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Leistet Pofalla Beihilfe zum Mord?

BND reicht Handy-Funkzellendaten aus Afghanistan an US-Dienste weiter

Von René Heilig *

»Die deutschen Nachrichtendienste arbeiten nach Recht und Gesetz«, sagte Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU) vor einer Woche. Aber wie kann Beihilfe zum Mord auf gesetzlicher Grundlage erfolgen? Denn die vom BND an die USA gelieferten Handydaten könnten für gezielte Tötungen genutzt worden sein.

Um die 500 Millionen Datensätze gibt der BND monatlich an die US-amerikanische NSA weiter. Das seien vor allem Informationen, die aus der Afghanistan-Aufklärung stammen, beschwichtigen Offizielle. Sie versichern, dass man die Daten, die deutsche Bürger betreffen, aussiebt. Das ist eine Täuschung, weil unmöglich.

Nun kam heraus, dass sich unter den übermittelten Daten Mobilfunknummern befinden. Auch dabei ist natürlich nicht auszuschließen, dass diese mit deutschen Staatsbürgern in Verbindung stehen. Doch das ist nebensächlich, denn tot ist tot. Handydaten könnten nämlich zur Ziellokalisierung bei Drohnenoperationen zur gezielten Tötung benutzt werden. Auf der Basis des Global System for Mobile Communications (GMS) funktionieren nicht nur Routenplaner, wird nicht nur das Flottenmanagement von Logistikfirmen abgewickelt. Man kann mit GSM-Hilfe nicht nur eigene Handys, sondern auch die anderer Personen finden – und tödliche Attacken vorbereiten. Das bestreitet der BND.

Es wäre hilfreich, wenn der Dienst – bevor er wieder die Unwahrheit spricht – sich Anzeigen von Telekommunikationsfirmen durchliest. Die lauten etwa so: Möchtest Du wissen, wo sich Freunde, Familie oder Kinder gerade befinden? Benimmt sich Deine Freundin in letzter Zeit ungewöhnlich? Einfach Handy orten und endlich Gewissheit bekommen – oder eine US-Rakete ins Kreuz ...

Es stimmt, die GSM-Funkzellenortung ist oft – zumindest am Hindukusch – nicht genau genug. Entsprechend groß sind die Opferzahlen. Auch dann noch, wenn die Killer die exaktere satellitenbasierte GPS-Positionsbestimmung mitnutzen.

Der BND behauptet zusätzlich, die Weitergabe sei an die Bedingung geknüpft, dass auf deren Grundlage nicht gefoltert wird oder eine Verurteilung zum Tode erfolgt. Ein Witz! Kein einziges Opfer von US-Drohnen wurde in einem ordentlichen Gerichtsverfahren verurteilt. Und selbst wenn – Deutschland steht angeblich gegen die Todesstrafe ein. Es heißt, der BND gebe keine Daten weiter, wenn die »schutzwürdigen Interessen des Betroffenen das Allgemeininteresse an der Übermittlung überwiegen«. Was kann das Allgemeininteresse der Verhinderung von Anschlägen (deren Vorbereitung von den US-Diensten nie bewiesen werden muss) schon überwiegen? Bemerkenswert: Die Entscheidung der Datenweitergabe ist nicht BND-Sache. Im BND-Gesetz heißt es zur Datenübermittlung »an ausländische öffentliche Stellen«: »Die Übermittlung bedarf der Zustimmung des Bundeskanzleramtes.«

Das heißt, zumindest Geheimdienstkoordinator Pofalla muss genickt haben. Wann und wie, kann er heute vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium beichten – vielleicht gemäß jener Transparenz, die US-Präsident Barack Obama seinen geheimen Diensten künftig auferlegen will.

* Aus: neues deutschland, Montag, 12. August 2013


Mordhelfer BND

Geheimdienstchef ordnete Weitergabe von Handydaten an US-Geheimdienste an. Datenübermittlung begann unter SPD/Grünen-Regierung

Von Arnold Schölzel **


Der Bundesnachrichtendienst (BND) hat offenbar nachweislich Beihilfe zum Mord geleistet. Die Süddeutsche Zeitung (SZ) berichtete am Sonnabend, BND-Chef Gerhard Schindler habe angeordnet, daß Mobilfunknummern von verdächtigen Zielpersonen an ausländische Partnerdienste weitergereicht werden.

Ein BND-Sprecher wurde am Wochenende von dpa damit zitiert, die Weitergabe sei rechtmäßig: »Diese Übermittlungspraxis gibt es im BND seit etwa 2003/2004.« Damals regierte eine Koalition aus SPD und Grünen. Die bei der Auslandsaufklärung gewonnenen und weitergereichten GSM-Mobilfunknummern, so der Sprecher, seien »für eine zielgenaue Lokalisierung nicht geeignet«. Dagegen sagte der Hamburger Informatikprofessor Hannes Federrath der SZ, wenn Daten über einen längeren Zeitraum erhoben würden, seien sie nützlich, um Personen zu orten. Gegenüber Bild am Sonntag rechtfertigte Schindler die Datenweitergabe mit dem Schutz der in Afghanistan Krieg führenden Bundeswehrsoldaten.

Das Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Geheimdienste, Steffen Bockhahn (Die Linke), kommentierte die BND-Reaktionen auf den SZ-Bericht am Sonntag in einer Pressemitteilung mit den Worten: »Die Aussagen des BND zur Verwendung von durch ihn übermittelte Mobilfunkdaten sind eine intellektuelle Beleidigung aller, die stolperfrei von eins bis drei zählen können.« Niemand in Bundesregierung und BND sei so »naiv« anzunehmen, es hätte keine gezielten Tötungen auf der Basis der von Deutschen gesammelten Daten gegeben. Bockhahn fuhr fort: »Auf der Basis von GSM-Standortdaten werden immer wieder Angriffe mit vielen Toten geflogen. Gezielte Tötungen sind nach deutschem Recht Mord. Wer also die USA oder andere mit solchen Daten versorgt, kann nicht ausschließen, daß er Handlanger von Mördern ist.« Er verlangte ebenso wie der Vorsitzende des Kontrollgremiums, Thomas Oppermann (SPD), für dessen heutige Sitzung Aufklärung durch Kanzleramtsminister Ronald Pofalla. Oppermann erklärte: »Es wäre schlimm, wenn der BND zu solchen Tötungen beiträgt.«

Der Spiegel berichtete vorab aus seiner heutigen Ausgabe, mit den BND-Daten könne der US-Geheimdienst NSA Bewegungsprofile Terrorverdächtiger erstellen, die mit nur wenigen Minuten Verzögerung anzeigten, wo sich Handynutzer aufhalten. Der BND habe gegenüber dem Magazin erklärt: »Die Hilfe bei der Orientierung für militärische Operationen kann nicht ausgeschlossen werden.« Die SZ erwähnte in ihrem Bericht die Ermordung eines deutschen Staatsbürgers in der pakistanischen Region Wasiristan durch einen US-Drohnenangriff 2010. Zuvor sollen deutsche Behörden dessen Handynummer und die seiner Freunde an die USA weitergeleitet haben. Die Bundesanwaltschaft hatte Anfang Juli 2013 ihr Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt in diesem Fall mit der Begründung eingestellt: Der Mord sei »nach den Regeln des Konfliktvölkerrechts gerechtfertigt und stellt kein Kriegsverbrechen dar«.

Der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, forderte in Handelsblatt online am Sonntag von SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier Aufklärung, ob er als Kanzleramtschef über die Weitergabe von Handynummern informiert war. Notfalls müsse der Generalbundesanwalt tätig werden. CSU-Chef Horst Seehofer warf im ARD-»Bericht aus Berlin« der SPD und Steinmeier vor, in der Affäre an die Union andere Maßstäbe als an sich selbst anzulegen.

** Aus: junge welt, Montag, 12. August 2013


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