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Hervorragend jämmerlich

Ex-Kanzleramtsminister Frank-Walter Steinmeier, die NSA der BND und die Grenzen des Rechtsstaates

Von René Heilig *

Irgendwie sind die Konstellationen im Wahlkampf etwas durcheinander. Der als Geheimdienstkritiker bekannte Grünen-Abgeordnete Christian Ströbele bezeichnet die Behauptungen, der damalige Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier (SPD) habe die NSA-Spitzelei samt BND-Beihilfe schon 2002 erlaubt, als »intellektuell armselig und politisch infam«. Dafür klatscht die Union insgeheim Beifall, wenn LINKEN-Chefin Katja Kipping Steinmeier den »größten Heuchler in der ganzen Spionageaffäre« nennt.

Es war im Jahr 2008, da war Frank-Walter Steinmeier (SPD) schon mal äußerst genervt, als es um ihn und Geheimdienste ging. Mehrfach musste er damals vor den BND-Untersuchungsausschuss. Er ließ keinen Zweifel daran aufkommen, was er von den an ihn gerichteten Fragen hielt und auch von jenen, die sie stellten.

Ein Mr. Drumheller hatte den SPD-Mann kurz zuvor in die Pfanne gehauen. Der Amerikaner war mal Europachef der CIA und hatte behauptet, deutsche Behörden und das damals von Steinmeier geleitete Kanzleramt – es ist auch für die Koordination der deutschen Dienste und für den BND direkt verantwortlich – seien bereits im Herbst 2001 über die Entführungspraxis der US-Geheimdienste informiert gewesen. Zudem hätten die Deutschen jede gewünschte Information an die Alliierten und so zumindest Murat Kurnaz sowie Mohammed Haydar Zammar – beide hatten einen deutschen Pass – ans Messer geliefert. Zammar übrigens sitzt noch immer in einem syrischen Folterknast.

Zu allem Überfluss kam auch noch die Geschichte mit den BNDAgenten heraus, die während des Irak-Krieges in Bagdad stationiert waren. Von »unschätzbarem Wert« sei die Arbeit der beiden Agenten gewesen, sagte der US-Irak- Kriegskommandeur James Marks. Das »vergiftete Lob« des Generals brachte Steinmeier förmlich zum Kochen. Man habe sich »immer in den Grenzen des Rechtsstaates bewegt «, keifte der SPD-Politiker und schleuderte der CDU-Abgeordneten Kristina Köhler entgegen: »Wenn Sie später an verantwortlicher Stelle sitzen, wünsche ich mir, dass Sie mit ähnlicher Verantwortlichkeit umgehen.« Köhler heißt inzwischen Schröder und ist (noch) Familienministerin.

Damals 2008 stellten sich nicht nur SPDler vor den einstigen Kanzleramtsminister. Auch Leute aus der Union machten die Schultern breit und der Ex-Grünenchef Joschka Fischer erklärte: »Steinmeier hat einen hervorragenden Job gemacht.« Zu dem Job gehörte – wie nun offenbar wurde – auch ein Memorandum of Agreement vom 28. April 2002. Das Dokument sei bis heute die Basis für die Zusammenarbeit mit dem USSpitzeldienst NSA im bayerischen Bad Aibling und gehe auf eine Grundsatzentscheidung Steinmeiers zurück, petzte die schwarz-gelbe Regierung in ihrer Erklärungsnot und erledigte so ganz nebenbei noch ein wenig Wahlkampf.

Ein Drahtseilakt, denn erstens steht die Union für eine enge Kooperation mit USDiensten und zweitens behauptet die Regierung, dass es nach wie vor »keine Anhaltspunkte« dafür gebe, »dass die NSA personenbezogene Daten deutscher Staatsangehöriger in Deutschland erfasst« hat.

»Unter Krokodilstränen« habe die SPD nach der Rechtsgrundlage für die Zusammenarbeit zwischen BND und NSA gefragt, frohlockte jüngst CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe, der übrigens auch im BND-Untersuchungsausschuss gesessen hat. »Warum hat Steinmeier nicht seinen Kandidaten Steinbrück informiert? Oder hat Steinmeier bewusst in Kauf genommen, dass von der SPD in verantwortungsloser Weise mit den Sorgen und Ängsten der Menschen gespielt wurde?«

Der attackierte Steinmeier hat Verteidigungsstellung bezogen und das Agieren der Regierung »jämmerlich « genannt. Die notwendige gemeinsame Aufklärung der Anschläge vom 11.9. 2001 habe mit einer »lückenlosen und flächendeckenden Abschöpfung von Daten« nichts zu tun gehabt.

LINKE-Chefin Katja Kipping meint, es führe nach der Wahl kein Weg an einem Geheimdienst-Untersuchungsausschuss vorbei. Nette Idee. Doch kaum vorstellbar, dass Steinmeier noch einmal vor so ein Gremium zitiert wird.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 9. August 2013


US-»Platform« entwickelte sich zum Hightech-Programm

Alte EU-Papiere mit aktuellen Forderungen

Von René Heilig **


Am 5. Juli 2000 hatte das EU-Parlament einen nichtständigen Ausschuss eingesetzt, um sich gegen die globale Schnüffelsucht der NSA zu wehren. Das kann an der rot-grünen Koalition wie an deren Kanzleramtschef Steinmeier nicht vorbeigegangen sein.

1948 unterzeichneten Großbritannien (UK), die USA sowie Australien, Kanada und Neuseeland das sogenannte UKUSA-Abkommen. Es war der Grundstock eines weltweiten Spionage-Lauschprogramms. Doch allein konnte man nicht erreichen, was strategisch geplant war. Man war darauf angewiesen, dass andere Staaten Gastrechte für weitere Abhörstationen einräumten. Bad Aibling in Bayern ist ein Beispiel dafür. Die 1952 gegründete NSA bezog dann andere Dienste in das System ein. Deutschland, Japan, Norwegen, Südkorea und die Türkei wurden unter anderem damit geködert, dass deren Behörden an den so in Gemeinschaft gewonnenen Informationen teilhaben könnten.

Anfang der 80er Jahre waren 52 Supercomputer – die sogenannte Platform – eingerichtet, um Nachrichten zu entschlüsseln und zu verarbeiten. Man verband die UKUSA-Stationen und integrierte alles in die »Platform«. Codename: ECHELON. Mit Hilfe dieses Systems kontrollierte man nicht nur militärischen Datenaustausch, sondern drang tief in ökonomische und in eigentlich extrem schützenswerte persönliche Bereiche von jedermann ein. Die verbundenen Nachrichtendienste halfen sich gegenseitig – so dass man zumindest dem jeweiligen nationalen keine Rechtsverstöße nachweisen konnte. In den EU-Papieren ist beispielsweise nachzulesen, dass der jetzt auch am Pranger stehende britische GCHQ den kanadischen CSE bat, zwei englische Minister auszuspionieren. Premierministerin Margret Thatcher wollte wissen, ob sie sich auf die Beiden verlassen könne. Der Wert »der engen Zusammenarbeit «, so schrieb das britische Pendant des deutschen Parlamentarischen Kontrollgremiums im Jahresbericht 1999/2000, habe sich auch gezeigt, »als die US-Ausrüstung der National Security Agency (NSA) zusammenbrach und für drei Tage sowohl US-Klientel als auch GCHQ's normale UK-Klientel direkt von GCHQ bedient wurden«.

Damalige Qualitäten sind durch technologische Quantensprünge inzwischen weitaus gigantischer. Geblieben ist die damalige Feststellung des EU-Parlamentsausschusses, dass »ein nachrichtendienstliches System, das wahllos und dauerhaft jedwede Kommunikation abfangen würde, einen Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip darstellen würde und mit der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht vereinbar wäre. Schon damals wurde kritisiert, dass die Grundsätze, nach denen USDienste im Ausland tätig werden, großteils klassifiziert sind. Man forderte Washington auf, das Zusatzprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zu unterzeichnen, damit Individualbeschwerden gegen die USA möglich werden.

Der Bericht des EU-Ausschusses wurde am 11. Juli 2001 veröffentlicht. Zwei Monate später flogen Flugzeuge in die Twin Towers und ins Pentagon. Danach hatte nicht einmal Frank-Walter Steinmeier (SPD) einen Nerv für so etwas Banales wie Menschenrechte.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 9. August 2013


Frank-Walter und Schraps

Von René Heilig ***

Was wird hier gespielt – Schwarzer Peter? Schraps hat den Hut verloren? Ist es eine Art Stuhltanz, bei dem man abwarten muss, wer zuerst zu Boden geht? Wie auch immer, es wird auf hinterlistigste Art geschummelt, wenn man jemanden sucht, den man als Schuldigen am BND-NSA-Spitzelskandal ans Brett nageln kann. Doch ganz so einfach ist das nicht. Zwar ruft die Union: Haltet den Steinmeier! Schließlich hat der 2002 das entsprechende Geheimabkommen geschlossen. Doch derlei Entlastungsangriff ist problematisch. Schließlich fordern CDU und CSU genau diese »Kooperation«. Weshalb das und andere unbekannte Abkommen unter Merkels Ägide weiter ausgestaltet und verschwiegen wurden. Welche Rolle dabei der gelbe Koalitionspartner spielt? Kaum eine, denn wo gibt es in der FDP noch Liberale?

Aber Grün macht mobil. Oder? Gewiss. Ein wenig. Doch keinesfalls gegen Frank-Walter Steinmeier & Co. Schließlich sehen einige Unentwegte noch immer zartrot- grünes Wetterleuchten am politischen Horizont. Wenn man es recht bedenkt, gibt es also wenige, die mit der LINKEN einen Untersuchungsausschuss fordern werden, der dann nach erprobtem Muster durch die exekutive Eigenverantwortung der Regierung ausgebremst wird.

Bleibt der Souverän – also Sie, lieber Leser. Und ein paar andere Bürger, die von Angst und Wut getrieben, einen kühlen Kopf bewahren sollten. Um nicht – wie so oft – rasch zu vergessen, was auch nach dem Wahlkampf wichtig ist.

*** Aus: neues deutschland, Freitag, 9. August 2013 (Kommentar


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