Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Duckmäusertum gegenüber den USA ablegen"

Chaos Computer Club verlangt von deutscher Regierung, auf Kontrolle der Geheimdienste zu pochen. Ein Gespräch mit Dirk Engling *


Dirk Engling ist Pressesprecher des Chaos Computer Clubs.


Am Freitag hat der Chaos Computer Club (CCC) zum 30. Mal zum internationalen Hackertreffen nach Hamburg eingeladen. Wie wird dort das Thema Überwachungsstaat diskutiert?

Wir werden vor allem über die in diesem Jahr bekanntgewordenen Enthüllungen Edward Snowdens debattieren: über Tätigkeiten und technische Mittel der Geheimdienste der »five eyes«. Dieser Zusammenschluß von Diensten der USA, Großbritanniens, Australiens, Kanadas und Neuseelands macht die Möglichkeiten deutlich, die sie haben, Bürger rund um den Globus auszuspionieren. Wir diskutieren, wie wir uns technisch dagegen schützen können. Wir werden aber auch juristische und politische Mittel erörtern, mit denen sich all dem ein Riegel vorschieben ließe.

Schwerpunkt wird zudem der sogenannte Nationalsozialistische Untergrund (NSU) sein …

Der NSU ist das typische Beispiel in Deutschland dafür, wie Geheimdienste sich jeglicher parlamentarischer Kontrolle entziehen. Unter deren Augen wurden über Jahre hinweg ausländische Mitbürger von Neonazis ermordet. In einem Vortrag des langjährigen CCC-Aktivisten Andreas Lehner wird es um den sogenannten tiefen Staat gehen: Darum, wie sich Geheimdienste verselbständigen, ohne jegliche demokratische Kontrolle, dafür aber mit jeder Menge zur Verfügung stehender Ressourcen. Er schildert, wie sie durch Geheimhaltung ihre Inkompetenz kaschieren.

Wer ist aktiv beim CCC?

Der Kongreß hatte 2012 rund 6500 Besucher, dieses Jahr sind es wesentlich mehr. Als Hacker wollen wir unser eigenes Weltbild klarer definieren. Wir haben Besucher aus der ganzen Welt, aus China, den USA, die meisten kommen freilich aus Europa. Aus vielen wissenschaftlichen Fachgebieten und mit technischem Know-how bringen sie ihre Kenntnisse zusammen.

Welche politischen Forderungen haben Sie?

Unser wesentliches Anliegen an die neue Bundesregierung ist, das Duckmäusertum gegenüber den Vereinigten Staaten abzulegen und auf Souveränität zu pochen. In der Informationsgesellschaft kann man nicht erfolgreich sein, wenn man zum Spielball ausländischer Geheimdienste wird. Und angesichts des NSU-Skandals ist zu hinterfragen, ob Deutschland Geheimdienste mit derart großen politischen Befugnissen überhaupt braucht.

Die Zuschaltung des Wikileaks-Gründers Julian Assange am Sonntag ist von Feministinnen heftig kritisiert worden. Wie sehen Sie das?

Diese Debatte wird von außen an den CCC herangetragen. Die offene Struktur des Clubs wird hierbei von einer radikalfeministischen Fraktion genutzt, um ihn als Plattform zu vereinnahmen. Sie will das verstaubte Konzept der Deutungsmacht wiederbeleben, um Assange, der in Schweden wegen angeblicher Vergewaltigung angeklagt werden soll, vorzuverurteilen. Darauf reagieren CCC-Aktivisten allergisch. Zu Assange, was immer man von ihm halten möchte, ist zu sagen: Mit seiner Plattform Wikileaks hat er demokratische Mängel aufgedeckt. Er möchte die Hacker von der Ecuadorianischen Botschaft in London aus, wo er sich derzeit aufhält, auffordern, sich ihrer Macht bewußt zu werden.

In seinen Anfängen hackte der CCC den Account der Hamburger Sparkasse und verschaffte sich über Nacht 135000 D-Mark.Das Geld wurde zurückgegeben, es ging nur um das öffentliche Vorführen. Wird es weiter Aktionen geben, um in der Finanzkrise die Banken in ihre Schranken zu weisen?

Netzwerke der Banken sind immer wieder beliebtes Ziel für Hacker. Doch die Geldinstitute haben aufgerüstet – und sich im Sicherheitsbereich arbeitende Hacker eingekauft, um sich dessen zu erwehren. Es ist Aufgabe der Politik, die Banken besser zu kontrollieren.

Hat der CCC etwas mit der Blockupy-Bewegung zu tun, die 2014 Proteste gegen die Europäische Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main plant?

Hacker haben sich auf ihre eigene Art des Themas angenommen: Sie versuchen den Geldfluß von nationalstaatlichen Mechanismen abzukoppeln und haben eine eigene, virtuelle Währung gegründet, die Bitcoins.

Ist der CCC antikapitalistisch, links oder systemkritisch?

Er hat etwa 3600 Mitglieder mit jeweils eigenen Überzeugungen. Aber wer versucht, Institutionen und Politikersprech zu durchdringen, betätigt sich in jedem Fall kritisch und demokratiebewahrend.

Interview: Gitta Düperthal

* Aus: junge Welt, Samstag, 28. Dezember 2013

Aufruf gegen staatliche Überwachung

30. Chaos Communication Congress in Hamburg eröffnet. 8 000 Teilnehmer erwartet

Internetaktivisten und Computerexperten haben den 30. Chaos Communication Congress (CCC) mit einem Aufruf zum Widerstand gegen staatliche Überwachung begonnen. »Wir sind aus einem Alptraum aufgewacht in einer Realität, die noch schlimmer ist«, sagte Auftaktredner Tim Pritlove am Freitag in Hamburg. »Wir müssen das Internet neu erfinden, wir müssen das Internet neu denken.« Der Lebensraum der Szene werde durch die Überwachung wie durch ein Gift bedroht. Pritlove rief die versammelten Hacker in dem vollbesetzten Saal im Congress Centrum Hamburg auf, sich gegen ausufernde Überwachung zu wehren.

Bis Montag erwarten die Teilnehmer des Kongresses Vorträge, Projekte und Präsentationen. Mehrere Redner sind angekündigt, die direkt an den Snowden-Enthüllungen beteiligt waren. Die Hauptrede am Eröffnungstag soll nach jW-Redaktionsschluß am Abend der Journalist Glenn Greenwald per Videoschaltung halten. Er war einer der ersten Reporter, denen Edward Snowden Dokumente über die zuvor streng geheime Arbeit des US-Dienstes NSA und anderer Geheimdienste übergab. Auch der Gründer der Enthüllungsplattform Wiki­leaks, Julian Assange, soll per Video auftreten.

Die Organisatoren erwarten bis zu 8000 Teilnehmer. Das sei etwa ein Drittel mehr als im vergangenen Jahr, sagte Frank Rieger vom CCC vor Beginn der viertägigen Veranstaltung in Hamburg am Freitag. »Der Snowden-Faktor spielt da schon eine Rolle.« Der CCC warnt seit Jahren vor staatlicher Überwachung und schwindendem Datenschutz. Das Thema sei inzwischen auch in der breiten Bevölkerung angekommen. Die Teilnehmer des Kongresses stehen vor der Frage, wie sie politisch und technisch auf die Erkenntnisse aus den Snowden-Dokumenten reagieren. In mehreren Vorträgen soll es um Gegenmaßnahmen wie Verschlüsselung und Anonymisierung gehen.

(jW, 28.12.2013)




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