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Drei Asylangebote für Snowden

Whistlerblower könnte nach Lateinamerika / Auch Brasilien von USA ausspioniert *

Deutsche Politiker fordern Garantien in Sachen Datenschutz vor Beginn der Verhandlungen um ein EU-USA-Freihandelsabkommen.

Liegt das nächste Ziel von Edward Snowden in Lateinamerika? Möglich ist es, denn Venezuela, Nicaragua und Bolivien haben dem US-Amerikaner, der noch immer in Moskau festsitzt, Asyl angeboten. Dem 30-jährigen Ex-Geheimdienstmitarbeiter droht in seiner Heimat eine lange Haftstrafe, weil er Details über die weltweiten Datenspitzeleien der USA veröffentlicht hatte. Snowden hat in 27 Staaten Asyl beantragt.

Boliviens Präsident Evo Morales hatte am Samstag angekündigt, sein Land werde Snowden im Falle eines Antrages aus humanitären Gründen Asyl gewähren, wie die staatliche Nachrichtenagentur ABI berichtete. »Er soll in das Vaterland von Bolívar und Chávez kommen und frei von der imperialistischen Verfolgung Nordamerikas leben können«, sagte Venezuelas Präsident Nicolás Maduro bei einer im Fernsehsender Telesur übertragenen Militärparade. Das Staatsoberhaupt Nicaraguas, Daniel Ortega, sagte: »Wenn es die Umstände zulassen, nehmen wir Snowden gerne auf und gewähren ihm Asyl hier in Nicaragua.«

Es sind genau »die Umstände«, die sich als schwierig gestalten. Wie Snowden den Moskauer Flughafen, wo er vermutlich festsitzt, verlassen kann, ist nicht klar.

In einem Interview mit dem US-Chiffrierexperten Jacob Applebaum, das der »Spiegel« veröffentlichte, erhebt Snowden unterdessen weitere Vorwürfe. Die NSA steckten »unter einer Decke mit den Deutschen«. Der US-amerikanische Geheimdienst habe demnach Analysewerkzeuge für den Bundesnachrichtendienst (BND) geliefert, mittels derer der BND ausländische Datenströme, die durch deutsche Netze geführt werden, ausspähe. Die Ahnungslosigkeit deutscher Behörden in der Abhöraffäre ist Experten zufolge nicht glaubwürdig. Das Interview wurde vor Bekanntwerden Snowdens als Enthüller geführt.

BND-Chef Gerhard Schindler habe die Zusammenarbeit mit dem NSA Mitgliedern des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKG) gegenüber bestätigt, berichtete der »Spiegel«. Der ehemalige Bundesrichter Wolfgang Neskovic, der für die LINKE bis 2012 in dem Gremium saß, sagte der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung: »So eng, wie die Dienste zusammenarbeiten, kann es nicht sein, dass man nichts wusste.« Der SPD-Abgeordnete Fritz Rudolf Körper, ebenfalls PKG-Mitglied, zeigte sich gegenüber der Zeitung »überrascht, dass manche überrascht sind«.

Auch die Deutsche Post arbeite »in seltenen Fällen« mit dem US-Geheimdienst zusammen, teilte das Unternehmen mit. Das geschehe aber nur mit Unternehmenskunden im Rahmen von Pilotprojekten, mit dem Ziel, die Zollabfertigung zu erleichtern. Briefe und Postkarten seien nicht betroffen. Nach Medienberichten sammeln die US-Geheimdienste in noch größerem Umfang Daten als bisher bekannt. Demnach werden beim gesamten Briefverkehr des staatlichen Postdienstes USPS Absender und Empfänger abfotografiert und gespeichert. In Deutschland wird nach Angaben der Post zwar jede Adresse abfotografiert, aber nur für den korrekten Briefversand und andere interne Zwecke.

Die NSA hat nach einem Bericht der in Rio de Janeiro erscheinenden Zeitung »O Globo« im großen Stil auch brasilianische Bürger ausgespäht. Millionen von E-Mails und Telefongesprächen seien angezapft worden, heißt es in dem Artikel. Brasilien sei das meistausspionierte Land Lateinamerikas. Die NSA habe sich »über Jahre und systematisch« Zugang zum brasilianischen Telekommunikationsnetz verschafft. Brasilien ist damit ein weiteres eigentlich befreundetes Land, das Opfer von Spionageangriffen der US-Amerikaner geworden sein soll.

Deutsche Politiker forderten am Wochenende für die ab Montag geplanten Gespräche über ein EU-Freihandelsabkommen mit den USA. Garantien für den Datenschutz. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sagte, er erwarte von den USA »vor Aufnahme der Verhandlungen klare und belastbare Zusicherungen, dass es zu keinen neuen Ausspähaktionen kommt«. CDU und FDP forderten die USA auf, eine bessere Einhaltung des Datenschutzes zuzusichern.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) müsse ein Abkommen an die Bedingung knüpfen, dass die Ausspähaktionen beendet werden, sagte Grünen-Fraktionschef Trittin auf einem kleinen Parteitag der Grünen in Berlin. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) verteidigte die Bespitzelung. Aus seiner Zeit als Innenminister wisse er, »dass wir terroristische Anschläge in Deutschland auch deshalb verhindern konnten, weil wir Informationen der Amerikaner bekommen haben«. Ohne deren Fähigkeiten und die Unterstützung wäre das nicht möglich gewesen.

* Aus: neues deutschland, Montag, 8. Juli 2013


Keine Angst vor den USA

Vier lateinamerikanische Länder bieten Edward Snowden Asyl an. Klage in Den Haag wegen Entzug der Überflugrechte für Boliviens Präsidentenmaschine erwogen

Von Volker Hermsdorf **


Der bolivianische Präsident Evo Morales hat dem ehemaligen US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden am Samstag humanitäres Asyl angeboten. Damit hat sich die Zahl der lateinamerikanischen Länder, die zur Aufnahme des von den USA gejagten Whistleblowers bereit sind, am Wochenende auf vier erhöht. Nach Ecuador hatten ihm auch Nicaragua und Venezuela Asyl in Aussicht gestellt. Die diplomatische Krise zwischen Lateinamerika und mehreren europäischen Ländern wegen der verweigerten Überflugrechte für die bolivianische Präsidentenmaschine in der vergangenen Woche weitet sich indes aus. Morales war auf dem Rückflug aus Moskau zur Notlandung in Wien gezwungen worden, weil Italien, Spanien, Frankreich und Portugal kurzfristig ihren Luftraum gesperrt hatten.

Für den morgigen Dienstag hat der Ständige Rat der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) eine außerordentliche Vollversammlung einberufen, nachdem der Generalsekretär der von den USA dominierten Organisation, der Chilene José Miguel Insulza, seine »Verärgerung« über die durch »nichts zu rechtfertigende Aktion« erklärt hatte. Mit deutlicheren Worten hatte am Samstag die aus 33 Ländern bestehende Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (CELAC), der die USA und Kanada nicht angehören, ihre »Solidarität mit Präsident Morales und dem brüderlichen bolivianischen Volk« ausgedrückt. Die CELAC betonte ihre »tiefe Besorgnis über die Verletzung des internationalen Rechts« und verlangte eine Erklärung der Europäer zu dem Vorgang. Die gleiche Forderung hatten zuvor bereits mehrere Staatschefs auf einem Gipfeltreffen der Union Süd­amerikanischer Nationen (UNASUR) am Donnerstag im bolivianischen Cochabamba (junge Welt berichtete) aufgestellt. Verschiedene lateinamerikanische Institutionen beraten derzeit über konkrete Schritte und erwägen gar eine Klage vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Wie der Botschafter Boliviens bei den Vereinten Nationen (UN), Sacha Llorenti, am Freitag (Ortszeit) mitteilte, hatten bis zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als 100 UN-Mitgliedsstaaten den »Angriff auf den Präsidenten eines souveränen Landes« verurteilt.

Der spanische Außenminister José Manuel García-Margallo zeigte sich derweil uneinsichtig und verteidigte sich noch am Wochenende mit der Behauptung: »Man hatte uns darüber informiert, daß der von den USA gesuchte Edward Snowden in dem Flugzeug sein sollte.« Eine Aussage darüber, von wem diese Information stamme, verweigerte er. Die Affäre schlägt in Spanien mittlerweile Wellen und hat die unpopuläre, rechtskonservative Regierung von Ministerpräsident Mariano Rajoy weiter in Mißkredit gebracht. »Unser Land steht international als Vasall der USA am Pranger«, heißt es in einem von Hunderten Kommentaren auf der Home­page der Online-Zeitung Público. Der Präsident des Europaparlaments, der deutsche Sozialdemokrat Martin Schulz, kritisierte derweil am Freitag vor einer Zusammenkunft mit Rajoy in Madrid, das »Verhalten einiger EU-Länder« gegenüber dem bolivianischen Präsidenten Evo Morales als »beschämend und inakzeptabel«. Er forderte eine sofortige Aufklärung darüber, »von welcher Stelle die Informationen kamen«, die zum Überflugverbot führten und – offenbar hielt er das für notwendig – betonte, daß »auch wir Europäer die Regeln des internationalen Rechts einhalten müssen«.

Während Schulz in Madrid noch Selbstverständliches verkündete, machten mehrere Staatschefs in Lateinamerika dem verfolgten Edward Snowden konkrete Angebote. In Nicaragua, sagte dessen Präsident Daniel Ortega, »werden wir ihn gern empfangen und Asyl gewähren«. Auch Venezuelas Präsident Nikolás Maduro bot Snowden Asyl an: »Er soll in das Vaterland von Simon Bolívar und Hugo Chávez kommen und frei von der imperialistischen Verfolgung Nord­amerikas leben können.« Boli­viens Präsident Evo Morales erklärte am Samstag: »Als Zeichen des Protestes möchte ich den Europäern und den Nordamerikanern sagen: Jetzt werden wir diesem von seinen Landsleuten verfolgten Amerikaner Asyl gewähren, wenn er dies beantragt. Wir haben keine Angst.«

** Aus: junge Welt, Montag, 8. Juli 2013


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