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Die Brüchigkeit der Demokratie. Von Seymour M. Hersh

Dankesrede zur Entgegennahme des Demokratiepreises 2007

Am 26. September 2007 erhielt der prominente US-amerikanische Jornalist Seymor M. Hersh den Demokratiepreis 2007 der "Blätter für deutsche und internationale Politik". Der Preis, der nur alle drei bis vier Jahre verliehen wird, genießt hohes Ansehen. Die letzte Preisträgerin (2003) war die israelische Journalistin Amira Hass, die mit ihre ungewöhnlichen und mutigen Reportagen aus den Palästinensergebieten weltweite Anerkennung genießt.
Seymor M. Hersh sieht die Aufgabe des kritischen Journalismus darin, die Staatsgewalt seines Landes investigativ zu kontrollieren und die Doppelmoral der Herrschenden bloßzustellen. Dies belegen seine großen Reportagen: von der Aufdeckung des Vietnamkriegs-Massakers von My Lai im Jahre 1969 über seine Ermittlungen zur Rolle der CIA und Henry Kissingers in den 70er und 80er Jahren und zum zweiten Golfkrieg in den 90er Jahren bis zur Aufklärung des Folter-Skandals im irakischen Abu-Ghraib-Gefängnis im Jahr 2004.
Im Folgenden dokumentieren wir seine Dankesrede bei der Preisverleihung. Die Laudatio von Hans Leyendecker und die Einführungsrede des Blätter-Redakteurs Albert Scharenberg haben wir hier dokumentiert: "Ein Stachel im Fleisch der Mächtigen ...".



Die Brüchigkeit der Demokratie

Von Seymor M. Hersh

Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, mit dem Allerwichtigsten anfangen. Die schlechte Nachricht lautet heute: King George Bush dem Zweiten verbleiben noch 481 Tage Regierungszeit. Und die gute Nachricht? Morgen früh, wenn wir aufwachen, wird es ein Tag weniger sein. Hoffnungsträchtigeres hat die gute Nachricht, fürchte ich, nicht zu bieten.

Es tut mir als einem loyalen Bürger Amerikas weh, vor einem ausländischen Auditorium stehend meine Regierung und deren Führung derart kritisch behandeln zu müssen. Und ich stelle mit allem Nachdruck fest: Es sind der Präsident und seine Berater in Washington, die an ihren Schreibtischen sitzen und junge Männer und Frauen in den Krieg schicken – jenen gilt meine Kritik, nicht aber Amerikas Soldaten. Gewiss, den Irakkrieg kennzeichnen Entmenschlichung, Missbrauch und Folter, die schockierende Behandlung der Kriegsgefangenen meines Landes. Die Misshandlungen in Abu Ghraib, deren Bilder wir alle gesehen haben, waren keine Ausnahmeerscheinung, sondern die traurige Realität des Krieges. Nur: Die meisten von uns wissen, dass Krieg grausam ist – sehr grausam –, und dass er nur als letzter Ausweg in Betracht kommen darf. Doch ob das mein Präsident weiß, da bin ich mir nicht so sicher.

Jetzt erwartet die Welt Amerikas nächsten Zug. Wird Präsident Bush den Iran bombardieren? Wird er den Wahnsinn auf den gesamten Nahen und Mittleren Osten ausweiten? Wird Amerika in dieser Region seine neue Außenpolitik fortsetzen, deren Hauptziele darin zu bestehen scheinen, die Schiiten im Iran und im Libanon zu isolieren, sie auszuschalten, den syrischen Staat in die Knie zu zwingen und Israel dabei zu helfen, die Hamas-Regierung im Gazastreifen zu demütigen? Begreift Amerika, dass seine Politik den Glaubenskrieg, den Machtkampf zwischen Sunniten und Schiiten im Irak auf dramatische Weise und womöglich irreversibel ausweiten wird? Ist uns klar, dass Ajatollah Sistani, der bisher als eine Stimme der Vernunft unter den irakischen Schiiten gewirkt hat, mit wenigen Worten, mit einer Fatwa, den Heiligen Krieg gegen die Amerikaner im Irak ausrufen könnte, mit unvorstellbaren Folgen? Wie würde Bush reagieren, käme es zu einem totalen Krieg gegen Tausende amerikanischer Soldaten und Zivilisten? Gibt es irgendwas oder irgendwen – irgendeinen Außenminister oder ausländischen Staatsmann –, der meinen Präsidenten überzeugen kann, dass er mit den Syrern, den Iranern, der Hisbollah und der Hamas-Führung ins Gespräch kommen muss? Oder sollen wir einfach aufgeben – uns von dieser unlösbar scheinenden Krise abwenden und Ferienwohnungen im Südpazifik kaufen oder in Ölaktien und Goldbarren investieren?

„Nie zuvor hatte ich weniger Einfluss auf die Führung meines Landes“

Natürlich brauche ich niemanden hier darüber aufzuklären, wie übel es in der Welt aussieht und für wie viele dieser Übel die amerikanische Führung mitverantwortlich ist. Ich bin ein Journalist, dessen Arbeit in den vergangenen vier Jahrzehnten wiederholt Auswirkungen auf die Außenpolitik seines Landes gehabt hat. Jetzt schreibe ich manchmal provozierende Zeitschriftenartikel, werde mit Preisen ausgezeichnet – wie heute Abend mit dem „Blätter“-Demokratiepreis – und meine Arbeit findet starke Beachtung. Doch nie zuvor hatte ich weniger Einfluss auf die Führung meines Landes. George Bush und Dick Cheney, der Vizepräsident, sind schlichtweg immun gegen das, was ich oder was viele ausgezeichnete Kollegen weltweit in den Zeitungen schreiben. Zwischen der Führung Amerikas und der Presse, dem Volk, und den Völkern der Welt ist die Kommunikation auf präzedenzlose, folgenschwere Weise gestört. Ich mag ein Aufwiegler sein oder als solcher gesehen werden, aber mein gesamtes Berufsleben hindurch habe ich Informationen stets im Gespräch mit den führenden Regierungsvertretern abgleichen können, ob im Weißen Haus, im Außenministerium oder in der CIA. Wenn ich sicherstelle, dass die Führung weiß, was ich zu schreiben gedenke, geht es mir natürlich auch, aber nicht nur, um Verifikation. Es geht zugleich um die Garantie, dass nichts, was ich veröffentlichen möchte, meine Mitbürger beim Militär oder den Nachrichtendiensten gefährden könnte. Als ich für die „New York Times“ arbeitete, wurde in einigen Fällen die Veröffentlichung eines Berichtes aufgeschoben, damit die Führung des Landes ihre Leute vor Schaden bewahren konnte. Ich fand immer, dass diese Praxis vernünftig ist und allen Beteiligten entgegenkommt – die Redakteure beruhigt es zu wissen, dass die Informationen stimmen, und die Regierung kann sich davon überzeugen, dass der Widerspruch, auch scharfer Widerspruch, hier mit der größten Ernsthaftigkeit und nicht aus Sensationsgier erhoben wird.

Im Laufe der Jahre bin ich mit vielen Spitzenbeamten der amerikanischen Intelligence Community zusammengetroffen, mit CIA-Direktoren ebenso wie mit den Leuten von der National Security Agency, der wichtigsten amerikanischen Regierungsbehörde für Abhörmaßnahmen und elektronische Nachrichtenbeschaffung. Manchmal waren diese Begegnungen unterkühlt, manchmal in der Tonlage sogar offen feindselig, aber allein die Tatsache, dass sie zustande kamen, ehrt unsere Verfassung und ihren Ersten Zusatz, der mir als Journalist das Recht garantiert, eine jede Information zu veröffentlichen, die ich erlange – sei sie nun streng geheim oder nicht. Doch in der Bush-Administration gibt es nichts dergleichen. Der Präsident hat seine Linie nach 9/11 glasklar markiert: Wer nicht „mit uns“ ist, ist „gegen uns“. Ich gehöre nicht zum Team, denn ich plappere die Parolen nicht nach, die bei den briefings im Weißen Haus ausgegeben werden, also habe ich keinerlei Zugang mehr. Für dieses Weiße Haus existiere ich ganz einfach nicht. Nach wie vor tue ich mein Bestes, um jede Information vor der Veröffentlichung nachzuprüfen und sicherzustellen, dass nichts, was ich schreibe, irgendwelche Mitbürger oder irgendwelche Verbündeten unnötig in Gefahr bringt. Doch heute tue ich das, indem ich Vorabkopien von möglicherweise explosivem Material, das ich an die Öffentlichkeit bringen möchte, in die Hausbriefkästen oder Eingangsflure jener Handvoll Spitzenbeamter werfe, die noch mit mir reden. Natürlich gibt es eine Reihe von Insidern, die sich mir weiterhin anvertrauen – meine Artikel leben von solchen Informationen –, aber ich verfahre ein wenig nach Art der Vampire, die nur im Dunkeln agieren. Beamte, die mir wohlgesonnen sind, rufe ich nicht tagsüber im Büro an – das wäre ein Todeskuss oder -biss. Ein großer Teil meiner Arbeit spielt sich außerhalb der regulären Bürostunden oder an Wochenenden ab, bei den Leuten zuhause oder in entlegenen Städten, weit weg von Washington. Auf neutralem Boden sozusagen.

„Journalist zu sein, ist ein ständiger Lernprozess“

So ein Treffen außerhalb Washingtons findet gewöhnlich in einem noblen Hotel statt, wo man am Wochenende spät aufsteht. Dort treffe ich dann beispielsweise eine Amtsperson, oft Sonntagsmorgens, zu einem ungewöhnlich zeitigen Frühstück. Journalist zu sein, ist ein ständiger Lernprozess. Einmal, als wir uns gegen sechs Uhr früh in den Frühstücksraum des Hotels gesetzt hatten, blieben mein Gesprächspartner und ich fast zwei Stunden lang unter uns. Irgendwann, so gegen acht Uhr, tauchte ein Paar mit zwei kleinen Kindern auf und nahm an einem der Nebentische Platz. Mein Gegenüber, der sich ein Berufsleben lang mit Geheimdienstproblemen befasst hat, nickte mir zu und flüsterte: „Gehen wir.“ Ich wollte ihn aufhalten, aber er erhob sich einfach und ging, so dass ich ihm folgte. Als wir draußen waren, erklärte er sein Verhalten. Im Einsatz, erläuterte er, wenn er als Agent ein ausländisches Zielobjekt beobachte, nehme er manchmal Frau und Kinder in ein Restaurant mit, um dann möglichst dicht an den ahnungslosen Ausländer heranzurücken und einfach zu lauschen. Natürlich war das Paar eben völlig harmlos, aber alte Gewohnheiten wird man nun mal nicht so leicht los. Was er mir damit sagen wollte, war hauptsächlich: „Wozu ein Risiko eingehen?“ Was für eine Art zu leben! Und wie traurig muss es für diesen Geheimdienstprofi sein, von der Politik seines Präsidenten derart abgekoppelt zu sein wie heute. Ich versichere Ihnen, meine Damen und Herren, dass viele Angehörige unserer Sicherheitsdienste und des Militärs einfach ihren Job machen wollen, wie es sich gehört, und darunter leiden, dass das nicht geht. Doch es ist heute Teil des amerikanischen Alltags, dass sie den Mund nicht aufmachen.

Ich weiß nicht, warum es in Amerika gegenwärtig so wenig offenen Widerspruch gegen Morallosigkeit und Rechtsverletzungen gibt. Was ich aber weiß, ist, dass dieser Mangel unsere Demokratie schwächt. Man könnte sagen, die Bush-Administration demonstriert die Brüchigkeit der Demokratie. Alle Vorkehrungen, die unsere Gründerväter einst getroffen haben, um Amerika vor einem Präsidenten zu schützen, der seine Ansichten und seine Politik über das Gesetz stellt, haben diesmal versagt. Aus dem Militär kam kein ernsthafter Widerspruch – man hätte ja riskiert, nicht befördert zu werden und dabei doch wenig zu bewirken. In jenen Monaten nach 9/11, als der unnötige Angriff auf den Irak vorbereitet wurde, gab es in Amerika keinen Grund anzunehmen, ein General, der aus Protest zurücktritt, könne auf eine gute Presse zählen.

Meine Kollegen im Zeitungsgeschäft, deren Arbeit die Verfassung auf Thomas Jeffersons Drängen hin ausdrücklich schützt, haben desgleichen erbärmlich versagt. Als George Bush auf der Grundlage zweifelhafter Geheimdienstvorgaben in den Irakkrieg stürmte, sind sie nicht auf Distanz gegangen und haben keine Skepsis geäußert, sondern als Cheerleaders agiert. Doch unsere Aufgabe in der Zeitungswelt besteht nicht darin, Kriege zu bejubeln oder auf Kriege zu drängen, sondern in der kritischen Prüfung der Argumente, die der Präsident zugunsten eines Krieges vorbringt, sowie in der Vergewisserung, ob er aufrichtig und mit Umsicht handelt. Aber selbst heute noch versagt die amerikanische Presse vor der moralischen Dimension des Irakkriegs, obwohl sie doch mit dem Präsidenten und seiner jüngsten Irakstrategie, genannt „surge“ oder „Woge“, inzwischen viel härter umgeht. Wir wollen nicht wissen, wie viele irakische Zivilisten in diesem Krieg getötet wurden; wir möchten der Flüchtlingskrise, die zunehmend den ganzen Mittleren Osten durcheinander wirbelt, nicht wirklich auf den Grund gehen; wir möchten nicht wissen, wer hinter dem Gewaltausbruch zwischen Fatah und Hamas in Palästina steckte.

„Der Kongress hat nicht begriffen, wer dieser Präsident ist“

Auch andere haben versagt. Amerikas Beamtenapparat etwa. Jene Millionen von Bundesbediensteten, die als erste und aus nächster Nähe den zunehmenden Missbrauch mitbekamen, den Bush und seine neokonservativen Gefolgsleute in den Bundesbehörden organisierten – sie haben den Mund nicht aufgemacht. Am schlimmsten hat der Kongress versagt, dessen Vertreter vom Volk gewählt werden, um seine Rechte zu schützen. Der Kongress hat nicht begriffen, wer dieser Präsident ist. Er hat vor der Aufgabe versagt, George W. Bush bei seinen außenpolitischen Torheiten in den Arm zu fallen. Die ihm von der Verfassung zugewiesenen Aufsichts- und Führungsaufgaben hat der Kongress nicht erfüllt. Senatoren und Abgeordnete entsagten nach 9/11 ihrer Verantwortung und begaben sich mit ihrer Bereitschaft, George W. Bush ohne Not in den Irakkrieg zu folgen, in die Abhängigkeit des Präsidenten. Dabei war ihnen gewiss nicht weniger als den Gegnern des Krieges bekannt, dass Osama bin Ladens Weg aus Afghanistan nicht durch den säkularen Irak führte. Und trotz der Wahlsiege der Demokraten im vergangenen Herbst kann der Präsident leider immer noch seinen Willen durchsetzen, mit seinem neuen Plan – mit the surge, der Woge – den Krieg zu „gewinnen“.

Ja, es stimmt: In der Provinz Anbar, dem Herzen des sunnitischen und baathistischen Irak, zeitigt die „Woge“ Erfolge. Doch die Frage, die Medien und Politiker nur höchst selten stellen, lautet, was für Erfolge das sind. Der Befund lautet, dass der Plan dort insofern funktioniert, als Morde an Andersgläubigen und Anschläge mit Autobomben tatsächlich zurückgegangen sind. Doch er funktioniert deshalb, weil die über Hunderttausend in Anbar, einer der größten Provinzen des Landes, lebenden Schiiten nicht mehr da sind. Viele von ihnen wurden aus ihren Wohnungen vertrieben und leben jetzt im Schiitengebiet von Bagdad in Zeltstädten hinter Betonplatten, ohne jede Regierungshilfe. Die „Woge“ ist, anders gesagt, schlichtweg eine Form „ethnischer Säuberung“. Offenbar liegt dem Plan die unausgesprochene Entscheidung der amerikanischen Führung zugrunde, den Irak den gleichen Weg gehen zu lassen wie das ehemalige Jugoslawien. Dabei hatte der Präsident ursprünglich, als er den surge-Plan Anfang des Jahres ankündigte, dem amerikanischen Volk gesagt, im Erfolgsfall werde seine neue Strategie die Einheit des Irak wiederherstellen. Er ist ein Mann, dem Worte nichts bedeuten. Es sind eben nur Worte, die man im Bedarfsfall ausspricht und dann vergisst oder ignoriert, wenn sie unbequem werden. „Ich lebe und sterbe für Worte“

Was für eine Situation! Wie viele andere Journalisten auch glaube ich an Worte – ich lebe und sterbe für Worte. Die rechten Worte in die richtige Reihenfolge zu bringen, darin besteht das ganze Leben eines guten Reporters. Daran ist nichts Besonderes. Zu schreiben heißt, Wörter benutzen, um Gedanken zu übermitteln. Ob es einfache oder schwierige Gedanken sind, spielt hier keine Rolle. Doch heute haben wir es mit einem Präsidenten zu tun, dem Worte bestenfalls als Mittel zum Zweck dienen.

Was kann ein Journalist da machen? Was mich betrifft, so verstehe ich meine Rolle ganz elementar: Ein verantwortungsbewusster Journalist in Washington muss die führenden Vertreter der Regierung an den höchsten Kriterien messen und darf sich dabei niemals erweichen lassen. In Amerika haben wir ein sehr ernstes Problem – eines, das den loyalen Bürger ständig ins Hintertreffen geraten lässt. Die Bushs und Kissingers und Nixons haben die Machtbefugnis, unsere Kinder – unsere eigenen Söhne und Töchter – in den Krieg zu schicken, um zu töten und getötet zu werden. Als loyale Bürger achten wir diese Befugnis, folgen unseren Führern bereitwillig und schicken unsere jungen Leute in den Krieg. Und was erhalten wir als Gegenleistung? Was haben wir, aller Erfahrung nach, von unseren Führern zu erwarten? Was wir bekommen, sind Führer, die lügen, die Tatsachen verfälschen, verzerren und manipulieren. Das ist ein ganz schlechtes Geschäft, jeder Bürger und jeder Journalist sollte dagegen aufbegehren. Als Vater weiß ich, dass ich meine Kinder – außer in Nebensächlichkeiten – niemals belogen habe, und ich gehe davon aus, von ihnen nicht angelogen zu werden. Vertrauen auf Gegenseitigkeit macht den Kern einer jeden Lebensbeziehung aus, ob mit der Ehefrau, dem Ehemann, mit Partnerin oder Partner. Daran ist nichts Außergewöhnliches und nichts spezifisch Amerikanisches, und doch verzichten wir in den Vereinigten Staaten immer noch darauf, die für unsere nationale Sicherheit Verantwortlichen mit dem gleichen Maßstab zu messen – ob Lyndon B. Johnson, McGeorge Bundy oder John F. Kennedy – , also jene Männer, die uns in den 60er Jahren in Vietnam mit Fehlinformationen in einen nutzlosen, ja verbrecherischen Krieg stürzten. Dann kam Richard Nixon, der den verlorenen Krieg fortsetzte, um ... ja, um was zu retten? Ich habe nie verstanden, was mit der Anerkennung der Tatsache, dass der Krieg gegen Nordvietnam niemals zu gewinnen war, riskiert worden wäre. Im darauffolgenden Jahrzehnt hatten wir Ronald Reagan, der Grenada angriff, eine kleine Karibikinsel, deren Bevölkerung zu Tausenden überall in den Vereinigten Staaten als Haushaltshilfen arbeitete. Reagan glaubte, dass Kuba aus Grenada ein Bollwerk des Kommunismus machen wollte. Danach hatten wir den Krieg in Nikaragua, den Drogenkrieg, den Antiterrorkrieg, Krieg gegen die Schiiten, gegen den Irak und nun vielleicht den nächsten – Krieg gegen den Iran und die Schiiten der ganzen Region.

All diese Kriege haben eines miteinander gemein: Es handelt sich um amerikanische Offensiven in der Dritten Welt. An der Präsidentschaft Bill Clintons hatte ich vieles auszusetzen, aber er verdient Respekt für seine Entscheidung im Jahre 1999, zur Beendigung der Kämpfe im ehemaligen Jugoslawien Bombenangriffe der NATO anzuordnen, ein Bombardement von 79 oder 80 Tagen. Was mich daran beeindruckte, ist die Tatsache, dass Bill Clinton mit diesem Befehl der erste amerikanische Präsident seit Ende des Zweiten Weltkriegs wurde, der die Bombardierung weißer Menschen anordnete. Vielleicht handelt es sich ja bloß um ein Kuriosum, vielleicht sagt es aber auch etwas über den Rassismus in Amerika und weltweit aus. Da bin ich mir nicht sicher, aber fest steht, dass der Rassismus heute integraler Bestandteil des amerikanischen Alltags ist.

Verzeihen Sie mir all diese hässlichen Worte und meine deprimierende Bilanz der heutigen Weltzustände. Meine Freunde in Nah- und Mittelost versuchen immer wieder, mich aufzumuntern. Mit ihrer vieltausendjährigen Geschichte im Hintergrund versichern sie mir, dass Amerika George Bush überleben wird. Sechzehn Monate dauern nicht lange, sagen sie. Ich hoffe, sie haben recht.

Übersetzung: Karl D. Bredthauer

Quelle: www.blaetter.de


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