzen für Ermittlungen und Zwangsmaßnahmen habe das JICTC nicht, heißt es in der Antwort auf die Linken-Anfrage. Die US-Regierung sei zwar der Auffassung, daß die Mitarbeiter des JICTC als »ziviles Gefolge im Sinne des NATO-Truppenstatuts« einzuordnen sind. Seitens der Bundesregierung wurde diesbezüglich aber offiziell »um weitere ausführliche Informationen gebeten«. Trotzdem wird die »vertrauensvolle deutsch-amerikanische Zusammenarbeit« betont.

Das Stuttgarter Militär-Zentrum ist indes nicht die einzige problematische polizeiliche US-Aktivität in der BRD. Angehörige des Heimatschutzministeriums sind beispielsweise am Frankfurter Flughafen damit betraut, Einreiseverbote in die USA umzusetzen. Passagierlisten werden mit polizeilichen und geheimdienstlichen Datenbanken abgeglichen, um unerwünschte Personen herauszufiltern. Die Beamten arbeiten hierfür mit den Fluglinien zusammen. Diese müssen sich an die Vorgaben halten, ansonsten droht die Verweigerung der Landeerlaubnis. Offiziell wird diese Maßnahme als »No-Board-Empfehlung« bezeichnet.

Die Linksfraktion hatte sich im November auch nach der Einbindung der USA in die sogenannte »Gruppe der Sechs« erkundigt. Dort treffen sich die Regierungen der einwohnerstärksten EU-Staaten zum halbjährlichen »freien Gedankenaustausch« über Themen, die die innere Sicherheit betreffen. Neben Deutschland bilden Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien und Polen den Zusammenschluß. Mittlerweile nimmt die US-Heimatschutzministerin Janet Napolitano ebenfalls regelmäßig teil.

Andrej Hunko kritisiert die Geheimhaltung der »G6+1« als »zutiefst undemokratisch«. Das teilnehmende Bundesinnenministerium konterte, die Treffen fänden gar nicht im verborgenen statt. Immerhin seien zwei Pressekonferenzen abgehalten worden, über die sogar das Fernsehen berichtet habe. Vorgetragene Inhalte oder verteilte Dokumente bleiben indes geheim.

** Aus: junge Welt, Freitag, 21. Dezember 2012


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