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Friedenspreise und Preisträger des Jahres 2000

Würdige Preisträger und einige Ungereimtheiten

Preise zu vergeben, ist manchmal ein undankbares Geschäft. Geht es gar um Auszeichnungen, die den Frieden bzw. das Bemühen um Frieden zum Gegenstand haben, dem höchsten Gut menschlichen Zusammenlebens, scheiden sich häufig die Geister. Kritik musste sich in den letzten Jahren auch das prominenteste Preisgericht der Welt, das Nobelpreis-Komitee, mehrfach gefallen lassen. So war beispielsweise schwer zu vermitteln, warum mit Nelson Mandela zugleich dessen Widersacher De Klerk den Friedensnobelpreis entgegennehmen durfte. Unbefriedigend war auch die Preisvergabe an die nordirischen Politiker John Hume und David Trimble (1998), weil dem Repräsentanten der republikanischen Bewegung, Gerry Adams, ohne den es das Karfreitagsabkommen nicht gegeben hätte, der verdiente Preis vorenthalten wurde. Auch auf die Preisverleihung 2000 fiel ein Schatten. Zwar wurde mit dem (süd-)koreanischen Präsidenten Kim Dae Jung verdientermaßen ein Mann ausgezeichnet, der seine lebenslange Arbeit "für Demokratie und Menschenrechte" und für Frieden und "Versöhnung" mit (Nord-)Korea einsetzte. Seine "Sonnenscheinpolitik" hatte großen Anteil an der Annäherung der beiden, seit dem Koreakrieg (1950-1953) tief verfeindeten Nachbarstaaten. Kim Dae Jung hatte sich auch unschätzbare Verdienste erworben im Kampf gegen die (süd-)koreanische Diktatur, die ihn mehrmals für Jahre ins Gefängnis brachte. Nach Bekanntwerden der Entscheidung des Nobelpreis-Komitees sagt Kim, er wolle den Ruhm mit allen teilen, die den Frieden und die Versöhnung auf der koreanischen Halbinsel voranbrächten. Er wird dabei auch an den Führer der (nord-)koreanischen Volksrepublik Kim Jong Il gedacht haben. Schließlich war er es, der den entscheidenden Schritt getan hat, der im Juni zum Friedensgipfel in der nordkoreanischen Hauptstadt Pjöngjang führte. In Oslo allerdings ging er leer aus.

US-Präsident Bill Clinton ging nicht leer aus. Er erhielt zwar keinen Nobelpreis, aber immerhin den angesehenen "Karlspreis" der Stadt Aachen. Auch dieser Preis steht für Verdienste um Frieden, Völkerverständigung und die europäische Einigung. Dass Bundeskanzler Schröder in seiner Laudatio für den Preisträger ausgerechnet dessen "Führungskraft" in den "Balkankrisen" (auch eine nette Umschreibung für den Kriegseinsatz in Bosnien und für den NATO-Krieg gegen Jugoslawien) hervorhob, dürfte die Idee des europäischen Projekts als einem Friedensfaktor auf Jahre hinaus diskreditieren. Die Preisstifter - ein Gremium aus Wirtschaftsführern, Bänkern und Politikern - wird das aber wohl nicht weiter stören.

Von einem anderen Aachener Preis, dem "Aachener Friedenspreis", soll daher jetzt die Rede sein. Er wird seit 1988 jeweils zum Antikriegstag (1. September) an Personen oder Organisationen verliehen, die sich "von unten" für Gewaltlosigkeit, Zivilcourage und Menschlichkeit einsetzen. Die Wahl 2000 fiel auf zwei Gruppen, die sich den Preis gleichermaßen verdient haben. Die Hilfsaktion "Reconstruindo a Esperança" aus Mozambique wurde 1996 gegründet und kümmert sich um die Therapie und soziale und familiale Reintegration ehemaliger Kindersoldaten. Dabei versucht sie, moderne psychotherapeutische Ansätze mit Methoden der traditionellen afrikanischen Heilkunst zu verknüpfen. Die andere Preisträgerin ist die jugendliche Gruppe "Aktion Noteingang". Sie wurde 1998 im brandenburgischen Bernau gegründet und ist seither in mehreren Städten der Bundesrepublik aktiv. "Aktion Noteingang" organisiert praktische Hilfe für rassistisch Verfolgte in Notsituationen, indem sie ihnen z.B. Schutz anbietet. Darüber hinaus will sie Geschäftsinhaber, Discothekenbesitzer und Politiker zur Teilnahme gewinnen, etwa dadurch, dass diese gut sichtbare gelbe Aufkleber mit dem Notausgang-Männchen an Tür oder Schaufenster anbringen.

Einen guten Griff tat diesmal auch der Börsenverein des deutschen Buchhandels mit der Verleihung des angesehenen "Friedenspreises" an die algerische Schriftstellerin Assia Djebar. Die Themen ihrer Bücher sind das Leben der algerischen Frauen, der Krieg, auch der grausame Kolonialkrieg Frankreichs in Algerien, sowie der Terror der vergangenen Jahre und Jahrzehnte. Indem sie den Frauen und Widerstandskämpferinnen, den Intellektuellen und Stummen, den Träumerinnen und - vor allem - den unzähligen Opfern eine Stimme verleiht, handeln ihre Romane immer auch von der Gewalt von Menschen gegen Menschen und von der Vision einer friedlichen, auf Demokratie, wirklicher Gleichberechtigung und kultureller Autonomie gegründeten Gesellschaft.

Der alternative Nobelpreis, der seit 1980 von der "Stiftung für Richtiges Leben" vergeben wird, ging 2000 an den indonesischen Menschenrechtler Munir. Als Anwalt der bekannten Rechtshilfeorganisation LBH (Lembaga Bantuan Hukum) und als Gründungsmitglied der Kommission für Verschwundene und Opfer der Gewalt (KONTRAS) setzte er sich zu Zeiten des Suharto-Regimes für die politisch Verfolgten ein. Nach dessen Sturz setzte er den Kampf fort und unterstützte in verschiedenen Regionen Indonesiens (Molukken, Aceh) die Opfer militärischer und paramilitärischer Gewalt. Dabei legt er Wert auf die Feststellung, dass es sich bei den Sezessionsbestrebungen in dem Vielvölkerstaat nicht um ethnische oder religiöse Konflikte handelt, sondern dass in der Regel Provokateure von Suharto-Anhängern und des Militärs der "Neuen Ordnung" die Unruhen entfachen und für ihre politischen Zwecke ausnutzen.

Der "Göttinger Friedenspreis" wurde im vergangenen Jahr an die Darmstädter Naturwissenschaftlergruppe IANUS verliehen. IANUS steht für "Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit", erinnert aber auch an die Janusköpfigkeit (natur-)wissenschaftlicher Forschung und Technik. Wichtige Themen von IANUS sind auch wichtige Themen für die Friedensbewegung. Um nukleare Abrüstung geht es beispielsweise, wenn sich IANUS an der Erarbeitung einer internationalen Konvention zur Ächtung der Atomwaffen beteiligt. Auch kritisierte die Gruppe die bayerische Staatsregierung, weil sie daran festhält, den geplanten Garchinger Forschungsreaktors FRM-II mit waffenfähigem Brennstoff, hochangereichertem Uran (HEU) betreiben zu wollen. Konventionelle Abrüstung - ein weiteres Thema von IANUS - soll dadurch vorangetrieben und unumkehrbar gemacht werden, dass sie auch "präventiv" erfolgt, d.h. es muss schon an der Technologieentwicklung angesetzt werden und militärische Forschung rechtzeitig unterbunden werden. Der Göttinger Friedenspreis ist der jüngste der hier aufgeführten Preise. Er wurde 1999 zum ersten Mal vergeben (Preisträger: Dieter Senghaas) und soll an das Lebenswerk des Göttinger Wissenschaftsjournalisten Roland Röhl erinnern, der 1997 an Krebs gestorben war und seinen Nachlass für die Bildung des Stiftungsvermögens zur Verfügung stellte. Röhl hatte sich zu Lebzeiten vor allem mit Fragen der Sicherheitspolitik und der Konflikt- und Friedensforschung befasst und war auch der Friedensbewegung eng verbunden.

Aus: Friedens-Memorandum 2001, hrsg. vom Bundesausschuss Friedensratschlag, Kassel 2001, S. 56-58.

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