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Der große Unbekannte

Zur Picasso-Ausstellung "Frieden und Freiheit" in Wien

Von Michael Carlo Klepsch *

Man kann sich die betretenen Gesichter der Sponsoren lebhaft vorstellen. Eine große Blockbuster-Ausstellung zu Picasso wäre ganz nach ihrem Geschmack gewesen. In Kooperation mit der Tate Liverpool und der Albertina in Wien, zu sehen in Großbritannien, Österreich und in Dänemark. Hochkarätige Leihgaben aus aller Welt versprachen den kommerziellen Erfolg.

Also, mal wieder was über Picassos Frauen, Kinder, Strand und Trallala? Aber nein, die Ausstellungsmacher stellten sich etwas ganz anderes vor: eine Schau zum politischen Engagement Picassos nach 1945. Betretenes Schweigen. War der nicht Kommunist ...? Das wird dann aber schwierig!

Und in der Tat: Acht Jahre dauerte das zähe Ringen zwischen den Ausstellungsmachern, Lynda Morris und Christoph Grunenberg, den drei beteiligten Museen und den Sponsoren in spe. Was von dem ursprünglichen Konzept geblieben ist, läßt sich nun in der Wiener Albertina sehen. Bereits der weichgespülte Titel »Picasso. Frieden und Freiheit« deutet es an: Die angestrebte Konzeption der Ausstellung ließ sich nicht verwirklichen. Picassos politisches Engagement in Leben und Werk nach 1945 gleichberechtigt aus den beiden zentralen Blickwinkeln der Zeit zu beleuchten – dem der sozialistischen Welt und dem des kapitalistischen Westens.

Wozu hatte man den Jahrhundertkünstler jahrzehntelang in der westlichen Hemisphäre entpolitisiert? Im Grunde sei er doch ein ganz »unpolitischer Mensch«. Als Kronzeuge dafür bot sich stets Picassos berühmter Kunsthändler Kahnweiler an. Allerdings mehr aus Eigennutz. Ließ sich doch keines von Picassos Werken mehr in den USA verkaufen, kaum daß die Nachricht von seinem Beitritt zur Kommunistischen Partei im Oktober 1944 um die Welt gegangen war.

Wenn das Argument des eigentlich unpolitischen Künstlers nicht mehr zog, kanzelte man den Schöpfer von »Guernica« und weiteren politischen Interventionen zum Koreakrieg, zu Vietnam etc. eben als einen in politischen Angelegenheiten einfach »hochherzigen Naiven« ab. So Der Spiegel in seinem Nachruf auf Picasso im Jahr 1973. Dieser war trotz allem bis an sein Lebensende Mitglied der KPF geblieben.

Picassos Ruf als Lebemann und spanischer Macho steht im Widerspruch zum Thema der Ausstellung. Zwar wird dies im Katalog formuliert. Die zentrale Fragestellung aber – Wie wurde dieses Image im Kalten Krieg erst produziert und dann dazu benutzt, ein tieferes Verständnis Picassos zu verhindern? – bleibt unbeantwortet.

In den acht Räumen der Wiener Albertina hängen über 140 Gemälde aus der Hand Picassos, darunter das bedeutsame »Beinhaus« von 1944/45, ein Historiengemälde, das die Schrecken des Krieges und der Konzentrationslager in der Nachfolge Goyas wiederaufleben läßt. Heute im Museum of Modern Art in New York. Wie zahlreiche Zeichnungen, politische Plakate und historische Dokumente aus dem umfangreichen Nachlaß des Künstlers und zweimaligen Leninpreisträgers. Ein Nachlaß, der in der Gesamtheit seiner politischen Korrespondenz allein über 30 Kisten füllt.

Gleichwohl findet sich in der Ausstellung kein Hinweis darauf, daß der amerikanische Geheimdienst im Kalten Krieg die Aufgabe hatte, die Ausstrahlung des berühmtesten Kommunisten im Westen möglichst zu begrenzen. So weit geht der Aufklärungswille nicht. An Dokumenten herrscht kein Mangel. Die Akte, die Edgar J. Hoover bereits wenige Wochen nach Picassos Beitritt zur KPF über den vermeintlichen sowjetischen Agenten anlegen ließ, umfaßt 187 Seiten. Auszüge wurden vor vielen Jahren veröffentlicht. Einschlägigen Abhandlungen über die CIA und den Kalten Krieg lassen sich Strategien entnehmen, mit denen die USA ihr Ziel erreichten, Picasso in der öffentlichen Wahrnehmung des Westens dauerhaft zu »entpolitisieren«. Der Ausstellungsbesucher erfährt davon nichts.

Vielmehr sind die letzten zwei Räume in Wien dem »erotischen Meister« gewidmet. Das ewig Weibliche lockt doch immerzu! Es sollen sich doch viele an der Schau erfreuen! Dann tun es auch die Sponsoren. Der Katalog enthält eine Liste der doch noch zufriedengestellten.

Bis 16. Januar 2011, täglich 10–18 Uhr, Katalog 29 Euro

* Vom Autor ist bei Patmos das Buch »Picasso und der Nationalsozialismus« erschienen

Aus: junge Welt, 27. Oktober 2010



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