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Die Welt von Dante

Zum Tod des britischen Dramatikers Harold Pinter

Von Hans-Dieter Schütt *

Seine Rede, als er im Dezember 2005 den Nobelpreis für Literatur erhielt, nannten einige »unangemessen«. Wie überhaupt die Preisvergabe an ihn. In dieser Rede forderte Harold Pinter Bush jr. und Blair als Massenmörder vor einen internationalen Gerichtshof. Der Preisträger war nicht anwesend in Stockholm. Er verlas, was er zu sagen hatte, per Video. Man sah ihn im Rollstuhl, eine Wolldecke über den Knien. Sprechen war ihm eine Qual. Wie die Wahrheit, die zur Sprache kam Ein Ankläger, das Bild auf den großen Leinwänden hatte etwas Ikonografisches: Tiefe Schwäche und Kraftanfall zugleich. Ausschluss aller Zwischentöne; das Lärmschlagen als letzter, heiserer Reflex auf eine Welt, in der Bosch und Dante ihre Fantasien noch immer bestätigt fänden.

Der 1930 geborene Brite Pinter gehörte ab Mitte des vergangenen Jahrhunderts zu den erfolgreichsten Dramatikern Europas. Ein geradezu schneidender Streiter gegen Gewissheitsrezepte für Weltgesetze. In seinen Stücken (»Die Geburtstagsfeier«, »Der Hausmeister«, »Alte Zeiten«) zerstob die Selbstüberschätzung der geschichtlichen Therapeuten und Prognostiker. Ein böser Kritiker. Nicht Beckmesser, eher Beckettmesser. Dialoge, die zum Verstummen tendierten, zur Unfähigkeit, sich miteinander zu verständigen. »Pinteresk« wurde zur Metapher für diese Ästhetik der beredten Sprachlosigkeit und Verwirrung. Seine Schauspiele, das war: Vorführung ohne jede Deutung. Je mehr sich seine Gestalten um Klarheit mühten, desto unklarer wurde alles. Mit der Anarchie der Gefühle vertrieb er den erklärbaren, vernunftseligen Menschen von der Bühne. Er war der bittere, aufstörende Fragezeichen-Dramatiker, der irgendwann dazu überging, auch den Boulevard, das Fernsehen zu bedienen. Alles hat eben seine Zeit. Kraft lässt nach. Aber mit erwähntem Feldzug der US-Amerikaner und der Briten gegen Irak wurde er spät noch einmal zornig, nannte die USA »ein vergoldetes Monster«.

Für den Regisseur Peter Zadek ist Pinter »der einzige große noch lebende Dramatiker des 20. Jahrhunderts« gewesen. Als der, auf den Irak-Krieg reagierend, einen kurzen, harten Gedichtzyklus schrieb, »Krieg«, übertrugen Zadek und seine Frau, die Schriftstellerin Elisabeth Plessen, diesen aufgewühlten lyrischen Zornesausbruch ins Deutsche. »Man kann keine Worte mehr finden/ Alles, was bleibt, sind die Bomben/ Die platzen aus unseren Köpfen/ Alles, was bleibt, sind die Bomben/ Die saugen uns aus bis aufs Blut/ Alles, was bleibt, sind die Bomben/ Die polieren die Schädel der Toten.«

Nun ist Harold Pinter im Alter von 78 Jahren seinem Krebsleiden erlegen.

* Aus: Neues Deutschland, 27. Dezember 2008

Michael Billington (The Guardian)

Harold Pinter, who has died at the age of 78, was the most influential, provocative and poetic dramatist of his generation. He enjoyed parallel careers as actor, screenwriter and director and was also, especially in recent years, a vigorous political polemicist campaigning against abuses of human rights. But it is for his plays that he will be best remembered and for his ability to create dramatic poetry out of everyday speech. Among the dramatists of the last century, Beckett is his only serious rival in terms of theatrical influence; and it is a measure of Pinter's power that early on in his career he spawned the adjective "Pinteresque" suggesting a cryptically mysterious situation imbued with hidden menace.

(...)

Pinter was an all-round man of the theatre of a kind we're unlikely to see again: a practical graduate of weekly rep and touring theatre who all the time nursed his own private vision of the universe. And that, in the end, was his great achievement.

Like all truly first-rate writers, he mapped out his own country with its own distinctive topography. It was a place haunted by the shifting ambivalence of memory, flecked by uncertainty, reeking of sex and echoing with strange, mordant laughter. It was, in short, Pinterland and it will induce recognition in audiences for as long as plays are still put on in theatres.

www.guardian.co.uk, Thursday 25 December 2008

Thomas Kielinger in "DIE WELT"

(...) Schon der Neuzehnjährige lässt sich als Wehrdienstverweigerer registrieren, was für ihn glimpflich abgeht, mit einer Geldstrafe. Wenige Jahre später prügelt er sich fast mit einem Pub-Besucher nahe dem Royal Court Theatre in London (wo gerade John Osborne's "Blick zurück im Zorn" Furore macht), weil dieser Gast sich in einer von Pinter überhörten Konversation zu der Meinung versteigt, Hitler sei nicht rücksichtslos genug gegen die Juden vorgegangen. 1996 wird er den Holocaust in seinem Stück "Asche zu Asche" auf "pintereske" Weise thematisieren.

Zorn, Engagement, Wut: Das alles musste der späte Pinter nicht erst "lernen" und so weit vorantreiben, dass es sein künstlerisches Schaffen zu unterwandern begann. Es ist eher so, daß der Dramatiker in seinen jungen Jahren das Politische in sich zu sublimieren verstand in diesen berühmten Dialogen seiner Stücke, wo eine "Pinter-Pause", ein häufig eingeflochtenes Schweigen die Sollbruchstelle der condition humaine aufdeckt, das Aneinander-Vorbeireden, das Nicht-Verstehen, die durchgehende Neigung auch, andere zu beherrschen, in den Floskeln der Alltagssprache so verräterisch versteckt. (...)

www.welt.de, 25.12.2008

Isabella Hager in "DER STANDARD" (Wien)

(...) Ein Stück trug sogar den Titel Schweigen (Silence, 1969): In parallel laufenden Monologen scheitern die Protagonisten an der Erinnerung und an den Worten. Die "Pinter-Pause" etablierte sich als Bezeichnung einer Atmosphäre des Geheimnisvollen, Undurchschaubaren, Grotesken, die nicht so düster wie bei Kafka ist. Der Autor tat diesen Begriff schlicht ab: "Was ich schreibe, ist, was ich schreibe."

Im Frühjahr 2005 dann, nur wenige Monate bevor Harold Pinter der Literaturnobelpreis zugesprochen wurde, verkündete der Dramatiker, er werde keine Theaterstücke mehr schreiben. 29 Dramen seien genug, er habe alle wichtigen Themen bearbeitet. Stattdessen trat Pinter als politischer Kommentator hervor. In seiner Video-Botschaft, die er aus gesundheitlichen Gründen nach Stockholm schicken musste, kritisierte er in harten Worten das "Kriegsverbrecher-Duo" Bush und Blair. Mit seinen besten Empfehlungen solle Bush doch sein Gurken-Sandwich mit einem Glas Blut hinunterspülen.

Zu seinem Werk wollte sich Pinter nie äußern, er weigerte sich, Interpretationen zu liefern. Lediglich zu seinem bekanntesten Stilmittel sagte er: "Es gibt zwei Arten des Schweigens. Eine, bei der kein Wort gesprochen wird. Die andere, wo vielleicht ein Wortschwall verwendet wird. Diese Worte sprechen von der darunter eingeschlossenen Sprache." Er starb am Heiligen Abend in London.

DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27./28.12.2008

Hans-Jürgen Jakobs in "Süddeutsche Zeitung" (Internet-Ausgabe)

(...) 1957 hat er dann sein erstes Theaterstück geschrieben - "The Room" ("Das Zimmer"); im selben Jahr begann er mit "The Birthday Party" ("Die Geburtstagsfeier"). Der große Durchbruch kam 1960 mit dem Stück "The Caretaker" ("Der Hausmeister").

Insgesamt 29 Dramen hat Pinter geschrieben, er war aber auch als Drehbuchautor großer Spielfilme wie "The French Lieutenants's Woman" ("Die Geliebte des französischen Leutnants") oder als TV-Regisseur erfolgreich.

In seinen Theaterstücken bildete Pinter die komplizierte Beziehungswelt der Menschen ab, die unter absurden Umständen leiden und in ihrer Existenz nicht glücklich werden. Sie leiden an sich und den anderen. Pinters Figuren sind Suchende, keine Helden. Es sind Personen wie der alte Davies in "Hausmeister", der sich in die Heimeligkeit eines fremden Zimmers drängt. "Was soll ich machen? Wo soll ich hin?", fragt er.

Das Theater reduzierte Pintzer wieder auf einen geschlossenen Raum, in dem sich Menschen begegnen und entlarven. Fassaden bröckeln, es bleibt die hilflose Existenz. Hier kamen Menschen auf die Bühne, die woanders verschwiegen, verdrängt wurden: Penner, Schläger, raufende Paare, plappernde Selbstdarsteller.

Dann wieder setzte der Autor bewußt Elemente wie Pausen ein - Pinter-Pausen. So wie er erst einmal lange schwieg, als er die Nachricht vom Erhalt des Nobelpreises erfuhr: "Ich bin sprachlos." (...)

www.sueddeutsche.de, 25.12.2008




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