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Aufklärung geht anders

Geheimdienstgremium präsentierte US-Vorschlag eines Anti-Spitzel-Abkommens

Von René Heilig *

Das Parlamentarische Kontrollgremium für die Geheimdienste kam am Montag zum dritten Mal zusammen, um Informationen über die NSA-Spionageaffäre und die Zuarbeiten des BND zu bekommen. Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU) hatte – wie gewohnt – »entscheidende Schritte bei der Aufklärung« verkündet.

Aufklärung? Schindluder wird getrieben mit den Begriff, der einst von französischen Philosophen als neue Denk- und Verhaltensweise vorangetrieben, von Immanuel Kant unblutig verfochten und von Adorno und Horkheimer mit Dialektik verknüpft wurde. Politiker haben ihn dennoch immer wieder von Politik auf den Hund gebracht. So auch gestern.

Schon lange geht es nicht mehr um Edward Snowden, den Whistleblower, der öffentlich machte, wie umfassend die USA auch bei Freunden spionieren. Das war vor acht Wochen. Seither wird »aufgeklärt«. Weitgehend ergebnislos. Dabei hatte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) nach seiner USA-Reise versprochen, dass die Fakten über das Abgreifen von Daten sowie deren Auswertung mit Hilfe der Programme »XKeyscore« und »Tempora« so weit wie möglich auf den Tisch kommen. Statt dessen kamen Verwicklungen deutscher Geheimdienste ans Licht. Dank Snowden und vieler Medien weltweit. Und Friedrich? Der räumte »schon« Ende letzter Woche ein, dass es so etwas wie das US-Spähprogramm »Prism« gebe. Doch nur zum »edlen Zwecke«.

Gestern aber erwartete die Opposition Antworten darauf, ob die NSA hierzulande Daten sammelt und wie weit die deutsch-amerikanische Geheimdienstzusammenarbeit geht. Geklärt werden sollte, ob mit den vom BND gelieferten Daten – beispielsweise Handynummern – völkerrechtswidrige Drohnenangriffe der USA unterstützt werden. Dabei kommen nicht nur (nicht verurteilte) Terrorverdächtige, sondern auch zahlreiche Unschuldige um. Der BND bestreitet sein Zutun bei den Mordtaten nicht mehr komplett.

»Auf Basis deutscher Daten dürfen nirgendwo in der Welt Menschen getötet werden«, hält der FDP-Innenexperte Hartfrid Wolff dagegen. Stimmt. Wie unterbinden die verantwortlichen Abgeordneten eine mögliche Beihilfe? Der Gremiumsvorsitzende Thomas Oppermann (SPD) formulierte zum gestrigen Tag hundert Fragen und bat um schriftliche Beantwortung. Sich auf eine getreuliche Auskunft zu verlassen, wäre so, als wenn die Polizei bei der Fahrzeugkontrolle sich auf das Versprechen des einschlägig bekannten Schwarzfahrers verlässt, er habe inzwischen einen Führerschein.

Ganz so unmündig wären die PKGr-Mitglieder nicht, würden sie ihre Rechte nutzen. 2009 hat es ein Reförmchen gegeben, das die Autorität der Geheimtruppe stärken sollte.

Die Mitglieder haben das Recht, alle Einrichtungen der Dienste aufzusuchen. Sie können sich Dokumente herausgeben lassen. Sie können Geheimdienstmitarbeitern den Weg öffnen, sich ohne behördeninternen Umweg zu offenbaren. Das Gremium kann sich bei seiner Bewertung von der Glaubenspflicht befreien – allerdings nur mit einer Zweidrittelmehrheit. Werden den Volksvertretern zu viele Steine in den Weg gelegt, können sie die Verfassungsrichter in Karlsruhe anrufen. Nichts davon passiert.

Immanuel Kant zur Aufklärung:

»Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.«

»Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen.«

»Es ist so bequem, unmündig zu sein.«

Zitate aus: Immanuel Kant, Berlinische Monatsschrift 1784



Das liegt an der aktuellen Vorliebe für Wahlkampfgetöse, die Aufklärung bremst. Die SPD hatte das von Anfang an so gewollt. Die Union schießt zurück und versucht den einstigen Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier, heute SPD-Fraktionschef, ans Kreuz zu nageln. Der hatte 2002 das BND-NSA-Abkommen abgesegnet.

Steinmeier entschloss sich zur Flucht nach vorn, wollte aussagen – und durfte nicht. Die Koalitionsvertreter gaben ihm eine Wartenummer. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles polterte gegen die Regierenden: »Sie schmeißen mit Dreck« und »bleiben jede Antwort schuldig«. Das sei »ehrloses Verhalten«. Möglich. Doch wahrscheinlich ist, dass durchgesickert war, die SPD wolle im Gegenzug die Zeugenschaft der Kanzlerin verlangen. So kurz vor dem Wahltag? Nein!

Steffen Bockhahn, Vertreter der Linksfraktion, ist ohne große Erwartungen zur Sitzung gegangen. Dann rührte ihn aber doch der Donner. Als Konsequenz aus der NSA-Affäre wollen Deutschland und die USA – auf US-Vorschlag – nun ein »Anti-Spionage-Abkommen« schließen, verkündete Pofalla. Ich nicht bei dir, du nicht bei mir? Seltsam, dabei spitzelt doch der BND gar nicht bei Freunden, schwor die Regierung gestern noch. Es folgte »Knüller Nummer zwei«: Die Dienste der USA und Großbritanniens hätten schriftlich versichert, sich an Recht und Gesetz in Deutschland zu halten. Geht's noch selbstverständlicher?

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 13. August 2013


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