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Pofallas Post

Alle Vorwürfe gegen NSA und BND sind vom Tisch – eine Falschmeldung

Von René Heilig *

Die Regierung versucht abermals, einen Geheimdienstskandal vergessen zu machen. Das legt die Aussage von Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) vor dem Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) am Montag nahe.

»Der Vorwurf der vermeintlichen Totalausspähung in Deutschland ist nach den Angaben der NSA, des britischen Dienstes und unserer Nachrichtendienste vom Tisch. Es gibt in Deutschland keine millionenfache Grundrechtsverletzung, wie immer wieder fälschlich behauptet wird«, verkündete Pofalla. Warum sollte man ihm glauben? Nur weil er den Abgeordneten einen Brief gezeigt hat, in dem die NSA genau dies versichert?

Zwar geht die Frage, ob die USA deutsche Grundrechte verletzen, a priori daneben. Denn die gelten für die USA nicht. Tatsache ist, dass die amerikanischen Dienste, so wie jeder Geheimdienst, verpflichtet sind, ihre Regierungen mit allen erreichbaren und relevanten Informationen zu versorgen – im Rahmen des technisch und finanziell Machbaren.

Aber es gibt Fragen, die gerade nach dem NSA-Brief-»Beweis« zu stellen sind: Wer stellt sicher, dass die NSA den Spitzeljob nicht – wie das Geheimdienste bei »nassen Sachen« fast immer tun – von Subauftragnehmern erledigen lässt? Rund 200 solcher Firmen sind in Deutschland tätig, genehmigt von der Bundesregierung. Dazu kommen die Aufklärungseinheiten der US-Streitkräfte, die der NSA – sie ist ein militärischer Geheimdienst – zuarbeiten. Oder: Wer weiß, wie die NSA (und andere Dienste) mit den Daten umgehen, die Deutschland verlassen? Beispiel Facebook. Das soziale Netzwerk hat seinen Sitz in Menlo Park, Kalifornien. Auch sogenannte iMessages, die mit iPhones anscheinend innerhalb Deutschlands verschickt werden, machen einen Umweg über Cupertino, Kalifornien. Jeder Nutzer von Systemen wie Google ist auf den internationalen Datenhighways relativ schutzlos.

Es stimmt zwar, dass das PKGr nur für die Kontrolle der deutschen Dienste zuständig ist. Doch zu dieser Kontrolle gehört es zu fragen, ob BND, Verfassungsschutz, MAD, andere Behörden sowie das Kanzleramt das Maximale zur Aufklärung von Spionageangriffen gegen deutsche Bürger und Einrichtungen unternehmen.

Kanzleramtschef Pofalla hat in seinem Statement geschickt einen Pappkameraden aufgebaut. Er sagte, es habe keine massenhafte Weitergabe von Daten deutscher Staatsbürger durch deutsche Geheimdienste an die NSA gegeben. Mag sein. Diesen Vorwurf hat nie jemand erhoben. Auch nicht Edward Snowden. Sicher ist, dass der BND im Dezember 2012 exakt 471 Millionen Datensätze (was immer das ist?) übermittelt hat. Welche, weiß Pofalla nicht, weil keine Kontrolle darüber existiert. Alles für den BND nicht Verwertbare wird sofort gelöscht .

Sicher ist auch, dass es kein technisches System gibt, das aus aufgefangenen Nachrichten alle mit Bezug zu deutschen Staatsbürgern herauszufiltern kann. Beispiel: Ein Deutscher kauft in Iran eine dort gebräuchliche SIM-Karte, um teure Roaminggebühren zu umgehen. Wie will der BND jemals erfahren, dass der, der so telefoniert, für die NSA tabu ist?

Gleichfalls unglaubwürdig ist die von Pofalla kolportierte Versicherung, dass die Weitergabe von Handynummern mutmaßlicher Terroristen an die USA nicht zur willkürlichen Tötung beiträgt. Die sogenannten GSM-Standortdaten seien viel zu ungenau, um Raketen abzuschießen, heißt es. Mal abgesehen davon, dass man GPS-Daten quasi »aufschalten« kann – allein die Bewegungsprofile, die man mit GSM-Signalen erstellen kann, reichen aus, um eine Zielperson zu identifizieren. Beispielsweise wenn er, in einem weißen Pick-up sitzend, die Funkzellen wechselt. Der Rest ist Sache der US-Drohnenpiloten. Man kennt die entsprechenden TV-Bilder.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 14. August 2013


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