Fußläufige Nähe
Das neue Hauptquartier des BND wird nach dem Flughafengebäude Tempelhof das zweitgrößte Gebäude Berlins. Man braucht es für neue strategische Ziele
Von Gotthold Schramm *
Anfang 2015 soll der neue Sitz des Bundesnachrichtendienstes (BND) in Berlin bezogen werden. Seine Dimensionen sind gigantisch und entsprechen dem Geheimdienst einer Großmacht. Gotthold Schramm, Mitarbeiter des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit von 1952 bis 1990, hat im Verlag edition ost soeben ein Buch unter dem Titel »Die BND-Zentrale in Berlin. Beobachtungen« (192 Seiten, 14,95 Euro) herausgebracht. Die "junge Welt" veröffentlichte daraus einen Auszug, den wir im Folgenden dokumentieren:
Die Entscheidung, die Zentrale des BND in die Hauptstadt zu verlegen und alle Dienststellen am Regierungssitz zu konzentrieren, wurde kurz nach der Jahrtausendwende getroffen. Binnen zehn Jahren sollte die Verlegung erfolgt sein. Im August 2005 wurde für knapp 50 Millionen Mark vom Bund ein Grundstück in Berlin-Mitte erworben, nachdem kurzzeitig auch das einstige DDR-Staatsratsgebäude mit dem dahinter liegenden Areal in der Diskussion gewesen war. Dort, an der Chausseestraße, befand sich bis in die 90er Jahre ein Stadion, das abgerissen wurde, nachdem sich Berlin 1992 offiziell um die Ausrichtung der Olympischen Spiele im Jahr 2000 bewarb. An dieser Stelle, so hieß es, sollte eine neue Sportstätte entstehen. Nachdem im September 1993 jedoch das australische Sydney den Vorzug erhielt, hatte sich auch dieser Plan erledigt. Jahrelang bewohnten nur Wildkaninchen die Brache. (…)
Vertrauensbildung
Die Entscheidung über die Verlegung der BND-Zentrale erfolgte am 10. April 2003 im sogenannten Sicherheitskabinett. Das Parlament wurde erst später darüber informiert, daß der BND bis 2008 nach Berlin umziehen werde. Der Beschluß löste bei Bekanntwerden deutschlandweit heftige Diskussionen aus. Zunächst rebellierten die CSU und die bayerische Landesregierung, was natürlich nahelag. Die Lokalpatrioten bezeichneten den geplanten Umzug populistisch als »aberwitzige Verschwendung von Steuergeldern«. Der Bundesrechnungshof stützte diese Position. Bliebe Pullach, müßte es saniert werden, das kostete etwa 400 Millionen Euro – etwa ein Viertel von dem, was die Verlegung nach Berlin den Steuerzahler kosten wird. (…) Die rot-grüne Bundesregierung hielt dennoch an ihrer Absicht fest. Ein Geheimdienst müsse in unmittelbarer Nähe der Regierung stationiert sein, um schnell und persönlich informieren zu können, hieß es zu Begründung. Der BND-Präsident August Hanning (1998–2005) nahm dieses Argument auf und brachte die Notwendigkeit der »fußläufigen Nähe« auf. Diese sah er bei einer »Entfernung von 1,5 Kilometer« zum Bundeskanzleramt. Offenkundig vertraute man den modernen nachrichtendienstlichen und sonstigen Verbindungsmitteln nicht. Wie kommen damit die Amerikaner und die Russen klar, drängt sich die sarkastische Frage auf. Deren Geheimdienstzentralen befinden sich bekanntlich an der Peripherie von Washington und Moskau. Noch alberner ist das Argument, mit dem Umzug erfolge eine »Öffnung des Dienstes« in die Gesellschaft. »Gestörtes Vertrauen«, so BND-Präsident Ernst Uhrlau (2005–2011), werde dadurch wiederhergestellt, wenn man die Zentrale mitten in die Stadt lege. Seit wann ist das Ver- oder Mißtrauen in einen Geheimdienst von dessen Dienstsitz abhängig? Uhrlau ließ anklingen, an welche »vertrauensbildende Maßnahmen« er denke. So würde man in einem Shop BND-Kochbücher, Designer-Schürzen, wasserdichte Pflaster, Golfbälle und Taschenmesser mit dem Logo »BND« sowie – wie witzig – Schlüpfer mit der Aufschrift »Nur für den Dienstgebrauch« oder »Verschlußsache« dem interessierten Publikum offerieren. Auch seien T-Shirts mit der Aufschrift »Spezialagent im Einsatz« in Vorbereitung. (…) Die Berliner Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (2006–2011) verteidigte die Standortentscheidung mit dem Kalauer, mit der Niederlassung in der Berliner Mitte wäre der BND auch in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Sie freue sich über neu entstehende Kneipen und Cafés, über hochwertige Wohnungen und Townhouses. Es entstünde im Umfeld der Zentrale eine neue Berliner Topadresse »für den gehobenen Mittelstand«. (…)
Flüßchen im Grünzug
Als die SPD-Senatorin die Perspektive des Gebietes beklatschte, saß in der Berliner Regierung auch die Linkspartei. Dort fielen nicht alle Genossen in den Jubel ein. Die MdB Gesine Lötzsch und Ulla Jelpke beispielsweise hatten aus grundsätzlichen Erwägungen gegen den Umzug und gegen die Expansion des BND votiert. Ulla Jelpke erklärte in der Tageszeitung junge Welt: »Die Verlagerung des BND von Pullach nach Berlin ist Teil einer Strategie, die Militarisierung der Außenpolitik mit der Repression im Inneren zu verbinden.« Die Mehrheit der Parlamentarier der Linkspartei hat sich jedoch der schweigenden Mehrheit im Lande zugesellt. Man nimmt klaglos die Tätigkeit der Geheimdienste hin, diese gehören zum politischen System der Bundesrepublik, das man in toto offenkundig akzeptiert.
Mehr noch. MdB Stefan Liebich, Ex-Landeschef der PDS in Berlin und Fraktionsvorsitzender im Abgeordnetenhaus, suchte nach der Ankündigung des Umzugs Kontakt zu BND-Präsident August Hanning und dem Geheimdienstkoordinator Ernst Uhrlau. Gemeinsam mit zwei weiteren PDS-Mitgliedern konferierte er mit den beiden an in einem bis heute verschwiegenen Ort. Das zweistündige Gespräch selbst blieb nicht geheim, es wurde darüber im Neuen Deutschland berichtet (»Mit einem Bächlein vor der Tür ist der BND ganz liebenswert«, 15./16. Januar 2004). Delegationsleiter Liebich habe, so heißt es dort, den Umzug aller Bundesbehörden nach Berlin, so auch des BND, begrüßt. Es sei zudem besser, eine Stadtentwicklungsdebatte als eine Geheimdienstdiskussion zu führen. Der BND sei nun einmal existent, also müsse man sich auch Gedanken machen, wo sein Standort ist. Wichtig sei, die verrohrte Südpanke – jenes kleine Rinnsal unter der Erde – wieder an das Tageslicht zu bringen und es zum Flüßchen im »Grünzug« zu machen.
Nächst dem Flughafen Tempelhof ist das BND-Objekt das größte Bauvorhaben in der Geschichte Berlins. Der Flughafen, Anfang der 40er Jahre errichtet, war einige Jahre sogar das größte Objekt der Welt, ehe es diesen Spitzenplatz an das Pentagon in Washington verlor. Das Baugelände an der Chausseestraße ist rund dreizehn Hektar groß. Darauf setzte man einen Riegel von 280 Meter Länge und mit Vorsprüngen bis zu 150 Meter Breite. Die Fassade aus Stahl und Naturstein ragt dreißig Meter in die Höhe. Innen gibt es mehr als eine Viertelmillion Quadratmeter Nutzfläche in rund 2800 Büros. Dort werden etwa 4000 Geheimdienstler ihren Schreibtisch haben.
Kern dieses Bürokomplexes ist ein Logistikzentrum (…). Daneben gibt es noch eine Schule nebst Internat, das Besucherzentrum, ein Parkhaus, das Heizkraftwerk und ein Café mit Verkaufsshop, (…). Es wurden 135000 Kubikmeter Beton (fast sechsmal soviel wie beim Berliner Fernsehturm), 20000 Tonnen Stahl (doppelt soviel wie beim Pariser Eiffelturm) und 14000 Fenster verarbeitet.
Im Oktober 2006 erfolgte der erste Spatenstich, am 7. Mai 2008 die Grundsteinlegung mit 400 Gästen, und am 25. März 2010 wurde mit immerhin schon 1600 Gästen Richtfest gefeiert. Innenminister Thomas de Maizière erklärte, daß damit die baulichen Voraussetzungen für den erfolgreichen Abschluß des eingeleiteten Reformprozesses im BND geschaffen würden.
Die Öffentlichkeit wurde, wie gemeinhin hierzulande üblich, über die Kosten im Unklaren gelassen. Zunächst kaufte der Bund das Grundstück vom Land Berlin für 47,6 Millionen Euro. Für Baukosten wurden laut Bundesrechnungshof 720 Milionen Euro veranschlagt. Hinzu kamen 473 Millionen Euro für die technische Ausstattung. Vorgesehen ist der Ortswechsel für 2500 Mitarbeiter aus dem Münchener Raum, etwa 1000 befinden sich bereits in Berlin. Geplant ist die Neueinstellung von etwa 1500 Personen. Der Umzug soll pro Person 10000 bis 15000 Euro kosten, also noch einmal 30 Millionen. Das bis zum Bezug des Neubaus an der Chausseestraße genutzte Quartier am Gardeschützenweg in Berlin-Zehlendorf (25000 Quadratmeter Nutzfläche, etwa 1400 Mitarbeiter) wurde zuvor mit 120 Millionen Euro saniert. Summa summarum: Die Kosten für den Umzug des BND betrugen bereits vor der endgültigen Fertigstellung des Hauptquartiers rund 1,4 Milliarden Euro. Die veröffentlichten Schätzungen der Gesamtkosten, welche zwischen 1,5 bis zwei Milliarden liegen, sind darum keineswegs aus der Luft gegriffen.
Außerdem ist entschieden, daß die elektronische Funkaufklärung mit dem Führungszentrum (von 750 bis zu 2000 Mitarbeitern ist die Rede) in Pullach verbleiben wird. Bundeskanzlerin Merkel hatte mit dieser Zusage den bayerischen Ministerpräsidenten Stoiber geködert, weil er gegen die Verlegung des BND räsoniert hatte.
(…) Man ahnt, wie viele Schulen, Kindergärten, Schwimmhallen, Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen hätten dafür gebaut oder saniert werden können. (…)
* Aus: junge Welt, 21. März 2012
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