Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Friedrich will nichts wissen

Snowden beantragte politisches Asyl in Russland, Putin verlangt Mundhalten

Von René Heilig *

Der von den USA als Verräter gejagte IT-Spezialist Edward Snowden hat am Dienstag einen offiziellen Antrag auf vorübergehendes Asyl in Russland eingereicht. In Berlin tagte unterdessen das Parlamentarische Gremium zur Geheimdienstkontrolle. Thema: NSA.

Edward Snowden sitzt seit über drei Wochen auf dem Moskauer Flughafen Scheremetjewo fest. Sein Heimatland, die USA, haben seinen Reisepass für ungültig erklärt haben. Statt dem Mann, der gigantische Abhörprogramme der USA und Großbritanniens öffentlich machte, dankbar zu sein, verhindern die Regierungen in Westeuropa Snowdens Weiterreise. Wider eigenes Recht. Gestern hat Snowden nun wahr gemacht, was er bereits vor einer Woche angekündigte. Der 30-Jährige unterschrieb ein Gesuch nach temporärem Asyl und überreichte es regelgerecht in der Transitzone des Moskauer Flughafens Scheremetjewo einem Mitarbeiter der russischen Migrationsbehörde. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte zuvor sein Asylangebot erneuert, zugleich aber darauf bestanden, dass dies nur gelte, wenn der Amerikaner den USA keinen Schaden mehr zufüge.

Er müsse »Russlands Angebot annehmen, weil ich nicht in der Lage bin zu reisen«, sagte der Bittsteller. Dem Ex-Mitarbeiter eines Subunternehmens des größten US-Geheimdienstes NSA war sowohl von Bolivien als auch von Venezuela und Nicaragua offiziell politisches Asyl angeboten worden. Offen ist, wie Snowden nach Südamerika gelangen kann.

Das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages (PKGr) tagte fast zeitgleich in Berlin. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) wurde zu den US-Überwachungsaktivitäten in Deutschland und den Ergebnissen seiner entsprechenden Gespräche in Washington befragt. Die zur Verschwiegenheit verpflichteten Abgeordneten wollten erfahren, was die Regierung über die Gesetzesverstöße wusste und wie der Stand der strafrechtlichen Ermittlungen gegen die Verantwortlichen ist.

Zugleich interessierte man sich für den angeblichen Nutzen der Überwachung. Die USA behaupten, durch Hinweise in Deutschland fünf Terroranschläge verhindert zu haben. Auch Friedrich konnte gestern nur zwei benennen, weil entsprechende US-Dokumente nicht deklassifiziert sind. Er vertraue jedoch der Versicherung, dass die NSA keine Wirtschaftsspionage treibe.

Aus Teilnehmerkreisen verlautete, Friedrich habe den Eindruck hinterlassen, nichts wissen zu wollen und Snowden nicht zu trauen. Allgemein betonte der Minister, jeder Bürger müsse auf seine Daten selbst aufpassen. Steffen Bockhahn, der für die Linksfraktion im PKGr sitzt, hält das für dreist: »Wie sollen einzelne Bürger sich gegen die Allmacht einer 38 000-Mann-High-Tech-Spionageorganisation wehren?!«

Der Internetkonzern Yahoo hat erreicht, dass eine bislang geheime Gerichtsentscheidung von 2008 zum Ausspähprogramm Prism veröffentlicht wird. Ein kleiner Sieg, denn die US-Regierung kann die Unterlagen zuvor schwärzen.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 17. Juli 2013


Kein Wissen ist auch keine Lösung

Unionspolitiker zutiefst getroffen von Freundschaft nach Art der NSA

Von René Heilig **


Keine Zeit für Urlaub, wenn man Bundestagsabgeordneter und für Inneres zuständig ist. Am Dienstag tagte das Parlamentarische Kontrollgremium und heute der Innenausschuss. Thema: NSA-Spitzeleien in Deutschland.

Welche Daten zapfen US-Geheimdienste in Deutschland ab? Was speichern sie wie lange? Wie werten sie den Datenverkehr aus? Wer ist Nutznießer der Aktionen? Wie viele Terroranschläge wurden so verhindert? Viele Fragen prasseln derzeit auf den Bundesinnenminister ein. Doch Hans-Peter Friedrich (CSU) macht glaubhaft, dass er keine Ahnung hat. Er habe bei seinem jüngsten USA-Besuch »einiges an Informationen« darüber erhalten, was der Geheimdienst NSA an Daten sammele. Mehr bekam man beim ARD-Morgenmagazin am Dienstag nicht aus ihm heraus.

Doch selbst Sicherheitsexperten – zu denen der Bundesinnenminister ja nun wahrlich nicht zu zählen ist – sind offenbar auf Mutmaßungen über die US-amerikanischen und die (leider fast in Vergessenheit geratenen) britischen Spionageprogramme angewiesen. Beide sollen gigantisch sein.

Allein das Wort bringt Wolfgang Bosbach, den Vorsitzenden des Bundestagsinnenausschusses in Rage. »Was heißt jetzt gigantisch?«, fragte er gestern im »Deutschlandfunk«. Es ginge doch wohl um die Frage, »in welcher Art, Umfang und Intensität findet die Auslandsaufklärung statt – nicht nur, aber was uns in besonderer Weise interessiert – zu Lasten deutscher Grundrechtsträger.« Und so fragte der langgediente Innenpolitiker der Union weiter: Werden neben den sogenannten Metadaten auch Kommunikationsinhalte erfasst und werden die gespeichert, auch wenn sie keine Sicherheitsrelevanz haben?

So wie viele treue USA-Freunde scheint Bosbach tief getroffen von der Art und Weise, wie willkürlich man in Washington die viel gerühmte transatlantische Partnerschaft ausgestaltet. »So geht man doch unter Partnern, unter befreundeten Nationen nicht miteinander um. Wir betonen immer wieder, die NATO ist mehr als eine Verteidigungsgemeinschaft, sie ist eine Wertegemeinschaft, und das gilt für die Europäische Union auch.« Und zu diesen Werten, so Bosbach, »muss doch ganz an der Spitze die Wahrung der Bürgerrechte gehören, der Freiheitsrechte gehören«.

Der Chef des Innenausschusses dämpft Hoffnungen auf eine schnelle Aufklärung durch die Freunde aus USA. Der Besuch von Bundesminister Friedrich sei wohl erst der Anfang von »sehr zähen Verhandlungen« gewesen.

Bei alledem geht fast unter, dass deutsche Geheimdienste offenkundig mehrfach profitiert haben von der ungezügelten Spitzellust der US-Partner. Wer Nachrichten bezieht, muss auch Nachrichten anbieten. Anders läuft es nicht auf dem internationalen Markt der Dienste. Gibt es da eine Art Arbeitsteilung, mit der nationale Gesetze umgangen werden? Gleichfalls ins Hintertreffen gerät die Aufmerksamkeit für jene Operationen, die der Bundesnachrichtendienst »am Laufen hat«. Tag und Nacht werden Nachrichtenverbindungen belauscht, und wenn einer von 1600 sicherheitsrelevanten Schlüsselbegriffen auftaucht, wandert die Nachricht in den Speicher des BND. Ganz legal.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 17. Juli 2013


Keine Ausreden mehr

Die Reaktion auf die NSA-Bespitzelung in der BRD ist vor allem scheinheilig. Snowdens Enthüllungen sind brisant, weil sie unwiderlegbar sind.

Von Rainer Rupp ***


Worin liegt eigentlich die Brisanz der Informationen des Exgeheimdienstlers Edward Snowden? So neu ist die Nachricht schließlich nicht, daß der US-Spionageapparat NSA nicht nur die mit Washington verbündeten Staaten ausspäht, sondern auch die eigenen Bürger. Das tut die NSA seit Jahrzehnten. Ersteres ist laut US-Gesetzen legal, und etliche hochrangige US-Geheimdienstangehörige haben dies zu verschiedenen Zeiten im Zusammenhang mit anderen, der Snowden-Affäre ähnlichen Abhörskandalen, unumwunden zugegeben. Als Reaktion auf den Bericht des EU-Parlaments über die elektronische Ausspähung der Europäer durch das satellitengestützte Echelon-Abhörsystem der NSA hatte z.B. James Woolsey (CIA-Chef von 1993 bis 1995) im Wallstreet Journal vom 17. März 2000 geschrieben: »Ja, meine kontinentaleuropäischen Freunde, wir haben euch ausspioniert. Und es ist wahr, daß wir Computer nutzen, um die Daten mit Hilfe von Schlüsselwörtern zu sortieren«. Das rechtfertigte Woolsey mit der Notwendigkeit, europäische Bestechungsversuche aufzudecken, mit denen in Drittländern US-Konkurrenten ausgebootet wurden. (Siehe auch den ausführlichen Artikel des Autors zu »Echelon – ein riesiger Staubsauger im Äther« am 4. März 2000 in junge Welt).

Die Tatsache, daß die NSA mit den deutschen Diensten »unter einer Decke« steckt, daß deutsche Behörden schon seit Jahren über die Spionageaktivitäten der USA informiert und sogar daran beteiligt sind, wie Snowden in einem jüngst im Spiegel veröffentlichten Interview erklärte, ist ebenfalls länger bekannt. So hatte z.B. das bayerische Innenministerium im Mai 2006 seine nachgeordneten Behörden und Dienststellen, und nur die, schriftlich vor dem leichtfertigen Gebrauch von Handys gewarnt, da diese nicht nur abgehört werden können, sondern auch als Abhörmikrofone taugen – unter Umständen sogar in abgeschaltetem Zustand. Die bayrischen Beamten mußten es wissen, denn die NSA hatte schon damals eine Filiale ihres weltweiten Echelon-Abhörsystems im bayerischen Bad Aibling gemeinsam mit dem BND. Inzwischen wird die Station unter deutscher Führung weiterhin mit den US-Amerikanern betrieben.

Geheimvertrag

Der erste Geheimvertrag zwischen NSA und BND über gemeinsame Abhöraktivitäten auf deutschem Boden wurde in den 1960er Jahren unterzeichnet. Diese Ausspähung richtete sich während des Kalten Krieges nicht nur gegen den Warschauer Vertrag, sondern auch gegen kritische Bürger der ehemaligen Bundesrepublik. Inzwischen hat Bad Aibling wegen der technologischen Neuerungen der letzten Jahre viel an Bedeutung verloren. Dank Internet und insbesondere dank Microsoft, Google und anderen US-Firmen, die in ihrer Computer ­Software »Hintertüren« für die NSA geöffnet haben, kann der gigantische US-Horch-und-Guck-Konzern jederzeit und von US-Territorium aus problemlos auf die meisten Computer in Deutschland zugreifen, ohne daß deren Besitzer etwas merken.

Kollaboration

Neu an den Snowden-Dokumenten ist der unanzweifelbare Beweis, daß die großen IT-Konzerne wie Microsoft und Co. die Daten ihrer Kunden schamlos an die NSA verkauft haben und weiterhin verkaufen. Neu ist auch der Beleg für den schier unfaßbaren Umfang und die Sammelwut der NSA, die mit ihren Supercomputern allmonatlich in aufopfernder Arbeit allein in Deutschland rund 500 Millionen E-Mails, Telefongespräche und Skype Video-Konferenzen erfaßt und durchforstet, angeblich um Anzeichen für Terroranschläge zu finden. Daß die Amerikaner nicht weghören, wenn europäische Politiker über Staats- und hiesige Unternehmer über Geschäftsgeheimnisse sprechen – wie immer behauptet –, hat Snowden auch eindeutig belegt. Und genau darin liegt die politische Brisanz der Snowden-Affäre: Heute können sich selbst die glühendsten Atlantiker nicht mehr herausreden und alles als bösartige Gerüchte abtun, wie das z.B. nach dem Echelon-Skandal um die Jahrtausendwende passiert ist.

Als Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich vergangene Woche bei seinem Besuch in Washington dennoch versuchte, die NSA schönzureden, ist er kläglich gescheitert. Snowdens großes Verdienst ist es, den Heuchlern in Politik und Geheimdiensten Masken abgerissen zu haben. Zur Schau tragen sie mehr oder weniger gegrämt die Sorge um das Gemeinwohl. Tatsächlich haben sowohl die Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP wie auch die von SPD und Grünen 1998 bis 2005 mit der NSA und Washington kollaboriert, um unter Umgehung deutscher Gesetze über den Umweg NSA die eigenen Bürger flächendeckend zu bespitzeln.

In Zeiten zunehmender ökonomischer Ungewißheiten und sozialer Gärungsprozesse geben auch die Herrschenden in Deutschland ein solch wertvolles Machtinstrument besonders ungern aus der Hand. Schließlich bemüht sich Innenminister Friedrich seit 2011 engagiert um den Aufbau eines NSA-ähnlichen Systems in Deutschland (siehe dazu den Text unten). Erst wenn alle Überwachungswünsche von Friedrich und seinen Nachfolgern zur Kontrolle der eigenen Bürger in Erfüllung gegangen sind, wird man in Deutschland auf die Mithilfe der NSA verzichten können. Bis dahin muß man die Amerikaner öffentlich verurteilen und hinter dem Rücken der Öffentlichkeit mit ihnen zusammenarbeiten. Natürlich nur zur Abwehr von Terrorangriffen.

*** Aus: junge Welt, Mittwoch, 17. Juli 2013


Nicht ohne NSA

Von René Heilig ****

Grundrechte, Demokratie. Das sind eigentlich Inseln menschlicher Reinheit im Güllesee der alltäglichen Machtpolitik. Es sind beileibe nicht nur die hemmungslosen NSA-Datenjäger oder die gewissenlosen Eierköpfe aus dem Weißen Haus, die den Morast ansteigen lassen. Auch unsere Kanzlerin ist mitschuldig – durch Unterlassen.

In der Tat eignet sich das NSA-Thema nicht so sehr für den Wahlkampf, denn auch verantwortliche SPDler und Grüne hätten es längst in der Hand gehabt, das Thema aufzurufen. Dass der Überwachungsskandal nun endlich Chefsache sein sollte, hat nicht nur damit zu tun, dass die Regierung einer angeblich befreundeten Nation die Grundrechte von uns Deutschen angegriffen hat. Der Skandal ist global. Also muss er vor die UN-Generalversammlung kommen. Schon weil es viele Millionen Betroffene gibt, die noch machtloser dastehen als die EU-Europäer. Und weil man Datenschutz nicht in Kleinstaaterei garantieren kann.

Doch was geschieht wirklich? Die Geheimdienste verschiedener Couleur schauen neidisch auf die Fähigkeiten der NSA und halten – so wie Innenminister Friedrich – Snowden für einen ehrlosen Verräter. Selbst das Asyl, das der Geheimdienstmann Putin dem Aufwecker aus den USA nun gönnt, ist fernab von jeglicher Moral. Es tat nur mal gut, Großmacht zu spielen. Nun aber setzt wieder Pragmatismus ein – und sei es nur, weil die Olympischen Winterspiele in Sotschi gemeinsame Anstrengungen zur Terrorabwehr erfordern. Ohne Obama und NSA läuft da nichts.

**** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 17. Juli 2013 (Kommentar)


Zurück zur Geheimdienst-Seite

Zur Deutschland-Seite

Zur Russland-Seite

Zurück zur Homepage