Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Kleine Gemeinheiten

Christian Ströbele brachte den Fall Snowden in den Bundestag – viel weiter noch nicht

Von Uwe Kalbe *

Am Mittwoch wurde Hans-Christian Ströbele im Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages befragt. Nach seinem Treffen mit Edward Snowden in Moskau erntet er nicht nur Sympathie.

Herr Ströbele, was haben Sie eigentlich gegen die USA? Interviews mit dem Bundestagsabgeordneten, die so beginnen, lassen ahnen, dass sich der eigenwillige Grüne mit dem achtlos frisierten Weißhaarschopf mit seiner Tour nach Moskau nicht nur Freunde gemacht hat. Am Mittwoch sagte der Grünen-Veteran vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages aus, und auch wenn Details aus dem geheim tagenden Gremium nicht zu erfahren sind, ist doch klar, worum es ging. Und auch, wo Ströbele Widerstände entgegenschlagen.

In anschließenden Äußerungen von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) wurde das ebenso deutlich wie aus dem Mund von Regierungssprecher Steffen Seibert. Whistleblower Edward Snowden habe in Deutschland kein Recht auf politisches Asyl, so Friedrich. Er sei kein politisch Verfolgter; stattdessen werde er der Verletzung US-amerikanischer Strafgesetze beschuldigt.

Eine Befragung Snowdens durch den Bundestag oder durch den Generalbundesanwalt in Russland soll nun geprüft werden. Und Seibert fügte offenherzig hinzu, wie wichtig der Bundesregierung die guten Beziehungen zu den USA seien. Washington hat bekanntlich einen Haftbefehl gegen Snowden ausgestellt. Dagegen machte Ströbele auch am Mittwoch deutlich, dass es natürlich politische Gründe sind, die Snowden in Konflikt mit seiner Regierung getrieben haben. »Selbstverständlich kann man Herrn Snowden in Deutschland aufnehmen, und selbstverständlich kann man davon absehen, ihn auszuliefern«, sagte der Grünen-Politiker. »Man muss es nur wollen.«

Weniger eindeutig äußerte sich erneut der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums, Thomas Oppermann. Die Bundesregierung müsse eine Vernehmung in Moskau prüfen, bei der Snowden nicht in Schwierigkeiten gebracht werde, so Oppermann, dem bereits Ambitionen auf das Amt des Bundesinnenministers nachgesagt werden. Wie machtlos ein deutscher Innenminister ist, davon hat Oppermann wenigstens eine deutliche Ahnung, wie es scheint: »Man kann Snowden nicht nach Deutschland einladen, wenn man hinterher nicht ausschließen kann, dass er ausgeliefert wird.«

In den Details über die Umstände, unter denen Snowden in Moskau aussagen könnte, und ob dies der Wahrheit dienlich wäre oder nicht, darin lag gerade eine der offenen Fragen, die Christian Ströbele vor dem Gremium hätte klarer machen wollen. Offenbar ist er mit dem Wunsch des Amerikaners, lieber in Deutschland auszusagen und dies mit einem Aufenthaltstitel hier oder in einem anderen EU-Land zu verbinden, nicht durchgedrungen. Dennoch zeigte sich Ströbele anschließend »fast zufrieden«. Offenbar sieht er alle Beteiligten der Erkenntnis nunmehr näher gekommen, dass es kein Ausweichen mehr gibt. Die Bundesregierung steht vor der unaufschiebbaren Frage, wie sie, in aller Öffentlichkeit der Lächerlichkeit preisgegeben, ihr ramponiertes Bild korrigieren will. Und Snowden hat dazu ein Angebot unterbreitet. Dieses auszuschlagen, würde die Kalamität für die Bundeskanzlerin nur vergrößern.

Ströbele hat für die Offenlegung dieser Tatsachen keine Dankbarkeit zu erwarten. Doch kleine Gemeinheiten wie die des Parlamentarischen Geschäftsführers der Union, Michael Grosse-Brömer, der ihn als »Briefträger« Snowdens bezeichnete, ändern nichts daran, dass Ströbele es war, der die Debatte angefacht hat. Gegen die Wahrheit lässt sich schlecht argumentieren. Ströbele jedenfalls nimmt gewöhnlich keine Rücksicht darauf, ob und bei wem er mit seinen zuweilen störrischen Auffassungen aneckt. Nicht einmal auf sich selbst. Mit dem Vorwurf der Geltungssucht muss er deshalb nun leben.

Unterdessen läuft die Freundschaftsdiplomatie in Richtung USA auf Hochtouren. Im Kontrollgremium ging es am Mittwoch auch um den Stand von Verhandlungen über ein Spionageverbotsabkommen. Einzelheiten wurden bislang nicht publik.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 7. November 2013

Zynische Geste der Missachtung

Von Knut Mellenthin **

Große Überraschung: Das Handy der Kanzlerin wurde von US-amerikanischen Dienststellen überwacht. Die von der deutschen Regierung bis dahin geleugneten oder gerechtfertigten milliardenfachen Abhörmaßnahmen der Vereinigten Staaten werden plötzlich zu ganz großem Theater hochgespielt.

Aber erstens hat Angela Merkel selbstverständlich immer mit der Möglichkeit gerechnet, dass ihre Gespräche abgehört werden. Wenn schon nicht von unseren lieben US-amerikanischen Freunden, dann doch zumindest von den bösen Russen. Daraus ergaben sich zwangsläufig bestimmte Regeln der Kommunikation. Weil das die US-Dienste wussten, war ihnen von vornherein klar, dass sie durch die Überwachung von Merkels Handy weder politische noch private Neuigkeiten von Wert erfahren würden. Die Überwachung verbündeter Politiker zielt nicht auf Erkenntnisgewinn ab, sondern ist eine zynische Geste der Missachtung gegenüber den Juniorpartnern.

Die Administration in Washington maßt sich in immer größerem Umfang Rechte einer weder legitimierten noch kontrollierten Weltregierung und -polizei an. Die Tendenz zu dieser Anmaßung ist zwar nicht neu, wurde aber massiv verstärkt und wird immer unverfrorener propagiert, seit Barack Obama im Januar 2009 das Präsidentenamt übernahm. Dazu gehört neben der milliardenfachen Ausspähung von elektronischen Kommunikationen in und zwischen allen Ländern der Welt unter anderem auch das ferngesteuerte Töten durch Drohnen und Cruise Missiles in Pakistan, Jemen und Somalia.

Die mit den USA verbündeten Staaten kooperieren mit diesen Praktiken und profitieren im Rahmen der von ihnen verfolgten Interessen von deren Ergebnissen. Der Koordinator sämtlicher US-Geheimdienste, James R. Clapper, und der Chef der für die weltweite elektronische Kommunikationsüberwachung zuständigen National Security Agency, General Keith Alexander, berichteten kürzlich dem Geheimdienstausschuss des Abgeordnetenhauses detailliert, dass die milliardenfachen Abhörmaßnahmen in enger Zusammenarbeit mit den europäischen Verbündeten erfolgt seien. Als Zulieferer nannten sie vor allem die Dienste Deutschlands, Frankreichs und Spaniens.

Die deutsche Regierung hat diesen Berichten nicht widersprochen und sie nicht einmal sachlich kommentiert. Man muss davon ausgehen, dass sie korrekt sind. Das würde auch erklären, warum die Kanzlerin und ihre Vertrauten nach dem ersten Bekanntwerden des Abhörskandals wochenlang bemüht waren, die Angelegenheit als bedeutungslos unter den Teppich zu kehren.

Wie kann und wie sollte linke Politik sich damit auseinandersetzen? Die Konvention sieht immer noch vor, dass linke Politiker zu solchen Themen eine staatsmännische Pose einnehmen und so tun, als wollten sie begriffsstutzigen Kollegen Nachhilfeunterricht über die Wahrnehmung »deutscher Interessen« erteilen. Diese Herangehensweise ignoriert jedoch, dass Merkel sehr wohl weiß, was sie tut und dass sie aufgrund der Machtstrukturen, denen sie dient und unterworfen ist, durchaus einigermaßen logisch, wenn auch nicht immer hundertprozentig vernünftig handelt.

Stattdessen sollten Linke zu verstehen und zu erläutern versuchen, warum die Herrschenden so handeln, wie sie es tatsächlich tun. Linke Alternativen sollten nicht dem konventionellen Muster »Merkel müsste dies und jenes tun«, folgen, sondern Antworten auf die Frage zu geben versuchen, wie eine deutsche Politik aussehen könnte, die sich aus der kriminellen Verstrickung mit der aggressiven Globalstrategie der USA zu lösen anstrebt.

Im Zentrum einer solchen Politik muss der Austritt aus der NATO stehen, die keine »Sicherheitsarchitektur« ist, sondern ein Kriegsbündnis. Strategisches Hauptziel dieser Allianz ist die Einkreisung Russlands und Chinas. Aber schon auf dem Weg dorthin verursacht die Allianz unendliches menschliches Leid und lässt eine Schneise von destabilisierten Staaten zurück: Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien...

Der Austritt aus der NATO wäre selbstverständlich nur ein formaler Akt ohne praktische Bedeutung, wenn er nicht mit der Entfernung aller ausländischen Stützpunkte, Kommandostellen und Truppen der Allianz von deutschem Boden verbunden wäre. Ebenso müsste jede Form von militärischer und nachrichtendienstlicher Zusammenarbeit aufgekündigt und konsequent eingestellt werden.

** Knut Mellenthin arbeitet als freier Journalist in Hamburg.

Aus: neues deutschland, Donnerstag, 7. November 2013 (Gastkommentar)



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