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"So lügt es sich der BND zurecht"

Gespräch mit Gotthold Schramm. Warum der deutsche Auslandsgeheimdienst immer noch das Interesse eines früheren DDR-Aufklärers weckt *


Gotthold Schramm (80) war von 1952 bis 1990 Mitarbeiter des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit. Im Verlag edition ost hat er soeben das Buch »Die BND-Zentrale in Berlin. Beobachtungen« (192 Seiten, 14,95 Euro) herausgebracht.


Sie sind kürzlich 80 Jahre alt geworden und haben gerade ein Buch über die neue Zentrale des Bundesnachrichtendienstes in Berlin veröffentlicht. Was treibt Sie an, sich immer noch mit Ihrem früheren Hauptbeobachtungsobjekt zu beschäftigen?

Es ist die Frage, was von dem Größenwahn zu halten ist, der mit dem gigantischen Neubau des Hauptquartiers in der Berliner Chausseestraße demonstriert wird. Es handelt sich um einen Gebäudekomplex, der 280 Meter lang und 150 Meter tief ist. Arbeitsräume für 4000 Mitarbeiter sind dort geplant. Außerdem zahlreiche Nebengebäude. Die jetzige Kalkulation liegt bei 1,6 Milliarden Euro, aber es ist kein Geheimnis, daß die tatsächlichen Baukosten sich auf zwei Milliarden belaufen werden. Das ist schon baulich absoluter Größenwahn, dessen politische Bedeutung muß genauer beleuchtet werden.

Der jetzige Standort Pullach ist für die Aufgaben dieses Geheimdienstes ausreichend. Dort ist genügend Platz, die Sicherheit ist gewährleistet – und es wäre weitaus kostengünstiger, zumal ein Gutachten des Bundesrechnungshofes besagt, daß 400 Millionen Euro für eine Modernisierung reichen würden.

Ein anderes, vielleicht entscheidendes Problem: Der BND ist in zunehmendem Maße an der Vorbereitung und Durchführung von Kriegen unmittelbar beteiligt. Das hat sich schon 1999 beim NATO-Krieg im Kosovo gezeigt, an den sehr engen Beziehungen zu den Paramilitärs der sogenannten »Kosovo-Befreiungsarmee« UCK, die vom BND unterstützt wurde. Wichtige Anführer der UCK sind ja damals in der BRD gewesen, hier ausgebildet und zum Teil vom BND angeworben worden. Finanzielle Mittel sind auch den Albanern zur Verfügung gestellt worden, um den dortigen Geheimdienst zu modernisieren. Das Einfallstor Albanien spielte bei der Vorbereitung des Kosovo-Krieges eine erhebliche Rolle. Die deutsche Luftwaffe war mit 14 Aufklärungs- und Kampfflugzeugen am Krieg beteiligt. Sie flog 428 Einsätze und setzte unter anderem 200 Raketen ein.

Wie würden Sie die Rolle des BND beim NATO-Krieg gegen den Irak bewerten?

Auch beim NATO-Angriff auf den Irak, der ja nach den Worten des damaligen Kanzlers Gerhard Schröder ohne die Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist, hatte der BND die Finger im Spiel. Tatsache ist, daß zur Zeit des Bombenangriffs drei BND-Mitarbeiter in der französischen Botschaft stationiert waren, um Bombenziele auszumachen. 130 solcher Informationen wurden der BND-Zentrale beziehungsweise der US-Verbindungsstelle zugeleitet.

Laut BND wurden nur die Koordinaten für Ziele durchgegeben, die auf keinen Fall bombardiert werden sollten – wie etwa diplomatische Vertretungen.

So lügt es sich der BND in seiner offiziellen Darstellung zurecht. Der US-General James Marks, damals Leiter des Aufklärungsstabes der Bodentruppen im Irak, hat die Informationen der Deutschen als wertvoll für die Kampfhandlungen bezeichnet. Darüber hinaus hat der BND durch Fehlinformationen an die amerikanische Seite auch erst einen wesentlichen Anlaß für diesen Krieg geliefert, indem er die Aussage eines betrügerischen Agenten mit dem Decknamen »Curveball« für bare Münze nahm, der behauptete, die beweglichen Chemielabore im Irak seien in der Lage, Massenvernichtungswaffen herzustellen. Und das war ja die hauptsächliche Begründung für den Überfall durch die NATO. Der damalige US-Außenminister Colin Powell entschuldigte sich später für diese Aussage vor der UNO – im Gegensatz zum BND, der den Amerikanern die Bedenken verschwiegen hatte, die es gegen diesen Agenten offensichtlich gab. Statt dessen wurde dieser Agent 2008 mit der deutschen Staatsangehörigkeit belobigt.

Steckt dahinter nun aus Ihrer Sicht Strategie oder Dummheit?

Das ist schwer zu beantworten. Es kann ein Höchstmaß an Fahrlässigkeit gewesen sein, diese Information nicht zu überprüfen. Ein Komplott zwischen dem BND und der CIA ist allerdings nicht auszuschließen. Dieser Agent hat später selbst bestätigt, daß es beim BND von Anfang an erhebliche Zweifel gab.

Es gibt also eine immer stärkere Integration des BND in Kriegsvorbereitungen. Ein weiteres Beispiel ist Afghanistan. Das hat mich natürlich auch bewegt, mich mit dem neuen BND zu beschäftigen. Der letzte, vielleicht auch sehr wichtige Grund ist, daß allem Anschein nach der BND im großen Konzert der Geheimdienste mitspielen will. Diese Anstrengung zeigt sich nicht nur in der Größe seiner neuen Dienststelle in Berlin, sondern zum Beispiel auch an der technischen Aufklärung. Die elektronische Aufklärung soll ja in Pullach verbleiben, man spricht von 750 bis 1500 Leuten.

Nach dem Wegfall der DDR, die das Hauptobjekt der Beobachtung durch den BND war, und dem Wegfall des sozialistischen Lagers war auch die Existenzbegründung des BND weitgehend verschwunden. Tatsache ist jedoch, daß der BND heute etwa 100 Residenturen in der gesamten Welt besitzt, also etwa auf gleicher Augenhöhe mit den amerikanischen und den russischen Diensten ist. Es ist sicher keine Phantasie, daß es starke Bestrebungen gibt, den BND zur geheimdienstlichen Weltmacht auszubauen.

Inwieweit geschieht das Ihrer Meinung nach in Konkurrenz zu den USA?

Zunächst mal gibt es da sehr intensive Partnerschaftsbeziehungen. Man darf nicht vergessen, der BND, der ja aus der Organisation Gehlen hervorgegangen ist, hatte praktisch seine Geburtsstunde in den USA. Es gehörte zur Strategie des US-Imperialismus, den BND als Hauptverbündeten in Europa aufzubauen. Die Residenten des BND in den USA sind immer führende Leute des BND gewesen; es gibt einen florierenden Informationsaustausch zwischen beiden Diensten. Vor allem, was die antikommunistische Grundhaltung betrifft, herrschtvöllige Übereinstimmung zwischen ihnen. Ihr Vorgehen ist abgestimmt, wenngleich es in amerikanischen Diensten zunehmend Bedenken gibt, daß hier in Europa mit dem BND ein wirklich ernstzunehmender Konkurrent heranwächst.

Auf der anderen Seite ist die Geschichte des BND in den letzten Jahren durch Pannen und Pleiten gekennzeichnet. Das hat natürlich auch Bedenken bei den Partnerdiensten hervorgerufen, die fürchten, daß Informationen, die sie dem BND übergeben, aufgrund dessen unse­riöser Arbeitsweise in falsche Hände gelangen könnten. Aber vordergründig sind es immer noch partnerschaftliche Beziehungen, auch im gemeinsamen Drang nach Osten. Der BND hat ja unmittelbar nach der »Wende« in kürzester Zeit 18 neue Residenturen in ehemals sozialistischen Ländern gegründet und enge Beziehungen zu den dort neu entstandenen Geheimdiensten aufgenommen. Vor allem in den neu entstandenen Staaten der ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien und im Kaukasus.

Zu den Informationen, die in falsche Hände gelangen: Was ist aus Ihrer Sicht vom Verschwinden der Baupläne für Gebäudeteile der neuen BND-Zentrale zu halten?

Das paßt eben in die Serie von Pleiten und Pannen des BND. In meinem Buch habe ich diesen Abschnitt »permanente Krise des BND« genannt. Das ist auf einer Riesenbaustelle passiert, wo mehrere, auch ausländische Firmen arbeiteten. Um so wichtiger wäre es gewesen, besonders sorgfältig mit den Unterlagen umzugehen. Es war wirklich eine enorme Schlamperei, die dem BND nicht gerade zur Ehre gereicht. Über den Wert dieser Unterlagen wird allerdings gestritten. Der BND sagt, die sind eigentlich nicht so wichtig und betreffen vor allem Nebengebäude. Aber die Erfahrung sagt, daß auch aus Teilunterlagen wichtige Erkenntnisse über das Sicherheitskonzept sowie Fragen des Baumaterials und der Kabelführung gezogen werden können. Genauer könnte man das einschätzen, wenn man wüßte, was das genau für Unterlagen waren. Aber wir haben sie nicht, um das mal zu sagen. Aber nachdem der frühere BND-Präsident, Herr Uhrlau, kurz vorher verkündet hat, daß nun die Zeit der Pleiten und Pannen vorbei sei, ist das natürlich eine besondere Blamage. Es ist ausgesprochen niederträchtig, dann auch noch die Schuld bei anderen zu suchen. Auf dieser Baustelle ist nichts passiert und passiert bis heute nichts, das die Sicherheitsabteilung des BND nicht vorher absegnet.

Was war aus Ihrer Sicht ein BND-Skandal, den man nicht als Panne bezeichnen kann?

Eines der besten Beispiele ist sicherlich der Plutoniumskandal 1994, hinter dem von Anfang an Absicht steckte. Auf Veranlassung des BND wurde damals waffenfähiges Plutonium in einer Lufthansa-Maschine aus Moskau illegal nach Deutschland eingeführt, um den inszenierten Schmuggel in einer spektakulären Aktion am Münchner Flughafen auffliegen zu lassen. Nach dem Verlust des Warschauer Pakts als Feindbild sollten damit das neue Tätigkeitsfeld und die Wirksamkeit des BND demonstriert werden – und das auch noch unmittelbar vor den bayerischen Landtagswahlen.

Stellen Sie sich manchmal vor, wie es wäre, in einer BND-Unterlagenbehörde stöbern zu können, einer Behörde, wie es sie für die Unterlagen des MfS gibt?

Das klingt jetzt ein bißchen nach »Was hättet Ihr denn als Sieger der Geschichte getan?« Viel wichtiger erscheint es mir, daß man dort Material finden würde, welches Aufschluß über die historische Entwicklung beider deutscher Staaten geben würde. Eine objektive Aufarbeitung der Geschichte ist nur möglich, wenn auch die wichtigsten Akten von BND, Verfassungsschutz und MAD offenliegen.

Darauf zielt die Frage auch ab.

Wenn sämtliches Material, das wir über den BND gesammelt hatten, und das bei der Auflösung der DDR an die Gauck-Behörde übergeben wurde, dort auch ausgewertet worden wäre, könnten wir heute in der Aufarbeitung der deutschen Geschichte schon weiter sein. Innenquellen der Hauptverwaltung Aufklärung der DDR und ihrer Partnerdienste haben den BND ja zeitweise, wenn man so will, fast wirkungslos gemacht. Die DDR hatte eine Menge Material über ihn gesammelt. Tatsache ist, daß das »Gesetz über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR« auch die Sicherung dieser Unterlagen vorsieht. Allein die Fachabteilung für die Untersuchungsarbeit des MfS hatte 27 Leitz-Ordner mit umfangreichen Dossiers über die Arbeit des BND übergeben. Diese Akten sind angeblich noch da, aber gesperrt. Das hat auch in letzter Zeit immer wieder die Aufarbeitung der Nazivergangenheit von BND-Mitarbeitern der ersten Generation behindert. Es lohnt sich, einmal gegenüberzustellen, wieviel Material dagegen über die Arbeit des MfS und seiner Inoffiziellen Mitarbeiter an die Presse gegangen ist. Wenn die BND-Akten noch vorhanden sind, muß man davon ausgehen, daß besonders brisantes Material aussortiert wurde.

Sie selbst waren 37 Jahre lang MfS-Mitarbeiter, davon überwiegend in der Aufklärung, also in der DDR staatstragend. Seit gut zwei Jahrzehnten gehören Sie, salopp gesagt, zu den Bösen. Werden Sie oft auf Reue angesprochen, oder haben Sie tatsächlich etwas zu bereuen?

Wenn man davon ausgeht, daß es unser oberstes Anliegen war zu verhindern, daß aus diesem gefährlichen kalten Krieg ein heißer Krieg wird, was ja bis zur Auflösung der DDR gelungen ist, und wenn ich überlege, mit welchen Mitteln und Methoden wir das in der Aufklärung geschafft haben – nämlich ohne Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen zu begehen –, dann hat unsere Arbeit einen Sinn gehabt. Vielleicht können wir sogar auf das eine oder andere stolz sein. Wenn ich zum Beispiel an unseren Einsatz in Chile denke, wo wir nach dem Militärputsch und dem Tod des demokratisch gewählten Präsidenten Allende alles getan haben, um Linke und Patrioten illegal auszuschleusen oder ihnen offiziell zur Ausreise zu verhelfen, um sie vor der Verfolgung durch die Pinochet-Diktatur zu bewahren. Damit hat die Bundesrepublik äußerste Zurückhaltung geübt. Auf solche Dinge kann man durchaus stolz sein.

Schuld ist immer etwas persönliches; sowohl juristische als auch moralische Schuld. Und ich fühle mich für diese Tätigkeit nicht schuldig – weder juristisch noch moralisch.

Sie waren in der Auslandsaufklärung tätig. Wie beurteilen Sie heute die innenpolitische Rolle des MfS?

In der DDR gab es neben positiven Entwicklungen und dem Wohl der Menschen dienenden Ergebnissen der Politik, die durchaus auch für eine Übernahme und Weiterführung im vereinigten Deutschland prüfenswert gewesen wären, nicht wenige negative und den Interessen Volkes entgegenstehende Entwicklungen und Erscheinungen. Eine einseitige Darstellung, so wie es sie in dem kürzlich gesendeten Fernsehfilm »Der Sturz« zum Beispiel auf dem Gebiet der Volksbildung gegeben hat, entspricht zwar den Klischees der gegenwärtigen Aufarbeiter und Meinungsmacher, hat aber mit Objektivität und Wahrheit nichts zu tun.

Im Nachhinein fällt eine Bewertung der Ursachen des Untergangs der DDR natürlich leichter. Die Nichtbeachtung solcher Grundsätze der Menschen- und Staatsführung wie Aufklärung statt Repression oder Sympathisanten und Freunde gewinnen, statt sich Feinde zu machen, waren Folge eines fehlerhaften Denkens und führten zu dem bekannten Ergebnis. Aus der Sicherheitskonzeption, die es in der DDR gab, sind Maßnahmen abgeleitet worden, die aus meiner Sicht in diesem Umfang nicht gerechtfertigt waren. Allerdings gab es in Deutschland auch eine historische Ausnahmesituation, die man dabei nicht ausblenden kann. Es war von Anfang an Staatsdoktrin der BRD, daß die DDR beseitigt werden müsse. Die DDR mußte darauf reagieren.

Was war dann aus Ihrer Sicht der Hauptgrund für den Untergang der DDR?

Die Abhängigkeit von der Sowjetunion. Die DDR hätte ohne sie nicht existieren können. Wir waren von Anfang an ein Kind der Sowjetunion, schon aufgrund der Tatsache, daß sie uns im Rahmen der Anti-Hitler-Koalition vom Faschismus befreit hat. Leider war die DDR auch später nur mit der Sowjetunion lebensfähig. Deren Ende besiegelte auch das Ende der DDR. Darüber hinaus gab es eine Menge hausgemachter Probleme, aber diese Abhängigkeit war das wesentliche.

Der große Knall ist erst einmal ausgeblieben, weil sich die DDR-Führung gewaltfrei von der Macht getrennt hat. Waren Sie überrascht, wie schnell es danach wieder zu deutschen Kriegsbeteiligungen kam?

Ich war schon erstaunt, daß es keine zehn Jahre dauerte, bis mit deutscher Beteiligung Jugoslawien bombardiert wurde, nachdem Deutsche bereits zwei Weltkriege angezettelt hatten. Als 1968 Truppen des Warschauer Pakts in Prag aufmarschierten, hat man die DDR bewußt herausgehalten, weil man sich sehr genau überlegt hat, welche deutschen Besonderheiten es gibt.

Wie haben Sie eigentlich als Jugendlicher das Ende des Zweiten Weltkriegs erlebt?

Mein Vater war in sowjetischer Kriegsgefangenschaft, und wir waren in Chemnitz, später Karl-Marx-Stadt. Wir waren zwei Mal ausgebombt worden und hatten alles verloren. Auch die Nachkriegszeit, besonders der Winter von 1945 auf 1946, war sehr hart. Diese Entbehrungen waren für mich ausschlaggebend, um eine Wiederholung verhindern zu wollen. So wurde ich sehr schnell Mitglied der FDJ.

Warum waren Sie nicht böse auf »die Russen«, wie viele, die im Faschismus aufgewachsen waren und Väter in sowjetischer Kriegsgefangenschaft hatten, wie etwa der neue Bundespräsident Joachim Gauck? Was war ausschlagebend, warum Sie kein Antikommunist wurden?

Wir waren einfach froh, daß der Krieg zu Ende war und wir vom Faschismus befreit waren.

Interview: Claudia Wangerin

* Aus: junge Welt, Samstag, 7. April 2012


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