Snowdens Mut, Merkels Heuchelei
Von Annette Sawatzki *
Annette Sawatzki hat Philosophie und Politikwissenschaft studiert und arbeitet beim Kampagnennetzwerk Campact e.V.
Edward Snowden hat sich um unsere Freiheit und unsere Bürgerrechte verdient gemacht. Ohne ihn wüssten wir nicht, in welch gigantischem Ausmaß wir von Geheimdiensten auspioniert werden. Das Abgreifen von Kommunikationsdaten durch Geheimdienste wie die NSA oder den britische GCHQ verstößt gegen zahlreiche Gesetze: Auf das »Ausspähen von Daten« stehen in Deutschland bis zu drei Jahre Gefängnis, auf das »Abfangen von Daten« bis zu zwei Jahre und auf »geheimdienstliche Agententätigkeit« bis zu zehn Jahre.
Wenn es Bundeskanzlerin Merkel mit der Aufklärung dieser millionenfachen Rechtsbrüche ernst meinen würde, müsste sie Edward Snowden nach Deutschland holen und ihn in ein Zeugenschutzprogramm aufnehmen. Dass sich die Bundesregierung trotzdem weigert, dem wichtigsten Zeugen in Deutschland Zuflucht zu gewähren, zeigt, dass es sich bei Merkels angeblicher Empörung über den Überwachungsskandal um pure Heuchelei handelt.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass die deutschen Nachrichtendienste durch die Zusammenarbeit mit ihren amerikanischen, britischen und französischen Partnerdiensten an Daten gelangen, die sie selbst gar nicht erheben dürften. Da ist das Aufklärungsinteresse naturgemäß gering. Geheimdienste passen nicht zu einer freien und demokratischen Gesellschaft. Doch die weltweite Abschaffung der Nachrichtendienste erscheint gegenwärtig unrealistisch. Auch bei einer besseren parlamentarischen Kontrolle der Geheimdienste bleiben wir daher auf Menschen wie Edward Snowden angewiesen, die ihre Karriere, ihre Freiheit und oft sogar ihr Leben riskieren, um Missstände bei den Geheimdiensten aufzudecken.
Es geht in der aktuellen Diskussion nicht nur um Edward Snowden direkt. Missstände und illegale Praktiken von Geheimdiensten, Behörden oder Unternehmen kommen oft nur durch Hinweisgeber wie ihn ans Licht der Öffentlichkeit. Und deshalb brauchen solche »Whistleblower« unseren Schutz. Es ist höchste Zeit, sie durch ein umfassendes Whistleblower-Gesetz besser abzusichern.
Wie dringend wir ein solches Gesetz brauchen, hat schon der Fall der Berliner Altenpflegerin Brigitte Heinisch gezeigt. Sie hatte auf Missstände in der Pflege hingewiesen und war deshalb von ihrem Arbeitgeber gekündigt worden. Mehrere deutsche Gerichte erklärten die Kündigung für rechtens, erst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sprach Heinisch eine Entschädigung zu.
Ein Whistleblower-Gesetz würde hier für Rechtssicherheit sorgen. Es würde klar machen: Wer Missstände aufdeckt oder Verstöße gegen Bürgerrechte publik macht, leistet der Gesellschaft einen wichtigen Dienst. Dafür soll niemanden vor Gericht gezerrt werden.
Die schwarz-gelbe Koalition lehnt ein solches Gesetz ebenso ab wie den Schutz für Edward Snowden. Die Bundeskanzlerin will ihn nicht schützen, weil dies den amerikanischen Präsidenten verärgern könnte. Wir müssen uns das nicht gefallen lassen. Es wäre nicht das erste Mal, dass öffentlicher Druck Angela Merkel zum Umdenken zwingt.
Campact hat eine Kampagne für die Aufnahme von Edward Snowden und für ein Whistleblower-Gesetz gestartet:
Unterzeichnen! [Externer Link]
* Aus: neues deutschland, Samstag, 6. Juli 2013 (Gastkommentar)
"Big brother" auf Französisch
Auch Paris soll seine Bürger überwachen
Von Fabian Köhler **
Es würde die Totalüberwachung jeglicher Telekommunikation bedeuten: Nach einem Bericht der Tageszeitung »Le Monde« betreibt der französische Auslandsgeheimdienst ein gigantisches Abhörprogramm. Das Dementi aus Paris fällt verhalten aus.
E-Mails, SMS, Telefongespräche, Online-Daten: Die französische Tageszeitung »Le Monde« berichtet am Donnerstag über ein gigantisches Überwachungsprogramm. Demnach fangen französische Behörden nahezu sämtliche Daten der Telekommunikation des Landes ab. »Die Gesamtheit unserer Kommunikation wird ausspioniert«, heißt es in dem Artikel.
Verantwortlich für die Totalüberwachung soll der französische Auslandsgeheimdienst Generaldirektion für Äußere Sicherheit (DGSE) sein. Einer Karte auf der Website der »Le Monde« zufolge betreibt der Geheimdienst Abhörstationen in mindestens 14 französischen Städten, darunter Nizza und Paris. Zudem befänden sich Einrichtungen für das Abfangen von Satellitendaten und das Anzapfen von Glasfaserkabeln in französischen Überseegebieten wie Réunion und in ehemaligen Kolonien wie Dschibuti.
Die gesammelten Daten sollen wie eine »Art privates Tagebuch« Auskunft über das »Beziehungsgeflecht« der Bürger Frankreichs geben. Zugriff auf die Information hätten hierfür neben dem DGSE auch das Ministerium für Innere Sicherheit, zwei militärische Geheimdienste, der französische Zoll und eine Behörde zur Bekämpfung von Geldwäsche.
Offizielle Stellen bestätigten die Überwachung erwartungsgemäß nicht. Von »Fantastereien und Ungenauigkeiten« sprach der im Parlament für Geheimdienste zuständige sozialistische Abgeordnete Jean-Jacques Urvoas gegenüber der österreichischen Presseagentur APA. Im Büro des französischen Premierministers Jean-Marc Ayrault äußerte man sich dagegen vorsichtiger: »Nicht exakt« sei der Bericht, hieß es in einer Erklärung. Zudem würden alle Datenabfragen von einem »nationalen Kontrollgremium« genehmigt und dokumentiert. Aus französischen Geheimdienstkreisen und dem Präsidentenpalast war bisher keine Reaktion zu vernehmen.
Noch Anfang der Woche hatte sich Frankreichs Präsident François Hollande empört über US-amerikanische Spionageprogramme gezeigt. »Wir verlangen, dass das sofort aufhört«, hatte Hollande am Montag mit Blick auf das Verwanzen und Abhören französischer Konsulate gesagt. Ähnlich deutschen Regierungspolitikern vermeidet Hollande jedoch weiterhin, das weitaus größere Spionageprogramm PRISM des US-Geheimdienstes NSA zu verurteilen. Auch dafür könnte das von der »Le Monde« kritisierte französische Überwachungsprogramm eine Erklärung liefern. Die Deutung der Zeitung: »Paris weiß schon Bescheid. Und macht dasselbe.«
** Aus: neues deutschland, Samstag, 6. Juli 2013
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