Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Falsche Fährte

BND ahnte Fähigkeiten der US-Partnerdienste

Von René Heilig *

Der Bundesnachrichtendienst (BND) weiß offenbar seit Jahren von der umfangreichen Datenerfassung durch die NSA. Der deutsche Auslandsnachrichtendienst soll die von dem US-Partner gespeicherten Kommunikationsdaten selbst genutzt haben. meldet die »Bild«-Zeitung. Eine neue Erkenntnis? Kaum! Alles andere wäre naiv – was man von den deutschen Geheimbehörden nicht behaupten kann. Schon gar nicht vom BND, der die Methode ja selbst in kleinerem Maßstab anwendet.

Im gesamten Geheimdienstmilieu gibt es das sogenannte Need-to-know-Prinzip: Jeder weiß nur so viel, wie er zur Erfüllung seiner Aufgaben wissen muss. Nachfragen ist tabu, man denkt sich seinen Teil. Und genau das wird der BND gemacht haben, als er US-Partner um Hilfe gebeten hat. Man wollte sogenannte Anpacker finden, um deutschen Staatsbürgern, die im Ausland entführt worden waren, auf die Spur zu kommen. Dazu nutzte man von US-Partner gespeicherte Kommunikationsdaten.

Das zaghafte Auftreten der Bundeskanzlerin und ihres Innenministers hat also einen Grund: Man beißt nicht die Hand, die einen füttert. Denn nicht nur in humanitären Fällen nutzten deutsche Dienste das Wissen der US-Partner. Beispiel Sauerland-Gruppe.

»In einer gemeinsamen Kraftanstrengung ist es den Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden in der Bundesrepublik Deutschland gelungen, eine der bislang aus unserer Sicht schwerwiegendsten terroristischen Anschlagsplanungen in diesem Land rechtzeitig zu erkennen und sicher im Blick zu behalten, bevor es zum Ernstfall kommen konnte«, brüstete sich die damalige Generalbundesanwältin Rebecca Harms. Und Kanzlerin Angela Merkel legte nach: »Die Erkenntnis heißt jetzt: Es gibt nicht nur eine abstrakte Gefahr, es gibt reale Gefahren, aber es ist auch eine wirkliche Leistung unserer Polizei.«

Das ließ Vertrauen in unsere Sicherheitsbehörden aufkommen – die allerdings an der Aufdeckung der Terrorvorbereitungen den geringsten Anteil hatten. Der Dank gebührt den US-Partnern. Im Herbst 2006 leitete die CIA Erkenntnisse des NSA über einen intensiven Mailverkehr zwischen Deutschland und Pakistan an die deutschen Partner weiter. Nur so kam der Verfassungsschutz überhaupt auf die Spur der Islamischen Jihad Union und konnte die »Operation Alberich« starten. 500 Beamte observierten die Terroristen, hörten Telefone ab, verwanzten Wohnungen und Autos – und griffen zu.

Es macht sich jetzt gut, über gelöste Entführungsfälle oder vereitelte Terroranschläge zu berichten, wenn es um die Abhörpraxis von Spionagediensten – auch der eigenen – geht. Damit ist man zielsicher weit entfernt vom eigentlichen Bespitzlungsskandal.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 16. Juli 2013


Kaschierte Ohnmacht

Von René Heilig **

Angela Merkel will ihre »Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen ...« Der Amtseid steht im Grundgesetz, Merkel ist bereits mehrmals medial zur mächtigsten Frau der Welt gekürt worden; Gott, den sie beim Schwur um Unterstützung bat, ist angeblich sogar allmächtig. Was kann da drüber stehen? Blöde Frage: die Interessen der USA! Weshalb um alles in der Welt sollten sich US-Dienste an deutsche Gesetze halten; sie beachten ja nicht einmal die eigenen. Schließlich befinden sich die USA nach eigener Auffassung im Krieg. In dem mögen Alliierte bisweilen nützlich sein, doch spätestens seitdem der erste Chef einer Bundesregierung die sogenannte Kanzlerakte unterschrieben hat, kennt man den Preis der transatlantischen Freundschaft. Die Ostler mögen sich erinnern: Will man zu den angeblichen »Siegern der Geschichte« gehören, ist Ein- und Unterordnen besser, als gesamtstaatlich zu spät kommen.

Merkel & Co. haben nach dem ersten Snowden-Schock gelernt, ihre Ohnmacht zu kaschieren. Geschickt balancieren sie Freiheit gegen Sicherheit und deuten Geheimdienste zu humanitären Vereinigungen um. Die Forderung nach Gegenwehr, auch in Form neuer Datenschutzgesetze, schieben sie nach Europa ab. Also ins Nirwana – via NSA natürlich.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 16. Juli 2013 (Kommentar)


Feind im eigenen Land

Reaktionen auf NSA-Affäre

Von Arnold Schölzel ***


Im Umgang mit den Enthüllungen, die auf Edward Snowden zurückgehen sollen, zünden Bundesregierung und die ihr angeschlossenen Medien die vierte Stufe ihrer offiziellen Reaktionen: Zunächst wußte niemand etwas, das Material des Exgeheimdienstlers wurde zumeist als fragwürdig abgetan. Als davon immer mehr veröffentlicht wurde, wurde – zweite Stufe – eine Winzigkeit gewußt. Als Snowden behauptete, Deutsche und USA steckten bei ihrem massenhaften Datendiebstahl »unter einer Decke«, gaben – dritte Stufe – Kanzlerin und ihre Wasserträger an, von Kooperation zwischen den Geheimdiensten schon einmal gehört zu haben. Es klang wie: Es war einmal in unvordenklichen Zeiten, als es noch die DDR und die »Stasi« gab und die viel schlimmer als die Totalüberwachung der elektronisch kommunizierenden Menschheit durch die NSA war. Das war angeblich stabiles Wissen, obwohl im gleichen Atemzug behauptet wurde, nichts zu wissen. Das systematische Gleichsetzen von Wissen mit Aberglauben ist allerdings eine der wichtigsten politischen Übungen der Politik. Ihr geht es, erst recht in einer auf Krieg getrimmten Gesellschaft, nicht um Wahrheit, sondern um Wirkung.

Die Formulierung von Aberglauben, Märchen, Lügen oder Propaganda als Kenntnissen war historisch eine Geschäftsidee der Sophisten im antiken Athen. Merkel und Co sind ungefähr auf dieser Stufe, es wäre die vierte ihrer Reaktionsweise, angelangt. Die Bundeskanzlerin, für die das Internet angeblich »Neuland« ist, verlangt von den USA nichts, was nicht selbstverständlich im Umgang von Staaten wäre, zumal wenn sie grundlegend gleiche Interessen verfolgen, und sie sagt dem Wahlvolk nichts, was das nicht schon weiß. Notgedrungen müssen die deutschen Medien dies und jenes von dem herausrücken, was im Ausland publiziert wird. Dort gibt es keine Merkel-Schutz- und Aufbauwochen.

»Schaden vom deutschen Volk abwenden«? Das hätte z.B. vorausgesetzt, sich an keinem der US-geführten Kriege zu beteiligen. Wer in Jugoslawien und in Afghanistan mitbombardiert, unterstützt selbstverständlich die globale Schnüffeljagd, die angeblich Terroristen gilt. Das weiß auch SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, der vom »Bruch des Amtseides« spricht. Es war eine SPD-geführte Regierung, die sich an den ersten deutschen Angriffskriegen seit 1945 beteiligte und dies 2001 mit »uneingeschränkter Solidarität« begründete. Der Bruch des Amtseides begann spätestens mit der Erklärung Gerhard Schröders, bei der dritten deutschen Bombardierung Belgrads in einem Jahrhundert 1999 handele es sich »nicht um Krieg«. Das war allerdings eine Kriegserklärung an die eigene Bevölkerung, die diesen und die folgenden Kriege nicht wollte. Seither steht der Feind offen im eigenen Land und muß ausgeforscht werden, total verdeckt.

*** Aus: junge Welt, Dienstag, 16. Juli 2013


Snowden weiter im Transitbereich

Bislang noch kein Asylantrag an Moskau gestellt ****

Der frühere US-Geheimdienstler Edward Snowden hat ungeachtet seiner Ankündigung noch immer keinen Asylantrag in Russland gestellt.

Der 30-Jährige halte sich weiter in Moskau auf dem Flughafen Scheremetjewo auf, meldete die Agentur Interfax am Montag unter Berufung auf die Migrationsbehörde und den Flughafen. Menschenrechtler, die den IT-Experten im Transitbereich am Freitag besucht hatten, äußerten Unverständnis.

»Ich habe den Sinn dieses Treffens bis heute nicht verstanden«, sagte Tanja Lokschina von der Organisation Human Rights Watch. Wahrscheinlich sei es nur darum gegangen, Snowdens tatsächliche Anwesenheit in Russland zu beweisen. »Mir ist unklar, warum Snowden uns versammelt hat und ob er der Initiator des Treffens war«, sagte sie.

Nach einem Telefonat von US-Präsident Barack Obama und Kremlchef Wladimir Putin zu Snowden am Wochenende sagte Lokschina, dass die Asylfrage für den Flüchtling juristisch entschieden werden müsse. Die Behörden dürften sich dabei nicht von politischen Erwägungen leiten lassen, betonte sie.

Nach der Annullierung seines Passes sei Snowden in einer ausweglosen Lage, meinte der russische Anwalt Anatoli Kutscherena. Als Mitglied der russischen Gesellschaftskammer, eines außerparlamentarischen Gremiums, warnte er die USA davor, die Menschenrechte des US-Amerikaners zu verletzen.

Die prominente Bürgerrechtlerin Swetlana Gannuschkina, die Snowden nicht traf, bezeichnete es als »absonderlich«, dass bisher kein Antrag auf Asyl gestellt worden sei. »Das fängt an, irgendwie unseriös auszusehen«, sagte die auf Flüchtlingsfragen spezialisierte Expertin.

Der von den USA wegen Geheimnisverrats gesuchte IT-Experte sitzt seit dem 23. Juni im Transitbereich des Flughafens fest. Der Enthüller des US-Spionage- und Datenskandals bat am Freitag Russland erneut um Asyl. Er begründete das zweite Gesuch mit seiner ausweglosen Lage. Er hofft, letztlich mit Ersatzpapieren nach Lateinamerika weiterzureisen, wo ihm Asyl angeboten wurde.

Snowden werde auf dem Flughafen weiter von Sicherheitskräften geschützt, sagte ein Informant, der sich im Transitbereich aufhält, der Agentur.

**** Aus: neues deutschland, Dienstag, 16. Juli 2013


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