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Die Friedensbewegung vor neuen Herausforderungen

Von Bernd Guß*

Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001, so ist immer wieder zu lesen oder zu hören, kann nichts mehr so sein wie früher. Dem folgend muss über Politik im allgemeinen und über Friedenspolitik im speziellen neu nachgedacht, sowie eine entsprechende Neuausrichtung vorgenommen werden. Der 11. September dient mittlerweile bei fast allem in der Politik als Begründung, insbesondere bei Maßnahmen, die die Rechte der Bürgerinnen und Bürger beschneiden oder von ihnen entsprechende Opfer verlangen. Vor allem aber dient der 11. September als Begründung für eine Politik, die auf Militär setzt und Krieg als legitimes Mittel der Politik betrachtet. Den Regierenden auf beiden Seiten des Atlantiks folgend, muss dem weltweiten Terrorismus mit Krieg begegnet werden. Ein Krieg, der weltweit geführt werden müsse und dessen Ende nicht abzusehen sei.

Nach dem 11. September haben einfache Denkschemata Hochkonjunktur. Die Einteilung der Welt in Gut und Böse durch den US-Präsidenten George W. Bush ist das wohl prägnanteste Beispiel. Danach verkörpern die Terroristen und ihre Helfershelfer das Böse - auf der Seite des Guten hingegen stehen die USA und ihre Verbündeten. Dem Schwarz-Weiß-Denken Bushs folgend, ist im Kampf gegen das Böse jedes Mittel recht, so auch der Einsatz des Militärs. Kritik an Entscheidungen oder an der Art und Weise des Handelns, wird nicht geduldet. Wer Kritik äußert, versündigt sich demnach an der Sache des Guten und läuft Gefahr dem Bösen zugerechnet zu werden.

Die politische Elite in der Bundesrepublik hat diese Sichtweise aufgegriffen und um eine spezifisch deutsche Komponente angereichert: Kritik an der US-Regierung untergräbt demnach die deutsch-amerikanische Freundschaft. Damit zeigt man sich den USA gegenüber, denen die Deutschen im Wesentlichen die Befreiung vom Nationalsozialismus zu verdanken hätten, undankbar.

Vor allem die Friedensbewegung muss sich immer wieder mit dem Vorwurf des Anti-Amerikanismus auseinandersetzen. Die grausamen Terroranschläge vom 11. September haben diesen Vorwurf noch verschärft. Zu der von Bundeskanzler Gerhard Schröder ausgesprochenen "uneingeschränkten Solidarität" gegenüber den USA passen eben keine kritischen Töne. Vermehrt sieht sich die Friedensbewegung mit dem Vorwurf konfrontiert, dass sie die Augen vor der Realität verschliesse, sich den neuen Herausforderungen nicht stellen würde und zu Fragen und Problemen der Zeit keine Antworten habe. Dreh und Angelpunkt ist dabei die Frage nach dem Einsatz von militärischen Mitteln, die nach Ansicht der politischen Elite heute nicht mehr zu vermeiden sind.

Dem Denken der politisch Verantwortlichen stehen die Positionen der Friedensbewegung diametral entgegen. Von ihrem Verständnis her wendet sich die Friedensbewegung gegen Krieg als Mittel der Politik schlechthin und erteilt jeglichen Gedankenspielen über militärische Konfliktlösungen eine klare Absage. Gerade aus der Friedensbewegung wurden die Terroranschläge vom 11. September verurteilt, den Opfern und ihren Angehörigen die Anteilnahme ausgesprochen und gleichzeitig vor überzogenen Reaktionen gewarnt. Für viele Menschen, die tiefe Trauer und Mitgefühl mit den Opfern verband, war es nicht nachvollziehbar, mit welcher Geschwindigkeit die Regierungspolitik auf die Anschläge reagierte. Während die Menschen noch nach Fassung rangen, präsentierten die politisch Verantwortlichen die angeblichen Drahtzieher der Anschläge und trafen die ersten Kriegsvorbereitungen. Der Krieg in Afghanistan begann wenige Wochen nach den Anschlägen von New York und Washington. Der sogenannte Krieg gegen den Terrorismus hat entscheidend dazu beigetragen, dass das Land vollends in die Steinzeit zurückgebombt wurde. Die Zahl der Kriegstoten übersteigt die bei den Attentaten vom 11. September ermordeten Menschen etwa um das Sechsfache.

Zu Recht drängt sich die Frage auf, ob der Krieg der USA in Afghanistan wirklich nur eine Reaktion auf die Terroranschläge war, oder ob andere Ambitionen eine entscheidende Rolle spielten (siehe hierzu ausführlicher: Biermann/ Klönne 2002). Zu Recht muss die These, dass nach dem 11. September nichts mehr so sein wird wie vorher, hinterfragt werden. Das entscheidend Neue an den Terroranschlägen vom 11. September ist nicht der Terror selbst, sondern die überzogene Reaktion auf ihn (vgl. hierzu Scheerer 2002, weiterhin Waldmann 2002). Hinzu kommt, dass die Umorientierung in der Außen- und Sicherheitspolitik der NATO-Staaten, einschließlich der Bundesrepublik, bereits mit dem Ende des Kalten Kriegs eingeleitet worden waren. Letztendlich sind im Zuge der Reaktion auf die Terroranschläge einzelne Optionen verschärft worden, ihre Grundzüge bzw. ihre Ausrichtung stand jedoch lange vorher fest. In diesem Sinne stellen die Anschläge keine grundlegenden Einschnitte dar, sondern dienen lediglich als Ventil, eine längerfristig konzipierte Politik konsequenter durchzusetzen.

I Weltpolitik im Umbruch - Rahmenbedingungen für die Friedensbewegung

Mit dem Zusammenbruch des Ost-West-Gegensatzes träumte die Weltöffentlichkeit vom Anbruch eines friedlichen Zeitalters. Durch die Friedensdividende sollten Mittel die im militärischen Bereich frei werden, in soziale und humanitäre Aufgabengebiete übertragen werden. Doch es blieb bei einem Traum, denn der Kalte Krieg war zwar beendet, die Rüstungsspirale drehte sich jedoch weiter. De facto gab es zwar Abrüstungsmaßnahmen, sie hatten jedoch oftmals fiskalpolitische Ursachen und waren quantitativ angelegt. Begleitet wurden sie von qualitativer Auf- bzw. Umrüstung - das Ziel war kleinere und effektivere Streitkräfte zu schaffen, die rund um den Globus einsetzbar sein sollten. Der Warschauer Pakt hatte sich aufgelöst, doch die NATO als Gegenpart blieb weiter bestehen, nahm Länder der ehemals gegnerischen Seite als neue Mitglieder auf und schuf für sich selbst ein neues Aufgabenspektrum. Nicht mehr ein großangelegter Angriff bedeutet eine Gefahr für das Bündnis, sondern neue Sicherheitsrisiken, die vielgestaltig seien und aus vielen Richtungen kommen könnten. Zum Schutz vor diesen neuen Risiken wurden jederzeit einsetzbare und schnell verlegbare Krisenreaktionskräfte bzw. Spezialkräfte gebildet. 1991, beim NATO-Gipfel in Rom, wurde eine neue NATO-Strategie verabschiedet, die vorsah, dass Gefahren dort militärisch zu bekämpfen seien, wo sie entstehen. Die NATO-Strategie von 1991 wurde in den Folgejahren fortgeschrieben, auf dem NATO-Gipfel im April 1999 wurde schließlich ein neues Strategisches Konzept verabschiedet, in welchem die sogenannte Selbstmandatierung enthalten und die Option für Krisenreaktionseinsätze, vorgesehen wurde. In bezug auf die Sicherheit des Bündnisses wurde festgehalten, dass diese in einem globalen Kontext zu berücksichtigen sei.

Die Bundeswehr, die aufgrund ihrer historischen Entwicklung stets in die NATO-Strukturen eingebunden war, vollzog ebenfalls einen grundlegenden Wandel. In den Jahren des Kalten Krieges war die Bundeswehr - so hieß es immer - da, um niemals eingesetzt zu werden. Nach der deutschen Vereinigung fand ein Paradigmenwechsel in der Außen- und Sicherheitspolitik statt. Die Bundeswehr wurde systematisch umgebaut und erhielt eine völlig neue Ausrichtung. Die Erneuerung der Bundeswehr fand in den Bereichen Strategie, Struktur und Bewaffnung statt. Begleitet wurde diese Erneuerung durch eine gesellschaftliche Militarisierung, das Militär tauchte immer häufiger im öffentlichen Leben auf und wurde in der Gesellschaft präsenter. Bundeswehreinsätze wurden zunehmend zur Normalität und die Bundeswehr selbst war nunmehr dazu da, um Krieg führen zu können (vgl. Pflüger 2000). Mit den Verteidigungspolitischen Richtlinien vom November 1992 wurde für die Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Bundesrepublik eine verbindliche Grundlage geschaffen, die bis heute in Kraft geblieben ist. Darin wurde festgehalten, dass zu den vitalen Sicherheitsinteressen deutscher Politik u.a. die "Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt ..." zählen (Bundesminister der Verteidigung 1992: 5).

Sicherheitspolitik ist nach den Verteidigungspolitischen Richtlinien nicht auf das eigene Territorium beschränkt. Daher, so die Schlussfolgerung, müssen Deutsche Streitkräfte zum Einsatz außerhalb Deutschlands befähigt werden. Die Bundeswehr sollte demnach für flexible Krisen- und Konfliktbewältigung im "erweiterten geographischen Umfeld" (ebenda: 11) befähigt werden.

Zur Neuausrichtung der Außen- und Sicherheitspolitik gehörte auch eine veränderte Auslegung des Grundgesetzes. Bis in die ersten Jahre nach der deutschen Vereinigung war das Grundgesetz so ausgelegt worden, dass ein Bundeswehreinsatz "out of area" nicht möglich und für solche Zwecke eine entsprechende Verfassungsänderung bzw. -ergänzung notwendig sei. Nachdem jedoch der damaligen Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP klar wurde, dass die dafür notwendige Zweidrittelmehrheit nicht zustande kommen würde, wurde dazu übergegangen, die Verfassung neu zu interpretieren. Nach der neuen Sprachregelung waren nunmehr "out-of-area" Einsätze der Bundeswehr mit dem Grundgesetz vereinbar. Es liegt auf der Hand, dass bei einem derartigen Kurswechsel politische und juristische Auseinandersetzungen folgen mussten. Die Bundesregierung hat jedoch, unabhängig von der Diskussion um die Legitimität von Auslandseinsätzen, Fakten geschaffen und die Bundeswehr zu diversen Auslandseinsätzen entsandt. Am 12. Juni 1994 wurde schließlich durch ein Urteil des Bundesverfassungsgericht der Position der Bundesregierung weitgehend entsprochen und die Auslandseinsätze der Bundeswehr an zwei Bedingungen geknüpft: Erstens muss der Einsatz im Rahmen eines kollektiven Sicherheitssystems passieren. Und zweitens muss der Bundestag dem Einsatz im Vorhinein zustimmen. Das Urteil schaffte für die Bundesregierung Klarheit, für Juristen bleibt es jedoch nach wie vor umstritten. Zumal die Verfassungsrichter in ihrer Urteilsbegründung nicht nur die UNO und die OSZE, sondern auch die NATO und die WEU als "kollektive Sicherheitssysteme" bezeichneten. Nicht nur unter juristischer, sondern auch unter politikwissenschaftlicher Betrachtungsweise ist eine derartige Begründung nicht haltbar, da sowohl NATO als auch WEU allenfalls "kollektive Verteidigungssysteme" sind.

Der Paradigmenwechsel in der Außen- und Sicherheitspolitik setzt sich bis in die heutigen Tage fort: Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl formulierte zunächst noch sehr zögerlich am 3. Oktober 1990, dass sich künftig die Bundesrepublik Deutschland an Maßnahmen der Vereinten Nationen zur Wahrung und zur Wiederherstellung des Friedens auch durch den Einsatz ihrer Streitkräfte beteiligen wolle (vgl. Kohl 1990). Während die Bundeswehr schrittweise zur Interventionsfähigkeit ausgebaut wurde, änderte sich auch die Sprachregelung. Der Einsatz sollte sich nicht mehr allein auf Maßnahmen der UNO beschränken, sondern auch jene im NATO- oder EU-Verband ermöglichen. Mit dem Regierungsantritt von Rot-Grün wurde genau dieser Kurs fortgesetzt. Der Nachfolger im Bundeskanzleramt, Gerhard Schröder, setzte die Militärpolitik seines Vorgängers fort, für ihn geht es nunmehr darum, dass es in Zukunft im Bewusstsein dieser Gesellschaft keine Tabuisierung von militärischen Maßnahmen mehr geben dürfe (vgl. Schröder 2002). Unter Helmut Kohl sind Bundeswehreinsätze zur "Normalität" geworden, unter Gerhard Schröder sollen nun auch die Bedenken an diesen fallen und die Kritik verstummen.

Mit den hier skizzierten Entwicklungslinien haben sich die Rahmenbedingungen für die Friedensbewegung in den Jahren nach Beendigung des Ost-West-Konflikts grundlegend verändert. Der Kalte Krieg und vor allem die Gefahr eines Atomkriegs zwischen den beiden Supermächten war überwunden. Genau diese Gefahren waren für viele Menschen Anlass, sich friedenspolitisch zu engagieren. Mit der Annäherung der Supermächte und dem Ende des Kalten Krieges (zumindest in Europa) schien dieses Engagement hinfällig. Hinzu kam die Euphorie über die deutsche Einheit und der permanente Verweis auf die größer gewordene Verantwortung Deutschlands, die in erster Linie militärisch definiert wurde.

Zweifellos, die Friedensbewegung hatte es schwer gegen den allgemeinen Mainstream ihre Bedenken und Mahnungen vorzubringen - allzu oft wurde sie dabei in die Ecke der Ewiggestrigen und Miesmacher gedrängt. So hatte sich die Friedensbewegung dafür stark gemacht, dass die Chancen für eine friedlichere Zukunft genutzt werden. Hierzu hätten einschneidende Abrüstungsmaßnahmen, der Verzicht auf weitere Auf- oder Umrüstungsmaßnahmen und ein konsequentes Nein zu Militäreinsätzen gehört. Durchgesetzt hat sich jedoch die gegenteilige Entwicklungslinie: Mit dem Golfkrieg von 1991 fand eine Art Ouvertüre für die Schaffung einer neuen - heißen - Ordnung nach dem Ende des Kalten Krieges statt (vgl. Ruf 1991). Die von George Bush propagierte "Neue Weltordnung" baute auf dem amerikanischen Unilateralismus auf, bei dem nationale Interessen den Vorrang haben und gegebenenfalls auch militärisch durchgesetzt werden sollen. Der US-Dominanz stehen dabei die EU sowie der asiatische Raum gegenüber. Durch die wirtschaftlichen Verflechtungen innerhalb dieser Triade werden Kriege im klassischen Sinne zwischen den drei Polen der Triade sicherlich verhindert werden. Es hat sich jedoch gezeigt, dass die Rivalitäten in der Peripherie ausgetragen werden. Der Einsatz des Militärs spielt dabei eine entscheidende Rolle, durch ihn wird kriegerische Gewalt als Mittel der Politik wieder voll legitimiert.

Die Konsequenz für die Friedensbewegung ist ein breiteres und umfangreicheres Themenspektrum mit dem sie sich auseinandersetzen muss. Es ist nicht mehr der dominierende Ost-West-Konflikt, der das Hauptaugenmerk auf sich zieht, es sind vielmehr mehrere Konfliktherde gleichzeitig und es ist vor allem die zunehmende Militarisierung der Politik. Tagespolitische Themen treten immer stärker in den Mittelpunkt der friedenspolitischen Arbeit. Das Engagement konzentriert sich oftmals auf Reaktionen auf aktuelle Entwicklungen bzw. Ereignisse. Hinzu kommt, dass mit der Globalisierung und vor allem mit den Reaktionen auf die Terroranschläge vom 11. September die Politik an Dynamik zugelegt hat. Allerdings eine Dynamik, die in die völlig falsche Richtung läuft - die am Prinzip der bewaffneten Sicherheit festhält und auf militärische Konfliktlösungen setzt. Damit wird nicht nur eine verhängnisvolle Politik fortgesetzt, sondern es werden auch die Chancen vertan, die die Globalisierung bietet, um einer friedlicheren Welt näher zu kommen.

II Friedenspolitik versus permanenter Krieg

Der Hauptverantwortliche der Terroranschläge vom 11. September ist für die USA und ihre Verbündeten der aus Saudi-Arabien stammende Osama Bin Laden. Erstes Angriffsziel war das von den Taliban beherrschte Afghanistan, das als vermeintlicher Unterschlupf für den Topterroristen diente. Am 7. Oktober 2001 eröffneten die USA und Großbritannien den Krieg gegen Afghanistan, als Teil des weltweiten Kampfes gegen den Terror. Mit der Einsetzung einer Interimsregierung unter Hamid Karsai am 23. Dezember 2001 wurde der Krieg in Afghanistan zwar formal beendet, doch die Unruhen und Kampfhandlungen in dem Land dauern weiter an. Das Terroristennetzwerk Al Qaida ist zwar empfindlich getroffen, aber immer noch existent. Osama Bin Laden, der angebliche Drahtzieher der Terroranschläge vom 11. September und zugleich der meistgesuchte Mann, scheint vom Erdboden verschwunden.

Nach dem Deutungsmuster, wonach Terrorismus das ist, was die US-Administration als Terrorismus ansieht, wird die Ausweitung des Krieges seit Wochen und Monaten geplant. Im Visier der USA befindet sich der Irak. Als mögliches Kriegsziel hat George W. Bush den Sturz des irakischen Diktators Saddam Hussein anvisiert. Offiziell wird zur Begründung eines möglichen Militärschlages auf die Massenvernichtungswaffen verwiesen, die sich angeblich im Besitz des Iraks befinden würden und die dieser bereit sei einzusetzen. Dem will die US-Administration mit einem "präventiven Verteidigungsangriff" bzw. "präventiven Erstschlag" zuvorkommen.

Ein militärisches Vorgehen gegen den Irak ist nach den politischen Optionen der USA als Teil des sogenannte Krieges gegen den Terrorismus zu verstehen. Dem folgend, ist der "Krieg gegen den Terrorismus" ein unendlicher und grenzenloser Krieg. Er ist sowohl zeitlich, als auch territorial unbegrenzt. Es gibt in diesem Krieg keine eindeutigen Siege und Niederlagen, da der Feind permanent präsent ist und jederzeit an einem anderen Ort neu auftauchen kann. Militärische Interventionen finden dort statt, wo der Feind bzw. die Terroristen vermutet werden. Die Gefahr, in das Visier eines möglichen Angriffs zu geraten, ist andauernd vorhanden, da die entsprechende Definition durch die USA in Eigenregie vorgenommen wird. Militärschläge werden aufgrund von Vermutungen oder Behauptungen ausgeführt. Mit einer derartigen Politik wird das Völkerrecht durch die USA - wo es sich anbietet - instrumentalisiert oder - wo es den eigenen Zielen im Wege steht - missachtet. Zunächst muss festgehalten werden, dass es in der UN-Charta ein zwingendes Verbot der Androhung oder Anwendung militärischer Gewalt gibt. Allerdings kennt die UN-Charta auch zwei Ausnahmen: erstens, die Ermächtigung zu militärischen Zwangsmaßnahmen gem. Art. 42 UN-Charta durch den UN-Sicherheitsrat und zweitens, das individuelle und kollektive Selbstverteidigungsrecht gem. Art. 51 UN-Charta. Der UN-Sicherheitsrat hat sich kurz nach den Anschlägen vom 11. September mit dem Thema befasst und dabei die Terroranschläge als eine Gefährdung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit bezeichnet. Vergeblich haben die USA versucht eine direkte Ermächtigung für ein militärisches Vorgehen durch den Sicherheitsrat zu erhalten. Es finden sich jedoch in den vom Sicherheitsrat verabschiedeten Resolutionen keine Anhaltspunkte, die eine direkte Ermächtigung zum militärischen Vorgehen beinhalten. Stattdessen wurde von den USA die Bezugnahme auf "das naturgegebene Recht zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung" (Art. 51 UN-Charta) in der Resolution 1368 als Ermächtigung intepretiert (vgl. Ruf 2002: 11).

Die Bundesregierung stützt ihren Antrag auf den Einsatz bewaffneter Streitkräfte sowohl auf das Selbstverteidigungsrecht (Art. 51 UN-Charta) als auch auf die Resolutionen des UN-Sicherheitsrates, in denen sie eine Ermächtigung für den Einsatz von militärischen Mitteln zu erkennen glaubt (vgl. Bundesaussschuss Friedensratschlag 2002). Damit folgt sie letztlich der Interpretation durch die US-Regierung. Wenn die Bundesregierung sich in ihrer Begründung auf internationale Rechtsstaatlichkeit oder das Völkerrecht beruft, so ist dies eher ein verzweifelter Versuch, die fehlende Rechtsbasis für einen Militäreinsatz durch die Beschwörung des Völkerrechts zu kompensieren. Damit trägt sie zur Instrumentalisierung des Völkerrechts bei und wiedersetzt sich verfassungsrechtlichen Bestimmungen, denn mit der Teilnahme am "Krieg gegen den Terrorismus" verstößt sie gegen das Grundgesetz der Bundesrepublik. Terrorismus ist ein Verbrechen und dementsprechend muss es auch geahndet werden. Hierzu ist das Militär gänzlich ungeeignet, denn nicht mir Krieg, sondern mit polizeilichen Maßnahmen muss Terrorismus begegnet werden.

Mit ihrem Nein zu einer deutschen Beteiligung an einem möglichen Militärschlag gegen den Irak vollzog die Bundesregierung während des Bundestagswahlkampfes 2002 eine überraschende Wende. Im Nachhinein ist deutlich geworden, dass diese Wende lediglich einem wahltaktischen Kalkül entsprach.

Bei Meinungsumfragen sprachen sich zwischen 73 und 91 Prozent der Befragten gegen den Irak-Krieg aus (vgl. Pflüger 2002). Diese Stimmung hat die Regierungskoalition genutzt und das Thema, mit ihrem Nein zu einer deutschen Beteiligung, im Wahlkampf plaziert. Bei dem verbalen Nein blieb es jedoch, denn Konsequenzen wurden nicht gezogen. Konsequenzen hätten sich z. B. auf die militärische Infrastruktur in Deutschland beziehen können, die für die Kriegsführungsfähigkeit der US-Truppen von wichtiger Bedeutung sind. Mit einer Ankündigung, im Falle eines Krieges keine Infrastruktur für den Krieg zur Verfügung zu stellen und sich weder finanziell noch materiell zu beteiligen, hätte die Bundesregierung ein deutliches Zeichen setzen können und wäre obendrein glaubwürdiger geworden. So blieb es bei Verbalakten und es wird sich letztendlich zeigen, ob im Falle eines Krieges nicht doch der deutsche Luftraum oder die in Deutschland befindlichen US-Einrichtungen für Kriegsmaßnahmen genutzt werden, oder ob sich dann nicht doch die Bundesrepublik in irgendeiner Form direkt am Krieg bzw. an der Kriegführung beteiligen wird.

Die Friedensbewegung hat in ihren Aktivitäten immer wieder auf die Defizite und Widersprüche der bundesdeutschen Politik hingewiesen. Sie hat sich vor allem gegen den Krieg als Mittel zur Terrorismusbekämpfung gewandt und darauf verwiesen, dass Terrorismus nur bekämpft werden kann, wenn ihm der soziale, politische und ideologische Nährboden entzogen wird. Denn bei einem Klima des Hasses, der Gewalt und Gegengewalt wird der Boden für neue Terrorakte bereitet. Notwendig ist die Bekämpfung der Ursachen des Terrorismus und nicht dessen Erscheinungsformen. Statt Krieg wären Maßnahmen zur Herstellung sozialer Gerechtigkeit geeignet, den Frieden zu sichern. Die Kehrseite der Kriegskosten sind die Einsparungen im sozialen Bereich. US-Präsident George W. Bush hat in seiner Rede zur Lage der Nation am 29. Januar 2002 die Kosten für den Krieg mit einer Milliarde Dollar pro Monat und über 30 Millionen Dollar pro Tag bezeichnet - Gelder die an anderen Stellen eingespart werden müssen. Gelder, die in anderen Bereichen sinnvoller eingesetzt, wesentlich mehr dazu beitragen können, die Ursachen für Terrorismus zu bekämpfen.

Deutlich wird, dass sich die Friedensbewegung nicht nur dem Antikriegsthema annehmen, sondern auch auf Zusammenhänge und Hintergründe aufmerksam machen muss. Hierzu gehören die Strategieentwicklungen innerhalb der NATO und der Bundeswehr genauso wie die Entwicklungen zur Instrumentalisierung bzw. Aushebelung völkerrechtlicher Bestimmungen. Vor allem auf die Entwicklungslinien seit dem Ende des Kalten Krieges muss dabei hingewiesen werden. Der 11. September ist in diesem Kontext nicht als Wende in der Weltpolitik zu verstehen, durch welche eine Umorientierung in der Politik stattfand. Der Ausbau der Streitkräfte zu Interventionsarmeen und eine Politik, die auf das Recht des Stärkeren setzt, hat lange vor dem 11. September 2001 begonnen.

Sicherlich stellt das Nein der Friedensbewegung zum Mainstream der derzeitigen Außen- und Sicherheitspolitik die größte Herausforderung für die Friedensbewegung dar. Muss sie sich doch immer wieder mit einer Politik auseinandersetzen, die auf die Kurzlebigkeit und Vergesslichkeit setzt. So z.B. die Begründung für den Jugoslawien-Krieg von 1999, der unter dem Deckmantel geführt wurde, eine "humanitäre Katastrophe" verhindern zu wollen. Im Namen der Humanität wurden in diesem Krieg Angriffe auf die Infrastruktur des Landes geflogen und sogenannte Kollateralschäden einkalkuliert. Hierzu gehörte die Zerstörung der Lebensgrundlagen der Bevölkerung genauso wie die einkalkulierte Tötung von Zivilisten. Im Nachhinein ist deutlich geworden, dass die Bundesregierung bei ihrer Begründung mit Falschmeldungen, Halbwahrheiten und Lügen argumentiert hat. Ziel war die Manipulation der öffentlichen Meinung und eine möglichst breite Zustimmung zu dem Krieg. Aufgabe der Friedensbewegung wird es daher bleiben, die Hintergründe weiter aufzudecken und immer wieder in das Gedächtnis der Öffentlichkeit zu rufen.

Der Kriegs- und Militärpolitik der Regierung muss die Friedensbewegung ein klares Bekenntnis gegen Krieg als Mittel der Politik entgegensetzen und auf ihren pazifistischen Positionen bestehen.

III Die Friedensbewegung ist mehr als eine Antikriegsbewegung

Die pazifistische Grundlage der Friedensbewegung beinhaltet eine klare Absage an Militarisierung und Krieg. Militärische Konfliktlösungen werden grundsätzlich abgelehnt, statt dessen zivile Konfliktlösungsmodelle propagiert. Notwendig bleibt auch die Besetzung eines positiven Friedensbegriffs, worunter vor allem die Entwicklung von Vorstellungen und Visionen für eine friedlichere Welt, sowie die Benennung von Alternativen zur aktuellen Regierungspolitik zu verstehen ist. Im Zentrum der Kritik steht das Militär und dessen Einsatz, denn
"in mindestens 99 Prozent aller Gewaltkonflikte dieser Welt ist das Militär und ist der Einsatz von Waffen Teil des Problems und nicht Ausgangspunkt für eine Lösung" (Strutynski 2000: 33)

Pazifismus, verstanden als generelle Absage an Krieg, lässt auch keine ultima ratio zu. Bewaffnete Gewalt nicht generell abzulehnen, sondern lediglich zu minimieren, lässt sich ebenso wenig mit dem Pazifismus vereinbaren wie der militärische Einsatz als letztes Mittel.

Die Friedensbewegung tut gut daran, wenn sie an diesen Grundpositionen festhält und sich nicht durch vorgeschobene oder scheinbare Argumente davon abbringen lässt. Denn genau hierin liegt letztendlich auch die Stärke der Friedensbewegung.

Literatur
  • Biermann, Werner/ Klönne, Arno 2002: Ein Kreuzzug für die Zivilisation? Internationaler Terrorismus, Afghanistan und die Kriege der Zukunft; Köln.
  • Bundesausschuss Friedensratschlag 2002 (Hrsg.): Friedens-Memorandum 2002. Weder Terror noch Krieg. Eine friedliche Welt ist möglich; Kassel.
  • Bundesminister der Verteidigung 1992: Verteidigungspolitische Richtlinien für den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidiung; Bonn (November).
  • Guß, Bernd 2001 (Red.): Zu den Terroranschlägen in den USA. Reaktionen und Dokumente (Werkstatt-Report Nr. 2); Frankfurt a.M.
  • Kohl, Helmut 1990: Botschaft des Bundeskanzlers an alle Regierungen der Welt, in: Bulletin (Nr. 118/ 5.Oktober); S. 1227-1228.
  • Pflüger, Tobias 2000: Bundeswehr 2005 - bereit für die nächsten Kriege in aller Welt, in: Cremer, Ulrich/ Lutz, Dieter S. (Hrsg.): Die Bundeswehr in der neuen Weltordnung; Hamburg; S. 72-88.
  • _____ 2002: Gegen den Krieg reden und dabei den Krieg vorbereiten (Interview), in: Friedens Journal (Nr. 4/ Oktober); S. 6-7.
  • Ruf, Werner 1991 (Hrsg.): Vom Kalten Krieg zur heissen Ordnung? Der Golfkrieg. Hintergründe und Perspektiven; Münster/ Hamburg.
  • _____ 2002: Zurück zur Anarchie? Die Demontage des UN-Systems seit dem Ende der Bipolarität, in: Wissenschaft und Frieden (20:3); S.7-12.
  • Scheerer, Sebastian 2002: Terroristen sind immer die anderen, in: Lutz, Dieter S./ Paech, Norman/ Scheerer, Sebastian u.a.: Zukunft des Terrorismus und des Friedens. Menschenrechte - Gewalt - Offene Gesellschaft; Hamburg; S. 11-25.
  • Schröder, Gerhard 2002: Politik für Wachstum, Wohlstand und Beschäftigung - Zukunftssicherung durch Nachhaltigkeit. Regierungserklärung von Bundeskanzler Gerhard Schröder, in: Bulletin (41-1/ 16. Mai); 11 Seiten.
  • Strutynski, Peter 2000: Die Friedensbewegung ist mehr als eine Antikriegsbewegung, in: Marxistische Blätter (6); S. 27-33.
  • Waldmann, Peter 2002: Was war neu an den Anschlägen vom 11. September?, in: Stein, Georg/ Windfuhr, Volkhard (Hrsg.): Ein Tag im September. 11.9.2001. Hintergründe - Folgen - Perspektiven; Heidelberg; S. 19-29.
* Der Beitrag erschien in der Festschrift für Werner Ruf:
Michael Berndt und Ingrid El Masry (Hrsg.): Konflikt, Entwicklung, Frieden. Emanzipatorische Perspektiven in einer zerrissenen Welt, Kassel 2003 (Kasseler Schriften zur Friedenspolitik, Bd. 8), Verlag Winfried Jenior (ISBN 3-934377-83-1)
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