Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Obamas Ohr am Tisch

Ein NSA-Untersuchungsausschuss soll Aufklärung bringen – doch wer hält dann mithörende US-Aufklärer fern?

Von René Heilig *

Katja Kipping, die Chefin der Linkspartei, fordert, dass sich US-Präsident Obama im Bundestag für die NSA entschuldigt. Ernsthaft? Da könnte man ihm ja auch gleich eine Zeugenladung überreichen.

Mr. Obama, nicht dass ich Ihnen misstrauen würde, doch ich muss Sie belehren, dass Sie als Zeuge die Wahrheit sagen müssen. Auch eine uneidliche Falschaussage kann mit einer Haftstrafe von bis zu fünf Jahren bestraft werden ... So könnte der Einstieg in eine Zeugenbefragung des US-Präsidenten beginnen – wenn die Welt plötzlich in die Gegenrichtung rotieren würde.

Bleiben wir realistisch! Wenn überhaupt, dann wird nur Obamas Ohr – vermittelt durch NSA-Technik – mit am Tisch des Untersuchungsausschusses sitzen. Der steht, wie alle Einrichtungen des Bundestages und viele der Regierung in Reichweite der US-Botschaft. So wie in der Reichweite der Botschaften Großbritanniens, Frankreichs und Russlands, die alle im Herzen des politischen Berlins siedeln. Was den Gedanken an eine womöglich von mehreren Seiten verminderte Souveränität Deutschlands aufkommen lässt. Auf die hat Linksfraktionschef Gregor Gysi wohl angespielt, als er die Forderung nach einem Untersuchungsausschuss bekräftigte und dabei en passant kundtat, man müsse den USA »die Weltmacht-Allüren ein bisschen ausreden«. Schließlich hätten wir nicht mehr das Jahr 1949.

Nur im Märchen können Teppiche fliegen, weshalb es angeraten ist, in der Realität einen festen Stand auf dem Webstück zu suchen, um eine möglichst breite Aufklärungskoalition zu schaffen. Dass das geht, hat der Untersuchungsausschuss zur Aufklärung staatlichen Versagens bei der Abwehr des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) gezeigt, der vor ein paar Wochen seinen Abschlussbericht vorlegte.

Der SPD-Innenexperte Sebastian Edathy hat den NSU-Ausschuss geleitet und hält die Einrichtung eines solchen Gremiums zum NSA-Spitzelangriff »für einen sinnvollen Schritt, weil in der Tat viel Vertrauen verloren gegangen ist und es der Aufklärung bedarf, was ist denn wirklich passiert«. Diese Sicht teilt er mit seinem Fraktionsvize Thomas Oppermann, der das Parlamentarische Gremium zur angeblichen Kontrolle der Geheimdienste leitet. Dessen Mitglieder haben ja erfahren müssen, wie leicht man verschaukelt wird, wenn man sich auf die Spielregeln der Regierung einlässt. Die hatte – egal, was sie nun nach dem merkelschen Handy-Gate behauptet, die Aufklärung der NSA-Attacken bereits im Sommer für ausreichend und abgeschlossen erklärt.

Die SPD ist in einer schwierigen Situation, schließlich möchte sie ja in den kommenden vier Jahren mit der Union das Regierungsbett teilen. Und die Union ist strikt gegen einen Ausschuss. Fraktionschef Volker Kauder hat mit dem Amtsbruder von der SPD, Frank-Walter Steinmeier »über all diese Fragen gesprochen«. Danach sei es beiden »Wurst« gewesen. »Wenn die zwei kleinen Oppositionsparteien einen Untersuchungsausschuss wollen, lassen wir das zu«, sagte Kauder gnädig.

Er und Steinmeier sind clevere Politiker. Sie wissen, dass die rechtlichen Möglichkeiten eines solchen Ausschusses extrem begrenzt sind. Selbst wenn die Abgeordneten – wie Steinmeier als Schröders Kanzleramtschef und späterer Zeuge im BND-Untersuchungsausschuss – erfahren sind mit Geheimdienst-»Spielchen«, sie können ja nicht einfach die Akten von Behörden fremder Staaten in den Ausschuss holen. Geschweige denn ausländische Zeugen laden. Nicht mal Obama.

Bleibt als ein wichtiges Thema die Frage: Wussten deutsche Nachrichtendienste und wenn ja in welchem Umfang über die Aktivitäten ihrer US-amerikanischen Partner in Deutschland Bescheid? Wie geheim ist wirklich, was geheim gestempelt ist? Auch wenn derzeit nur über das Abhören des Kanzlerhandys und Merkel (was ist mit ihrem Vorgänger Schröder?) gesprochen wird, bleibt die Tatsache, dass die zuvor bereits aufgedeckten NSA-Schnüffelaktionen noch immer der Aufklärung harren. Die grundlegende Frage lautet also: In wie weit steht deutsches staatliches Handeln unter Beobachtung? Kann es in Kooperation mit anderen Maßnahmen manipuliert werden?

Was wissen die USA beispielsweise über die deutsche Strategie zur Beherrschung der Euro-Krise? Liegen die Protokolle der Europäischen Zentralbank als Duplikat in Washington vor? Sind die US-Konzerne informiert über die deutsche Rüstungsexport-, die Rohstoffimport- oder die Energiepolitik? Wie intensiv kann man im Weißen Haus die Debatten über die Teilnahme Deutschlands an Kriegseinsätzen verfolgen? Natürlich wollen das auch die Granden der CDU/CSU wissen. Doch sie scheuen eine öffentliche Aufarbeitung.

Mehr als nur am Rande sollte eine Rolle spielen, dass nicht nur die Bundeskanzlerin einen Anspruch darauf hat, dass ihre Privatsphäre und ihre Kommunikation geschützt werden. Dieser Grundsatz trifft auf jede Bürgerin und jeden Bürger zu. Selbst dann, wenn Obama beim Belauschen des Untersuchungsausschusses einen Lachanfall bekommen sollte.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 29. Oktober 2013


BND – Diener zweier Herren

Von René Heilig **

Egal, wer seit Gründung des Bundesnachrichtendienstes (BND) da Wache hielt oder hält, er hatte und hat neben dem kleinen Chef im Kanzleramt einen großen in den USA. Von dort kommen Kommandos – manchmal auch Schelte. Beispielsweise als man nicht gemeldet hatte, dass in Hamburg eine islamistische Zelle das Terrorfliegen übt.

Nicht nur deshalb strengt man sich an, um den Erwartungen jenseits des Atlantik gerecht zu werden. Man liefert brav Berichte sowie ab und zu ein armes Schwein, das der große Chef in einen Folterkeller sperren will. Dafür gibt es Lob aus Langley (CIA), Aufmunterung aus Fort Meade (NSA) oder ein Tätscheln von der DEA im Pentagon. Und ab und zu einen Knochen. Auf den ist man als kleiner Dienst angewiesen, selbst wenn er schon recht abgenagt ankommt. Er vermittelt das Gefühl, Gutfreund zu sein. Und da man unter Freunden nichts Böses tut, kam beim jüngsten NSA-Skandal nicht einmal das, was man Anfangsverdacht nennt, auf. Oder doch? Und? Aufmucken, die Hand beißen, die einen füttert? Nie!

Wer zu lange in dieser Aufblickhaltung verharrt, hält die sich ergebende Perspektive für normal, selbst wenn sie zu chronischer Rückenverkrümmung führt. Ausgerechnet diesen krummen Diensthund BND hat unsere durch Ausspähen gehörnte Regierung nun beauftragt, einen Vorschlag für ein sogenanntes No-Spy-Abkommen zu erarbeiten. Mündlich sei ja alles bereits verabredet mit dem Chef in den USA. Der Inhalt des Abkommens: keine Verletzung der jeweiligen nationalen Interessen, also keine Ausspähung von Regierung und Behörden; keine Spionage wider den Partner und keine entsprechende Datensammlung; keine Wirtschaftsausforschungen und kein Diebstahl ökonomisch nutzbaren geistigen Eigentums. Das alles hatte und hätte sich der BND gegenüber seinen Freunden ohnehin nie getraut. Was also bietet unser Dienst an? Einerlei: Unterm Strich soll völkerrechtlich besiegelt stehen: Nationales Recht ist unantastbar.

Na prima, denn die USA sind ja bekannt als ein Staat, dem das Völkerrecht über alles geht! Wenn aber doch ...? Dann schaltet Deutschland selbstbewusst den UN-Sicherheitsrat ein.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 29. Oktober 2013 (Kommentar)


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